Er heißt nicht Theseus, sondern Rheseus. Er steht nicht vor der Kunsthalle, sondern an der Ecke Landwehrstraße/Georg-Schäfer-Straße, wo der 3,5 Meter hohe, 300 Kilogramm schwere und im Baugenehmigungsverfahren von der Stadt zum Kunstwerk deklarierte Rheseus seit 2006 an den 5,20 Meter hohen Theseus erinnert, den der Stadtrat dem Künstlerehepaar Martin und Brigitte Matschinsky-Denninghoff für 300 000 Euro abkaufen und vor der Kunsthalle aufstellen wollte.
Bei keiner anderen Entscheidung in der Schweinfurter Kommunalpolitik waren vorher oder danach die Emotionen derart hochgekocht. Gegen einen ersten Stadtratsbeschluss waren 2004 schnell 3000 Unterschriften gesammelt, mit denen sich Schweinfurer Bürger gegen den Ankauf aus der Stadtkasse aussprachen, worauf das Künstlerehepaar sein Angebot auf Eis legte.
Zum Schnäppchenpreis
2006 stand der Theseus dann wieder im Raum. Jetzt ging es um ein Gesamtpaket, denn Matschinsky-Denninghoff wollten Schweinfurt zum Hauptstandort ihrer Werke machen. Für zusammen 600 000 Euro sollten neben dem 1992 entstandenen Theseus aus Chromnickelstahl die Skulptur "Kosmos", 100 Papier- sowie zehn Messing- und Leinwandarbeiten nach Schweinfurt gehen. Geschätzt war der Wert des Gesamtpakets auf 920 000 Euro.
Den Antrag auf Ankauf brachten gleich vier Fraktionsvorsitzende im Stadtrat ein: Arno Barth (CSU), Werner Bonengel (SPD), Kalli Müller (Schweinfurter Liste) und Karl-Heinz Knöchel (pro schweinfurt). Übereinstimmend urteilten diese: "gerechtfertigt und wünschenswert". Zustimmung gab es im Stadtrat auch, da Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser die Sammlung nun aus einer Erbschaft an die Stadt bezahlen wollte. Doch die Gegner gaben nicht nach. Beim Bürgerentscheid im Mai 2006 wurde der Theseus mit 6446 Nein-Stimmen (bei 1413 Befürwortern) verhindert.
Die verspielte und monumentale Figur des Theseus von Matschinsky-Denninghoff zeigt einen der wichtigsten griechischen Sagenkönige, der als junger Haudegen auf seinem Weg zum Vater (Aigeus) kurzerhand vier Räuber und den Riesen Prokrustus sowie weitere Finsterlinge erschlagen hat und später den Minotaurus aus dem Weg räumte. Als König über Attika soll Theseus weise geherrscht haben, wenn er nicht gerade mit Herkules gegen die Amazonen zog oder der Unterwelt einen Besuch abstattete.
Idee vom Stammtisch
Noch im März vor dem Bürgerentscheid hatte Rolf Hofmann vor seinem Geschäft ( S + H Sanitär- und Heizungs-Technik GmbH) an der Ecke Landwehr-/Georg-Schäfer-Straße auf seinem Grund den Rheseus aufgestellt. Eine Baugenehmigung war wegen der Höhe des in diesem Verfahren vom Bauamt zum Kunstwerk deklarierten Rheseus fällig. Die "Künstler" hatten dies anfangs nicht so gesehen. Der Werbegag war am Stammtisch geboren worden. Zersägt und zusammengeschweißt hatten Hofmann und fünf Mitarbeiter an mehreren Samstagen Edelstahlrohre aus dem Rohrleitungsbau für Industrieanlagen und anschließend den Rheseus auf eine fest verankerte und 600 Kilogramm schwere Stahlplatte gestellt.
Die Vorlage für den Rhesus war übrigens ein Foto des Theseus, das die Tageszeitung veröffentlicht hatte. In den ersten Jahren wurde Rolf Hofmann oft nach der Bedeutung "des Dings" vor seinem Geschäft gefragt – heute allerdings "nix mehr". Hofmann: "Ich freue mich jede Nacht über den Rheseus", der in der Dunkelheit angestrahlt ist.
Aus Populismus kaputt gemacht
Werner Bonengel findet es nach wie vor "schade, schade, dass aus Populismus das gesamte Geschäft kaputt gemacht wurde". Schweinfurt hätte ansonsten ein Wahrzeichen vor der Kunsthalle und einen bedeutenden Bestand in der Kunsthalle. Gescheitert sei der Deal an Rechthaberei und daran, dass einige wenige es "denen im Rathaus zeigen wollten".
Dass der Nachlass des international bekannten Künstlerehepaars in die Berlinische Galerie eingelagert wurde, ist für Arno Barth weiterhin die "absolut falsche Entscheidung" gewesen. Damals hätten sich am Thema "manche profilieren wollen". Stefan Labus habe eine politische Trotzreaktionen durchgezogen.
Karl-Heinz Knöchel sieht "die Sache gelassen". Anfangs habe er sich geärgert, dass etwas Schönes nicht nach Schweinfurt kam. Allerdings seien auch die Künstler nicht sonderlich kooperativ gewesen. Knöchel: "Es ist in Ordnung, wie es ist." "Kein Herzblut" hat der Ausgang des Bürgerentscheids Kalli Müller gekostet. Für den damals angedachten Skulpturen-Weg im Theaterpark wäre der Theseus ein toller Einstieg gewesen. Kalli Müller heute: "Schade, dass das Projekt an Stammtischparolen gescheitert ist. Schweinfurt hätte etwa Schönes – ähnlich dem Kunstwerk Anker auf der Schleuseninsel (ebenfalls von Martin und Brigitte Matschinsky-Denninghoff)."
"Sehr schade", urteilt auch Andrea Brandl, Leiterin der Kunsthalle. Schweinfurt hätte damals auch die Privatsammlung der beiden Künstler als Geschenk bekommen sollen, ergänzt Brandl. Besonders der Bestand an Werken aus den 1950er- und 1960er-Jahren wäre so "hervorragend ergänzt" worden, etwa durch ein Werk von Henry Moore.
Stefan Labus ist sich nicht sicher, ob er heute nochmals gegen den Ankauf vorgehen würde. "Die Zeiten haben sich geändert, so Labus. 2004 und 2006 hätte der Stadtrat kein Geld für dringend sanierungsbedürftige Schultoiletten gehabt. In dieser Situation sei Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser mit dem "Schnäppchen" für 300 000 Euro gekommen. Das habe nicht zusammengepasst. Unter diesen Vorzeichen sei ein Einschreiten geboten gewesen.
Ralf Hofmann, Vorsitzender des Schweinfurter Kunstverein, hat sich mehrfach zu der "Riesenchance" geäußert, die vertan worden sei. Als er den Kunstverein im Wohnstift Augustinum vorstellte, meinte Hofmann, dass von dem Ehepaar Matschinsky-Denninghoff einzig der Anker gekauft werden konnte, sei einer Mischung aus Provinzialität, Populismus und Naivität zu verdanken – und: "Diese Riesenchance ist aus Kurzsichtigkeit vertan worden."