
Circle Pits und Pogo. Okay, von der Bühne wird nicht mehr so oft gesprungen. Das Publikum ist mit der Band gealtert. Der Energie tut's keinen Abbruch: Die New Yorker Hardcore-Haudegen Agnostic Front sind bereits über vier Jahrzehnte unterwegs – doch angriffslustig wie in den wilden Achtzigern. 400 Fans im Schweinfurter Stattbahnhof feiern mit ihnen eine Punk-Party: rotzig, rebellisch und fett. Voll auf die Zwölf. Als wolle man gemeinsam das US-Wahlergebnis vom Vortag in Grund und Boden stampfen.
Die Brachialität dieser Musik hat Historie. In den Siebzigern war der Hardcore auf der Insel, ganz besonders jedoch in den Staaten sowas wie Rotzlöffel-Rock, was für die Bad Boys, männerdominiert. Punk, nur härter. Nicht so desillusionistisch. Aber nicht minder politisch links.
Rechtsextremisten wurden schlafen gelegt
"Good Night white Pride" – mit diesem simplen Szene-Slogan wurden Rechtsextremisten schlafen gelegt. Der eher unpolitische Teil der Skinhead-Szene tollte munter mit rum, weil es bei den Konzerten so schön "assi" zuging. Nach ein paar Jahren schien das Ganze jedoch nicht mehr so spannend – und der Hardcore Punk schien zu verschwinden.
Wenn da nicht ein paar Bands Mitte/Ende der Achtziger angefangen hätten, die Brutalität der Musik und die Intensität der Texte zu steigern. Cro-Mags, Madball, Biohazard, Sick of it All und eben Agnostic Front entsprangen allesamt dem New Yorker Untergrund und sind heute noch oder wieder aktiv. Der New York Hardcore – gekürzelt NYHC – war geboren. Grenzen wurden ausgelotet, nahezu jedes Mittel der Provokation war recht. Aber nichts rechts. Das geigten die Protagonisten jenem zwischenzeitlich Zulauf aus dem nationalistischen Lager schnell und deutlich.
Auch Agnostic-Front-Brüllwürfel Roger Miret, neben Gründungsmitglied und Gitarrist Vinnie Stigma schon über 40 Jahre an Bord: "Eure faschistischen Ansichten brauchen wir am wenigsten", schreit er in "Fascist Attitudes". An diesem Abend in Schweinfurt kann er sich den Song mangels Adressaten sparen. Okay, mit Springerstiefel-Fußabdrücken auf Shirts, Stars&Stripes-Deko und ein paar patriotische Reimen hat man immer mal hantiert – mitunter nicht ganz geschmackssicher, doch daraus lässt sich kein Nazi-Gewand schneidern. Kategorie Provokation. Sonst dürfte das Quintett kaum seine "New York Blood Tour" ausgerechnet im Schweinfurter Alternativ-Tempel eröffnen.
Allzu blutig wird's im "Statti" freilich nicht. Auch wenn die Fans mitunter halsbrecherisch durcheinander pogen und sich hie und da einer danach den Kopf hält – außer ein paar blauen Flecken scheint alles heil zu bleiben. Obwohl das wilde Herumgefuchtel ganz vorn manchmal nach Kampfsport ausschaut. Wie halt schon immer.
Auch auf der Bühne sind die "Moves" die gleichen wie eh und je. Während einige frühere Weggefährten mit Metal-Elementen herumhantieren, wehren sich Stigma und die "AF" gegen jede Form der Weiterentwicklung. Und das ist gut so. Das ist und bleibt roher, rotziger, aggressiver Hardcore.
Sänger Roger Miret kämpft gegen den Krebs
Mit Miret als Gallionsfigur. Auch mit 60 ist der gebürtige Kubaner, der seit dreieinhalb Jahren einen bis dato erfolgreichen Kampf gegen seine Krebserkrankung führt, auf der Bühne nicht einzufangen. Er plärrt seine Gesellschaftskritik derart impulsiv heraus, ballt die Fäuste, dass einem angst und bang werden mag. "My Life my Way" – die Band-Hymne ist Programm. Kompromisslos. Etwas mehr als eine Stunde dürfte es zwar sein, Zeit zum Luft holen bleibt dafür kaum bei der rasanten Achterbahnfahrt durch Hits wie "Crucified", "Gotta go" und dem Ramones-Cover "Blitzkrieg Bop".
Ich erinnere mich gern an das Jahr 2000, als ich als Jungspund Agnostic Front zusammen mit Ignite das erste Mal im Stattbahnhof erlebt habe - Kinder, wie die Zeit vergeht...
Freue mich schon auf Ignite im Dezember auf ihrer 30 Jahre Tour, wenn sie ebenfalls in SW aufzünden.
Gotta go!
M. Lerm