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Schweinfurt
Aus einem Rosenkrieg zweier Gruppen entstand in Schweinfurt schließlich der Stattbahnhof
Soziokultur in Schweinfurt (2): Nach heftigen Auseinandersetzungen entstand der "Stattbahnhof". Er wurde über die Region hinaus zu einem Zentrum für Punk-Konzerte.
Der Stadtbahnhof wurde zum 'Stattbahnhof' und damit zu einem Kulturzentrum mit Wirkung weit über die Region hinaus.
Foto: Anand Anders | Der Stadtbahnhof wurde zum "Stattbahnhof" und damit zu einem Kulturzentrum mit Wirkung weit über die Region hinaus.
Karl-Heinz Körblein
Karl-Heinz Körblein
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:32 Uhr

Vor 40 Jahren wurde im Juni in der Gaststätte "Hartmann am Wall" innerhalb von zwei Tagen der "Verein zur Förderung von Bildung und Kultur" gegründet. Daraus sind zwei Kultureinrichtungen hervorgegangen, die über Schweinfurt hinaus einen sehr guten Ruf genießen: Die Disharmonie und der Stattbahnhof.

Es ging den Gründern um die "Kultur von unten" wie sie vor allem in Universitätsstädten wie Erlangen stark im Kommen waren. "Kultur vom Sockel holen", hieß das Motto. Aber gleich zwei Zentren in Schweinfurt?

Der Rosenkrieg ist im Rückblick nicht leicht nachvollziehbar

Monatelang gab es Streit. Öffentlich ausgetragen. Einen regelrechten Rosenkrieg. Im Rückblick ist dieser nicht leicht nachvollziehbar. Da waren auf der einen Seite die jungen Leute, die aus der Boykottbewegung gegen die Volkszählung kamen und auf der Suche nach einem alternativen Kulturangebot waren, und da gab es das Kneipenkollektiv, das vor allem dafür sorgte, dass die Einnahmen stimmten. In Schweinfurt waren einige Kneipen weggebrochen, die "Schreinerei" am Obertor war zu einer gut besuchten Alternative geworden.

Es kam zum Jahreswechsel 1987/88 zum offen ausgetragenen Streit, der damit endete, dass der Verein auszog, das Kollektiv zunächst am Obertor weitermachte, immer wieder Ärger mit Anwohnern und Polizeieinsätzen hatte, das Haus besetzte und schließlich in den der Stadt gehörenden Stadtbahnhof umzog, der nun als "Stattbahnhof" deutschlandweit Furore machen sollte.

Zwischenzeitlich erregte er jedoch vor allem in Schweinfurt Aufregung, als es beispielsweise Anfang der 1990er-Jahre Passionsspiele am Fichtelsgarten, in den Wehranlagen und im Philosophengang gab. Von einem "unchristlichen Spektakel" war kirchlicherseits die Rede. Zu dem aber über 800 Zuschauer kamen.

Erste Adresse für die Punk-Szene

Der Stattbahnhof wurde schnell zu einer ersten Adresse für die Punk-Szene, gab nicht nur lokalen Bands ein Forum, sondern wirkte über einen Umkreis von über 300 Kilometern hinaus. Als "NOFX" spielte, standen die Leute bis auf die Straße hinaus, erinnerte sich Eric Greulich in einem Artikel für das Schweinfurter Tagblatt, als einer "der Punker der ersten Stunde". Schweinfurt sei durchaus mit der Szene in Berlin vergleichbar gewesen.

Zwischen 120 und 150 Veranstaltungen pro Jahr fanden in den besten Zeiten hier statt. Das besondere für die Besucher: Sie kommen den Bands sehr nahe. "Wenn du mir eine Punk-Band nennen kannst, kann ich dir bei 90 Prozent sagen, dass sie hier gespielt hat, außer sie ist tot", wurde Greulich zitiert.

Der Stattbahnhof: Berühmt in der Punk-Szene: Konzert mit 'Slime'.
Foto: Steffen Krapf | Der Stattbahnhof: Berühmt in der Punk-Szene: Konzert mit "Slime".

Viele Besucher und viele Bands sind dem Stattbahnhof seit dem Anfang treu, kommen jedoch auch in die Jahre. Corona hat schwere Lücken gerissen, finanziell, aber auch beim Personal. Viele sind in andere Jobs gewechselt.

Im Jahr 2022 wurde der Stattbahnhof mit dem 2000-Euro-Popkulturpreis Bayern (Club des Jahres 2022) ausgezeichnet. "Möge dabei der Statti noch lange existieren, sich seine Besonderheit erhalten – und auch bei den Stadtvätern und -müttern die Anerkennung erhalten, die er sich verdient hat", sagte der ehemalige Stadtrat Hubert Seggewiß bei seiner Laudatio in München.

Nach den Einschränkungen durch die Pandemie finden jedoch wieder regelmäßig Veranstaltungen statt. Erstmals wurde beim Stadtfest eine eigene Bühne betrieben. Die gibt es auch in diesem Jahr am Skaterpark mit fünf lokalen Bands.

Gestiegene Energiepreise und hohe Gagen der Bands

Auch die Soziokultur leidet unter der wirtschaftlichen Entwicklung. Unter höheren Energiepreisen, die im Stattbahnhof auch stark durchschlagen, weil das denkmalgeschützte Haus alt, die Dämmung mangelhaft ist. Die Ticketpreise mussten angehoben werden, weil die Bands mehr Gage fordern, berichtete Thomas Hübner, einer der Stattbahnhofmacher, anlässlich der Preisverleihung.

Konzerte mit der US-Hardcoreband Ignite, mit Silverstein oder der Coverband ABCD waren jedoch brechend voll, während bei den deutschen Punkrock-Szenegrößen wie Itchy, Montreal und Rogers im vergangenen Jahr die Besucherzahlen deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben. Die "Jobber" hinter der Theke waren teilweise abgewandert, die Besucherzahlen gingen zurück, bei den Gästen saß das Geld nicht mehr so locker. "Getrunken wird oft vor der Tür", sagt Hübner.

Früher sei nach dem Abitur "ein ganzer Schwarm" gekommen, um zu helfen. Inzwischen habe sich die Einstellung geändert, es werde, wie kürzlich beim Stadtjugendring, über fehlende Angebote in Schweinfurt geklagt, aber "keiner kommt auf die Idee, selbst etwas zu machen". Man lasse sich lieber unterhalten, etwa durch die gutbesuchten Techno-Partys im kleinen Saal, der momentan jedoch umgebaut wird.

So spricht Thomas Hübner, von einem "sehr anstrengenden Jahr 2022 mit positiven Überraschungen und einigen Tiefschlägen". Heuer gab es jedoch bereits 50 Konzerte: Punk, Hardcore, Metal.

In Teil 3 unserer Serie geht es darum, wie die Disharmonie in an die Gutermannpromenade kam.

 
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