Die Zwillinge kommen Ende August zur Welt, zwölf Wochen zu früh. Ein Kaiserschnitt, Fetofetales Transfusionssyndrom. Zwei Föten teilen sich eine Plazenta, es bestehen Gefäßverbindungen zwischen ihnen. Ein Zwilling könnte zu viel Blut bekommen, der andere zu wenig. Hannah W. wusste, dass die Kinder zeitnah geholt werden mussten, die Familie dachte noch darüber nach, in eine Uniklinik zu fahren. Die Frauenärztin riet ihnen ab, sie gingen ins Perinatalzentrum im Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt. Auch, weil es das nächste war.
Eine Möglichkeit, die zumindest auf lange Sicht auf dem Spiel stehen könnte. Denn ab 1. Januar 2024 dürfen nur noch die Kliniken (sogenannte Level-1-Kliniken) Säuglinge unter 1250 Gramm versorgen, die im Jahr mindestens 25 davon betreuen. Der Hintergrund: Wissenschaftliche Studien hätten belegt, dass "bei dieser höchst anspruchsvollen medizinischen Versorgung" mit steigender Erfahrung auch bessere Ergebnisse erzielt werden, heißt es in einer Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der die neue Regelung festgelegt hat.
Die Entscheidung stößt den Verantwortlichen im Leopoldina, das durchschnittlich etwa 19 solcher Frühgeborenen im Jahr betreut und die Mindestfallzahl damit nicht erreicht, bitter auf. "Der G-BA-Beschluss hat festgelegt, dass Qualität keine Rolle spielt", findet Prof. Michael Weigel, Chefarzt der Frauenklinik in Schweinfurt. "Kleinere Zentren, die hohe Qualität liefern, sollen vom Netz genommen werden, damit größere Zentren davon profitieren können."
Grund zur Panik gibt es in Schweinfurt noch nicht. Für das kommende Jahr haben das Leopoldina und auch die Kliniken in Coburg, Bamberg und Bayreuth für ihre Perinatalzentren eine Ausnahmegenehmigung bekommen. Erst Mitte des Jahres soll entschieden werden, wie es langfristig weitergeht und welche Klinik möglicherweise in Zukunft die Frühgeborenen der anderen übernimmt.
Eine Mindestfallzahl ist nicht neu, bisher lag sie bei 20
Eine Mindestfallzahl besteht schon seit vielen Jahren. Zuletzt lag sie bei 20, und weil das Leopoldina und andere kleine Kliniken in Nordfranken sie nicht schafften, schlossen sie sich zu einem Verbund zusammen. Ein solcher Verbund ist fortan aber nicht mehr erwünscht, jede Klinik zählt für sich. Das bedeute aber letztlich, sagt Hans-Martin Lode, der Oberarzt der Kinderklinik, dass "etwa 30 Prozent der Level-1-Kliniken dadurch deutschlandweit wegfallen".
Das führt dazu, dass Eltern künftig in die nächste Uniklinik – etwa nach Würzburg, Erlangen, Regensburg oder Jena – fahren müssten. Es heißt, dass sich für die allermeisten Familien kaum eine Veränderung der Fahrtzeiten ergibt. Das mag in Ballungszentren stimmen, meint Chefarzt Weigel. "Da ist es egal, wenn da eine Station zugemacht wird, dann fährt man zwei U-Bahn-Stationen weiter."
Für Nordfranken aber, das zeigen Daten der AOK, trifft dies nicht zu. Würden die Kliniken Schweinfurt, Coburg, Bayreuth und Bamberg wegfallen, würden sich die Fahrzeiten im Raum Schweinfurt um etwa 20 bis 30 Minuten verlängern. Am härtesten trifft es den Daten zufolge die Gemeinde Üchtelhausen (Lkrs. Schweinfurt), dort verlängert sich in dem Fall die Fahrzeit zur nächsten Level-1-Klinik um 37 Minuten.
Tägliches Pendeln belastet Familien – vor allem mit mehreren Kindern
Und dabei gehe es ja nicht um eine einmalige Fahrt, sagt Oberarzt Lode. "Stellen Sie sich vor, Sie haben ein kleines Kind in der Kinderklinik und Sie müssen 1,5 Stunden jeden Tag dahinfahren, um es zu besuchen." Das sei auch erforderlich, für die Bindung. Und man dürfe auch die Geschwisterkinder – wenn vorhanden – nicht vergessen, ergänzt Karina Wiegler-Schenkel, Stationsleiterin der Kinderintensivstation. "Beim ersten Kind geht das noch, aber beim zweiten Kind wird alles problematischer für die Familie." Man rede hier von etwa 14 Wochen, in denen die Eltern diesen Weg auf sich nehmen müssten.
Nicht nur, dass der Transport nach Erlangen für Hannah W. mit ihren Zwillingen ein erhebliches Risiko dargestellt hätte, die Familie hätte nicht einfach monatelang dorthin pendeln können. "Wir haben noch eine zweijährige Tochter", sagt Hannah W. "Ich hätte nicht drei Monate ohne unsere Tochter sein können." Drei Monate waren die Zwillinge im Krankenhaus, der Fahrweg überschaubar, die Familie wohnt in Sennfeld (Lkrs. Schweinfurt).
Eine Verlegung der Mutter wäre zu riskant gewesen. "Wenn die Kinder im Rettungswagen zur Welt kommen, sind sie tot", meint Chefarzt Weigel. Es fehle die Expertise der Ärzte im Umgang mit solchen Frühchen und auch die passende Infrastruktur. "Jedes Bremsmanöver im Rettungswagen auf dem Weg in die Klinik ist eine maximale Belastung", ergänzt Oberarzt Lode.
Schwerpunkt liegt darauf, Kinder so lange es geht im Mutterleib zu lassen
Für Michael Weigel und sein Team liegt der Schwerpunkt darauf, die Kinder so lange wie möglich im Mutterleib zu lassen. "In der Frühgeburtlichkeit verbessert jeder Tag im Mutterleib die Prognose des Kindes um grob zwei Prozent", sagt der Chefarzt. Und Hebamme Sandra Piede ergänzt: "Wir schaffen es durchaus, aus 26 Wochen 29 zu machen oder mehr. Aber dann zählen sie nicht mehr in die Fallzahl."
Ein gutes Beispiel dafür ist die kleine Maria. Das Mädchen, heute zehn Monate alt, kam in der 35. Schwangerschaftswoche im Leopoldina zur Welt, obwohl die Mutter in der 21. Woche einen Blasensprung erlitt. Medizinisch sehr schwierig, weiß Marias Vater Ahmed Safar, der selbst Arzt ist. "Wir waren in großer Sorge. Und mussten uns entscheiden: Entweder sie beenden die Schwangerschaft, oder meine Frau muss bis zum Ende im Bett liegen." Sie entschieden sich für ihr Baby – und die Frau brachte Maria gesund zur Welt, nach 14 Wochen im Bett.
Ein Fall, an den sich auch das Team in Schweinfurt noch gut erinnern kann. "Die Frau lag die ganze Zeit bei uns und hat das ausgehalten für ihr Kind", erzählt Hebamme Sandra Piede. "Und das wird bei der Mindestfallzahl von 25 überhaupt nicht in Betracht gezogen, es ist nicht relevant, was eine Klinik im Vorfeld leistet."
Den Verantwortlichen im Leopoldina ist es wichtig, zu betonen, dass die Kinderklinik und die Geburtsabteilung weiterhin bestehen bleibt, ganz egal, wie es nun mit der Versorgung extrem kleiner Frühgeborenen an dem Standort weitergeht. "Die Strukturen werden sich ändern", sagt Oberarzt Lode. "Und die Kinder, die wir nicht versorgen dürfen, die müssen wir dann halt weiter verlegen. Es sei denn, es ist tatsächlich so spitz auf Knopf, dass wir sagen, das können wir nicht mehr verantworten."
Es wird Zeit, dass Deutschland aufsteht und den arroganten Politikern klarmacht, was die endlich zu tun haben und darauf haben sie einen Eid geleistet, den die meisten unserer sogenannten Volksvertreter täglich vorsätzlich missachten.
Was für eine unglaublich menschenverachtende Entscheidungsgrundlage...