Gerade noch unterhielten sich Prof. Dr. Michael Weigel und Dr. Nathalie Welscher über den Krieg in der Ukraine, ein normales kollegiales Gespräch. Welscher sagte: "Und übrigens Michael, wenn Du je in die Situation kommst, dass eine Geflüchtete hier ein Kind bekommt und nicht untergebracht ist, dann wären mein Mann und ich bereit, einzuspringen." Nicht wissend, dass im Kreißsaal bereits eine junge Ukrainerin lag, die just zur gleichen Zeit ein Mädchen zur Welt brachte.
So erzählen es die beiden Ärzte heute. Weigel, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, und Welscher, Fachärztin in der Neurochirurgischen Klinik, sitzen in einem Konferenzzimmer im Leopoldina Krankenhaus in Schweinfurt und erinnern sich noch gut an den 15. März, als das erste ukrainische Flüchtlingsbaby in der Klinik zur Welt kam. Die 37-jährige Mutter ist bei dem Termin mit der Zeitung nicht dabei, "aus Sorge, dass das ihren in der Heimat verbliebenen Freunden und Angehörigen sowie der Familie zum Nachteil gereichen könnte", erklärt Welscher.
Ukrainerin kam montags in Schweinfurt an, dienstags war die Geburt
Die beiden Ärzte erzählen die Geschichte der Ukrainerin: Die hochschwangere Frau kam gemeinsam mit einer Freundin und deren zwei Kindern aus der Nähe von Kiew nach Schweinfurt. Eigentlich hätten sie eine private Wohnmöglichkeit in Aussicht gehabt, diese sei aber kurzfristig geplatzt. Deshalb kamen die Frauen ungeplant in der Ankereinrichtung in Geldersheim unter. Das war am Montagabend.
Am Dienstagmorgen bekam die Ukrainerin Wehen, fuhr mit ihrer Freundin und den Kindern zum Leopoldina – und brachte ihr Baby zur Welt. Nathalie Welscher fungierte zuerst als Dolmetscherin. Doch der Erstkontakt sei schwierig gewesen, sagt sie. Vertrauen zu schaffen in einer Situation der Ungewissheit, sei schwierig. "Ich hatte mich eingangs vorgestellt: ,Meine Muttersprache ist Russisch und nicht Ukrainisch.‘ Das erzeugt in der aktuellen Lage eine Unsicherheit", berichtet die Ärztin.
Fehlende Ausstattung und die Suche nach einem Kinderwagen
Hinzu kam die Tatsache der übereilten Flucht. "Als ich das erste Mal mit ihr Kontakt hatte, lag sie auf der Station mit ihrem Kind ohne jeglichen Plan, wie es überhaupt weitergehen soll", erinnert sich Nathalie Welscher. Die Frau hatte kaum etwas dabei. Also startete die Ärztin über lokale Tauschbörsen und Foren einen Spendenaufruf, um eine Erstausstattung für die Ukrainerin zusammenzustellen. Dann sei sie die umliegenden Orte um Schweinfurt herum abgefahren und habe die Spenden eingesammelt. "Mir kann man diesen Aufwand zumuten. Mir, die Deutsch kann und mobil ist", sagt Welscher. "Das ist Jemandem, der ganz frisch angekommen ist und mit der Gesamtlage, inklusive einer frischen Entbindung, körperlich und psychisch nicht zumutbar."
Innerhalb weniger Tage, noch bevor die Frau am Freitag nach der Geburt das Leopoldina verlassen konnte, stand die Erstausstattung bereit: Kinderbett, Autoschale, Kleidung, Babybadewanne – und ein Kinderwagen. "Viele Sachen sind einfach aufzutreiben. Ein Kinderwagen ist eine Sache, die alleine vom Preislichen her da erheblich drüber liegt", sagt Nathalie Welscher. Doch auch dieser konnte über die Flohmarktgruppe des Celtis-Gymnasiums in Schweinfurt noch kurzfristig beschafft werden.
Ärztin war vorbereitet, die Frau zu Hause aufzunehmen
Während die frischgebackene Mutter noch im Krankenhaus war, ergab sich auch eine neue Wohnmöglichkeit für die junge Familie, die eine Freundin noch am Vorabend der Entlassung beziehen konnte. "Wir hatten die Möglichkeit, die Frau von hier in eine geregelte, schon vorbereitete Wohnsituation mit schon vor Ort befindlicher Erstausstattung zu entlassen", sagt Welscher. Hätte das nicht geklappt, hätte die Ärztin die Frau bei sich zu Hause aufgenommen. "Der Konsens war: Ganz egal, wohin es geht, es ist besser, wenn es nicht das Ankerzentrum ist."
Nathalie Welscher sagt, sie wisse, dass im Ankerzentrum noch weitere hochschwangere Frauen untergebracht seien. "Ich fürchte, solche Situationen werden erneut auf uns zukommen", sagt sie und formuliert gleichzeitig auch ein Ziel für die Zukunft: "Dass möglichst keine Frau in eine ungewisse Situation hinein hier die Entbindungsstation verlässt."
Und sollte ein ähnlicher Fall tatsächlich noch einmal eintreten, hat die Frauenklinik schon einen Plan in der Hinterhand. Über schulische Kontakte habe die Schülerin Miriam Ockel aus der Realschule in Arnstein von dem Fall gehört und habe helfen wollen, sagt Weigel. Sie habe an ihrer Schule die Koordination übernommen, wo im Bedarfsfall schnell eine Neugeborenen-Erstausstattung beschafft werden könne, erklärt der Chefarzt und resümiert zufrieden: "Auch der nächste Kinderwagen ist schon gesichert."
hoffentlich kann das neugeborene eines tages wieder mit seiner mami in die heimat zurück.
zählt es jetzt eigentlich dann als deutscher bürger oder ukrainischer?