Es sind existentielle Fragen, die auf den Plakaten der Krisendienste Bayern stehen: "Haben Sie keine Hoffnung mehr?" Oder: "Kommen Sie da alleine nicht mehr raus?". Das Krisennetzwerk Unterfranken bietet unter der gebührenfreien Nummer 0800/655 3000 seit März Hilfe an – seit Juli rund um die Uhr.
Am Dienstag wurde die Leitstelle des Krisennetzwerks offiziell auf dem Gelände des Bezirkskrankenhauses Lohr (Lkr. Main-Spessart) eröffnet. Leiterin ist Simona Kralik. Nicht alle des 14-köpfigen Teams konnten teilnehmen. Denn während der Festreden unter freiem Himmel waren die Telefone in der Leitstelle besetzt.
Mobile Einsatzteams für dringende Fälle
Jeder von uns könne in eine seelische Notlage geraten – "unabhängig von seinem Alter, seinem Geschlecht, seiner Herkunft oder seinem Beruf", sagte Bezirkstagpräsident Erwin Dotzel. Auslöser können Trauerfälle sein, Existenzverluste, Ehekonflikte, Überforderung, Krankheit, aber auch Einsamkeit, so Dotzel.
Die Leitstelle nimmt Anrufe entgegen und arbeitet mit Fachstellen zusammen. Darüber hinaus mit Trägern der freien Wohlfahrtspflege. In dringenden Fällen stehen mobile Einsatzteams bereit. Alexandra Blattner, Psychologin und Teamleiterin, schilderte ein Beispiel für die Zusammenarbeit: Der Rettungsdienst meldet sich bei der Leitstelle. Er sei gerade bei einer 45 Jahre alten alleinstehenden Frau, die aus Lebensüberdruss und Verzweiflung angerufen habe. Körperlich ginge es ihr gut, aber man mache sich ernstlich Sorgen, dass sie sich etwas antun könnte.
Die Frau war laut Blattner bereit, mit einer Agentin der Leitstelle zu sprechen. Weinend habe sie berichtet, dass sie erstmals das Gefühl habe, Dinge nicht mehr alleine bewältigen zu können. Sie wisse nicht mehr weiter. Blattner schildert, dass die Agentin entschied, ein Einsatzteam zur Frau zu schicken. Eine Stunde später sei es eingetroffen und "nahm sich Zeit, das Befinden und die Sorgen der Klientin zu verstehen", so Blattner. Daraufhin sei in Rücksprache mit der Leitstelle eine passende Versorgung erarbeitet worden.
Professor Dominikus Bönsch, Ärztlicher Leiter des Bezirkskrankenhauses Lohr und des Zentrums für Seelische Gesundheit (ZSG) in Würzburg, erläuterte anhand von Zahlen die Situation: 2020 gab es in Lohr rund 1600, im ZSG 800 Unterbringungen. Aber nur 30 führten zu Zwangsbehandlungen. Das stehe in keinem Verhältnis, so Bönsch. Das Krisennetzwerk sei deshalb eine gute Hilfe für Patienten und Angehörige, aber auch für Polizei und Behörden. Ziel der Beratungen sei, die hohe Zahl der Unterbringungen gegen den Willen der Patienten zu vermeiden.
Laut Paul Strobel, Mitglied der Steuerungsgruppe, seien Angehörige oft überfordert mit akuten Krisensituationen. Jetzt gebe es Hilfe. Simona Kralik bezeichnete den Messerangriff des Somaliers am 25. Juni in Würzburg als "Feuertaufe" für das Krisennetzwerk. Rund 20 Anrufe hätten danach über die Tage verteilt die Leitstelle erreicht: von Betroffenen oder Re-Traumatisierten. Anne-Katrin Jentsch, Psychiatriekoordinatorin und Inklusionsbeauftragte, hob den Netzwerkcharakter hervor. Jeder sei ein wichtiger Partner. Beim Namen "Krisennetzwerk" sei darauf geachtet worden, dass er frei von Symbolen sei, etwa zu nah an der Psychiatrie. "Eine Krise ist keine Erkrankung", so Kralik.