Mehr als eine Stunde lang donnern die Verteidigerinnen und Verteidiger gegen den neuen Sachverständigen. Den Mann, dessen Gutachten in dem 2019 ausgesetzten und jetzt wiederaufgenommenen Verfahren zum teilweisen Einsturz der Talbrücke Schraudenbach bei Werneck (Lkr. Schweinfurt) eine zentrale Rolle spielen soll. Er sitzt auf der einen Seite des Raumes, ihm gegenüber eine ganze Horde an Anwältinnen und Anwälten, von denen zumindest einige dem Gutachter misstrauen. Es folgen zwei Befangenheitsanträge.
Zwei von vier Verteidigungen werfen dem Gutachter fehlende Neutralität und Objektivität vor. Eine der Anwältinnen führt aus, er habe seine fachlichen Kompetenzen überschritten und nehme rechtliche Einordnungen vor. Erst nachdem der Gutachter ihren Mandanten in seinem Gutachten genannt habe, habe die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den 64-Jährigen aufgenommen. Ihr Mandant sei aber nie als Prüfingenieur in Erscheinung getreten, es habe auf dem Papier immer nur einen Prüfingenieur gegeben: den 59-Jährigen, ebenfalls angeklagt, damals vom Freistaat Bayern im Fall Talbrücke Schraudenbach beauftragt.
Verteidigung: Gutachter verfügt nicht über fachliche Kompetenz
Die Verteidigerin bemängelt auch, dass der neue Gutachter lediglich über Kompetenzen im Bereich Betonbau verfüge, nicht im Bereich Stahlbau, obwohl es sich in dem Fall um eine Stahlkonstruktion handele. Stattdessen habe er sich Hilfe "von einem richtigen Experten in dem Bereich" geholt. "Nichts hätte näher gelegen, als einen Sachverständigen auf dem Gebiet des Stahlbaus in der Bundesrepublik Deutschland zu beauftragen", findet der Anwalt des 59-jährigen Angeklagten. Er selbst habe einige Professoren abtelefoniert, keiner habe bestätigen können, dass das Gericht bei ihnen angefragt habe. Es folgt ein Antrag seinerseits, einen neuen Gutachter zu bestellen.
"Man ist nicht beschränkt auf einen Werkstoff als Ingenieur, ich kann auch Stahlkonstruktionen beurteilen", erklärt der Gutachter schließlich, nachdem er dem Gericht seinen Lebenslauf geschildert hat. Um zu erklären, dass er genug Kompetenzen besitze. 2015, als eine Brücke in Österreich einstürzte, unter der kurz zuvor ein Regionalzug mit 100 Kilometern pro Stunde durchgefahren war, war der Wiener Professor bereits als Gutachter tätig gewesen.
Für die Staatsanwaltschaft gibt es keinen Grund, den Sachverständigen abzulehnen. Dieser habe der Kammer mitgeteilt, dass er Hilfspersonen beauftragen wolle. Aus Sicht des Staatsanwaltes müsse der Gutachter zudem auch rechtliche Bewertungen vornehmen. "Man kann über alle Punkte diskutieren, aber eine Befangenheit lässt sich damit nicht begründen." Das Gericht wird in den kommenden Tagen über die Befangenheitsanträge entscheiden müssen.
Einige Zeugen machen von Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch
Insgesamt steht der Kammer ein komplexer Prozess bevor, in dem noch einige Zeugen aussagen sollen. Die Zeugenvernehmungen in diesem Verfahren gestalten sich allerdings schwierig, da einige der geladenen Personen 2021 selbst Beschuldigte waren, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt hatte. Das bedeutet vor Gericht jetzt, dass die Zeugen nach § 55 Strafprozessordnung "die Auskunft auf solche Fragen verweigern" können, mit deren Beantwortung sie sich selbst in Gefahr bringen, "wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden". Aufklärung sollen nun Polizeibeamte aus den Vernehmungsprotokollen der Männer liefern.
Bisherige Zeugenaussagen deuten darauf hin, dass der 59-Jährige einen alten Bekannten, den 64-jährigen, ebenfalls angeklagten Geschäftsführer einer befreundeten Firma, gefragt habe, ob er ihn bei dem Projekt unterstützen könne, da sein eigener Sachbearbeiter drei Monate verhindert sei. Der 64-Jährige habe zugestimmt und seinen Mitarbeiter, den 49-jährigen Angeklagten, als Sachbearbeiter zur Verfügung gestellt. Was bisher noch nicht geklärt ist: Hat der 59-Jährige nur den Sachbearbeiter der befreundeten Firma für sich arbeiten lassen oder auch dessen Vorgesetzten, den 64-jährigen Prüfingenieur? Und wer hat am Ende die Prüfung der Konstruktion übernommen?