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Schweinfurt
Gewerkschaftsbund Schweinfurt fordert eine stärkere Tarifbindung: Ohne wären es bis zu 2300 Euro weniger im Geldbeutel
Die sinkende Tarifbindung hat nicht nur soziale, sondern auch wirtschaftliche Folgen. Wo in der Region zuletzt um bessere Arbeitsbedingungen gekämpft wurde.
Beim Jahresempfang des DGB Unterfranken in Schweinfurt mahnte Regionsgeschäftsführer Frank Firsching vor der zunehmenden Tarifflucht in Unternehmen hierzulande.
Foto: René Ruprecht | Beim Jahresempfang des DGB Unterfranken in Schweinfurt mahnte Regionsgeschäftsführer Frank Firsching vor der zunehmenden Tarifflucht in Unternehmen hierzulande.
Marcel Dinkel
 |  aktualisiert: 16.10.2024 02:45 Uhr

Für ihn war es einer der Triumphe im Jahr 2024: Nach rund einem Jahr intensiver Verhandlungen, mehreren Streikaktionen und harten Auseinandersetzungen haben Betriebsrat Klaus Nürnberger und seine rund 600 Kolleginnen und Kollegen beim Backmaschinenhersteller MIWE in Arnstein
(Lkr. Main-Spessart) im Juli 2024 erfolgreich einen Tarifvertrag durchgesetzt. Zwei Stunden weniger Arbeit pro Woche, drei Prozent mehr Lohn und rund 1500 Euro Prämie obendrauf. 

Derartige Fortschritte in Sachen Tarifbindung sind für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DBG) noch kein Grund, sich zufriedenzugeben. "Uns als Gewerkschaften geht es darum, dass die Tarifbindung in der Bundesrepublik wieder steigt", verdeutlichte DGB-Bundesvorstand Stefan Körzell beim Welttag für menschenwürdige Arbeit in Schweinfurt.

Immer weniger Beschäftigte arbeiten tarifgebunden

2006 hat der internationale Gewerkschaftsbund den Welttag für menschenwürdige Arbeit ins Leben gerufen. Nicht nur wegen der katastrophalen Arbeitsbedingungen in Ländern wie Bangladesch, Pakistan oder Indien. Sondern auch wegen der Situation in Deutschland. Hierzulande hat die Tarifbindung von Betrieben in den vergangenen Jahren weiter abgenommen. So arbeitet die Hälfte aller Beschäftigten im Freistaat laut dem Bundesvorsitzenden nicht mehr nach Tarif. Oder anders ausgedrückt: "In Bayern verdient jemand 2300 Euro netto im Jahr weniger, […] wenn er nicht tarifgebunden ist", so Körzell.

DGB-Bundesvorstand Stefan Körzell, Betriebsrat Klaus Nürnberger, Unterfrankens DGB-Chef Frank Firsching und Betriebsrat Andreas Parr (von links) sprachen über die abnehmende Tarifbindung in deutschen Unternehmen.
Foto: René Ruprecht | DGB-Bundesvorstand Stefan Körzell, Betriebsrat Klaus Nürnberger, Unterfrankens DGB-Chef Frank Firsching und Betriebsrat Andreas Parr (von links) sprachen über die abnehmende Tarifbindung in deutschen Unternehmen.

Der DGB mahnte, dass immer mehr Unternehmen einzelne Abteilungen umstrukturieren und in eigene GmbHs ausgliedern. Dadurch fielen letztere aus den zuvor hart erkämpften Tarifverträgen mit den Gewerkschaften raus, wodurch sich die Unternehmen Geld sparen und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten meist drastisch verschlechterten. Längst sei Tarifflucht zu einer Art Geschäftsmodell geworden, erklärte Körzell.

Tarifflucht in der Industrie nimmt laut DGB zu

Eine Vorgehensweise, die neben niedrigeren Löhnen auch zu sinkenden Steuereinnahmen beim Staat führe. Laut DGB verliert Bayern so jährlich fast 5,7 Milliarden Euro an Sozialversicherungsbeiträgen und rund 3,6 Milliarden Euro an Einkommensteuer. "Wir wollen, dass sich das ändert", bekräftigte Körzell.

Aber nicht nur in mittelständischen Unternehmen würden immer öfter Abteilungen ausgelagert. Auch in großen Industriebetrieben wie ZF, Schaeffler oder SKF gebe es Ausgliederungen, erklärte Frank Firsching, Regionsgeschäftsführer des DGB-Unterfranken. Bislang galten der Industriesektor und der öffentliche Dienst als stabile Tarifbereiche. Vorgänge wie bei VW, wo der Konzern kürzlich einen laufenden Vertrag aufkündigte, oder die tariffeindliche Haltung internationaler Konzerne wie die des Paketlieferdienstes Amazon oder des Autobauers Tesla bereiten Beschäftigten und Gewerkschaften nach wie vor Probleme.

Kliniken versuchen Tarife mit Tochtergesellschaften zu umgehen

In den Augen von Stefan Körzell ein "Skandal", zumal die Unternehmen dort massiv von öffentlichen Investitionen profitierten. Doch die Tarifflucht zeige sich auch in der Region. Am Uniklinikum Würzburg beklagen die beschäftigten Servicekräfte seit Monaten eine vorherrschende Zweiklassengesellschaft.

Anstatt wie die Ärzte und Pflegekräfte beim Freistaat angestellt zu sein, gilt für die dortigen Reinigungs-, Transport- und Servicekräfte ein schlechter gestellter Tarifvertrag der abgespaltenen UKW Service GmbH. Die Servicegesellschaft wurde 2007 gegründet. Sie gehört zu 51 Prozent dem Uniklinikum und zu 49 Prozent dem privaten Nürnberger Reinigungsunternehmen Dorfner. Kein Einzelfall an den Krankenhäusern im Freistaat, sagte Frank Firsching. 

Mit Warnstreiks demonstrierten die Beschäftigten der UKW Service GmbH des Universitätsklinikums Würzburg in den vergangenen Monaten immer wieder für einen einheitlichen Tarifvertrag.
Foto: Daniel Peter | Mit Warnstreiks demonstrierten die Beschäftigten der UKW Service GmbH des Universitätsklinikums Würzburg in den vergangenen Monaten immer wieder für einen einheitlichen Tarifvertrag.

In Aschaffenburg haben der Betriebsrat und Gewerkschaften dank des politischen Drucks in letzter Sekunde verhindert, dass die dortige Klinik den bisher geltenden Tarifvertrag verlässt. Allerdings soll auch dort nun eine Tochtergesellschaft gegründet werden, erklärte der Betriebsratsvorsitzende Andreas Parr. Auch am Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus sind derartige Dienstleistungen an eine günstigere Servicegesellschaft ausgelagert.

DGB pocht auf Umsetzung des Tariftreuegesetzes im Bund

Um dem etwas entgegenzusetzen, fordert der DGB von der Bundesregierung, das Tariftreuegesetz als ein zentrales Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Zudem sollen öffentliche Aufträge künftig nur noch an Unternehmen mit Tarifbindung vergeben werden und alte Tarifverträge im Falle einer Aufspaltung eines Unternehmens so lange nachwirken, bis das Unternehmen mit der zuständigen Gewerkschaft einen Neuen geschlossen habe. Angesichts der Blockade der FDP seien die Erfolgsaussichten derartiger Vorhaben jedoch gering, meinte Körzell.

Bis die Gesetzgebung so weit ist, bleibt den Gewerkschaften also nichts anderes übrig, als ihre Forderungen mit politischem Druck vor Ort durchzusetzen. Am Uniklinikum Regensburg haben die Beschäftigten laut Frank Firsching mittlerweile die Anbindung der Servicekräfte am Tarifvertrag der Länder durchsetzen können. "Wir hoffen, dass bei der Servicegesellschaft in Würzburg das gelingt, was auch in Regensburg gelang."

 
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