Christian Keller, der Bürgermeister von Grafenrheinfeld, brachte es am Freitag nach der Sprengung der AKW-Kühltürme um 19.56 Uhr auf den Punkt: "Ich habe gemischte Gefühle. Es war hier meine Laufrunde, es war eine Landmarke und auch ein Stück erfolgreicher Grafenrheinfelder Geschichte." Natürlich war die Sprengung auch mit Emotionen für die Mitglieder der Redaktion des Schweinfurter Tagblatts verbunden. Wie wir den Tag erlebt haben bzw. welche Erinnerungen wir mit den Türmen und dem Kernkraftwerk verbinden, schildern wir hier.
1. Susanne Wiedemann
Um kurz nach 21 Uhr war ich noch immer nicht vom Sportplatz in Bergrheinfeld, wo ich die Sprengung verfolgt habe, wieder daheim in Schweinfurt. Stoßstange an Stoßstange ging es im Schritttempo durch Bergrheinfeld, bis Oberndorf hat es eine halbe Ewigkeit gedauert. Massen von Menschen waren unterwegs. Da sind mir Gedanken durch den Kopf gegangen, wie das denn mit einer Evakuierung hätte funktionieren sollen, wäre ein wie auch immer gearteter Störfall im aktiven Atomkraftwerk Grafenrheinfeld aufgetreten. Wie es wohl gewesen wäre, wenn tausende Menschen in Panik versucht hätten, aus der Gefahrenzone zu kommen?
Evakuierungspläne gab es ja, für die ganze Region. Bei bestimmten Windverhältnissen wären wir in Nüdlingen, wo ich aufgewachsen bin, auch betroffen gewesen. Es gab Familienmitglieder, die sich sicher waren, dass die Behörden das schon regeln werden und alle friedlich und ruhig dorthin fahren werden, wo sie hin sollen und dann alles gut wird. Ich war da immer skeptisch. Lag bestimmt auch an den älteren Schülern und einzelnen Lehrerinnen und Lehrern, die im Münnerstädter Gymnasium in den 70/80-Jahren mit "Atomkraft Nein-Danke-Aufklebern" herumgelaufen sind.
Seit der Heimfahrt am Freitag weiß ich, dass ich mit meiner Skepsis richtig gelegen bin. Deswegen bin ich auch nicht begeistert, dass in Grafenrheinfeld noch ziemlich lange radioaktiver Müll lagern wird.
2. Oliver Schikora
Ich bin nicht in der Region Schweinfurt aufgewachsen, weswegen die beiden Kühltürme als Landmarke für mich nicht die Bedeutung hatten wie für viele andere Menschen hier. Ich verstehe aber die Emotionen, die mit der Sprengung verbunden waren und vor allem, dass es noch für lange Zeit ungewohnt sein wird, wenn man sich rund um Schweinfurt aufhält, gen Süden blickt und keine Kühltürme mehr sieht.
An Tagen mit guter Fernsicht konnte man sie selbst vom Kreuzberg aus sehen. Nach der Sprengung am Freitagabend war ich aber froh: Denn sie war das richtige Zeichen, dass es endgültig keine Atomkraft mehr gibt. Ich hoffe darauf, dass der gesellschaftliche Konsens wächst, dass unsere einzige Zukunft im Sinne der Kinder und Enkelkinder nur die erneuerbaren Energien und nachhaltiger Klimaschutz sein können.
3. Lisa Marie Waschbusch
Von der Existenz der Kühltürme in Grafenrheinfeld weiß ich erst seit ein paar Jahren. Ich komme nicht aus der Region, und für mich kamen als Kind die Wolken immer aus anderen Schornsteinen. Ich habe die Türme ganz beiläufig fast jeden Tag auf dem Weg nach Schweinfurt aus der Ferne gesehen, ohne darüber nachzudenken. Am Montag wanderte mein Blick von der Autobahn aus wieder in die Richtung, doch da war nichts mehr. Ich kann verstehen, dass die Sprengung eine emotionale Sache für viele Menschen aus dem Raum Schweinfurt ist, ganz unabhängig davon, wie sie zur Atomkraft stehen. Selbst für mich fühlte sich das Landschaftsbild irgendwie "leer" an.
Und dennoch erinnere ich mich besonders an eine Autofahrt, es ist schon ein paar Jahre her, als ich auf einmal ziemlich nah an den Kühltürmen vorbeigekommen bin. Plötzlich war da kaum mehr Distanz, sie fühlten sich bedrohlich an. Am Freitag habe ich vom Adam-Tasch-Weg aus gesehen, wie sie gefallen sind, wie nur noch Staub übrigblieb. Und die Bedrohung? Irgendwie ist das Gefühl immer noch da.
4. Désirée Schneider
Eine Sache, die mich in der Debatte um die Sprengung in den letzten Tagen wirklich überrascht hat, ist die besondere Nostalgie, mit der viele Menschen aus der Region über die verschwundenen Kühltürme sprechen. Für viele scheint ihr Anblick selbstverständlicher Teil ihres Heimatgefühls gewesen zu sein – immerhin haben die Türme über Jahrzehnte hinweg die Identität der Region stark mitgeprägt. Ich kann deshalb durchaus nachfühlen, warum ihr Anblick vielen fehlen wird, auch wenn ich zugeben muss, dass er für mich, die weder in der Region aufgewachsen ist noch dort wohnt, immer etwas Befremdliches hatte.
Als ich vor gut zwei Jahren begonnen habe, nach Schweinfurt zu pendeln, wirkten die Türme auf mich noch beinahe bedrohlich. Zu ungewohnt war das Bild, zu präsent der Gedanke an Reaktorunfälle und ungelöste Endlagerproblematiken. Trotzdem sind die Türme auch für mich mit der Zeit zu einer Art Fixpunkt geworden. Wie oft habe ich sie vom Bahnfenster aus hinter gelben Rapsfeldern auftauchen sehen? Ein Anblick, der heute Morgen das erste Mal ausblieb. Und ich muss gestehen: Auch mir werden sie – wenn auch als Mahnmal an eine zu Recht überholte Form der Energiegewinnung – dann wohl doch ein bisschen fehlen.
5. Marcel Dinkel
Für jemanden, der eineinhalb Stunden entfernt von Schweinfurt aufgewachsen ist, spielte Kernkraft lange nur eine fiktive Rolle in meinem Leben, nämlich in Form der US-Zeichentrickserie "Die Simpsons". Der gelbe Homer und seine schrulligen Kollegen haben mir trotz meiner grundlegenden Skepsis gegenüber Atomkraft immer auch eine sympathische Vorstellung von der Arbeit und dem Leben mit einem Kernkraftwerk vermittelt.
An dem Tag, als ich das erste Mal nach Schweinfurt kam und etwas später auch die Kühltürme in Grafenrheinfeld vor mir stehen sah, fand ein Bruch mit dieser Fiktion statt. Mir wurde auf einen Schlag bewusst, wie nah mir und den Menschen hier doch diese ständige Bedrohung in Wirklichkeit immer war. Die beiden Kühltürme standen für mich als ein Mahnmal dieser Zeit. Nun sind sie weg. Zurück bleiben der radioaktive Abfall und die Bedrohung, die auch noch in Zukunft von hier ausgeht.
6. Josef Schäfer
Gefühlt habe ich fast mein gesamtes Berufsleben mit dem Atomkraftwerk zu tun. Ich kenne es, als es im Vollbetrieb lief. Ich kenne es, eingehüllt in einen orangen Arbeitskittel und mit mehrfachen Stoff-Überschuhen während der Revision. Ich kenne den Blick in das Abklingbecken, in dem in Blau schimmerndem Wasser die Brennelemente standen. Scheinbar harmlos und doch eine unvorstellbare Urgewalt, die da unten schlummerte.
Und ich habe viele Menschen kennengelernt, die dort arbeiteten oder dort noch beschäftigt sind. Egal, wie man zur Atomtechnik steht, ich hatte immer den Eindruck, dass der Anspruch stets lautete, mit möglichst hoher Professionalität die Aufgabe zu erledigen. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass dort Menschen mit technischem Übermut oder reinem Gottvertrauen am Werk sind, die unverantwortliche Dinge tun, wie sie etwa die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ausgelöst haben. Mit den Jahren und nach Ende des Leistungsbetriebs hat sich auch die oft skeptische Haltung zu uns Medienschaffenden verändert. Jetzt ist das Verhältnis von großer Transparenz geprägt, die auch gegenüber der Bevölkerung genauso angebracht ist.
Die Sprengung der Kühltürme war für mich kein emotionales Ereignis. Eher ein technisches Spektakel. Und eben ein weiterer Schritt des Rückbaus, der noch Jahre andauern wird. Denn auch dessen bin ich mir bewusst: Mein Beruf und das Atomkraftwerk werden wohl weiter miteinander verknüpft bleiben, denn das Atomzeitalter in Grafenrheinfeld ist noch lange nicht zu Ende.
7. Stefan Pfister
Die Kühltürme haben mich fast mein ganzes Leben begleitet. Aufgewachsen bin ich in Sennfeld, als ein Kind der 1970er-Jahre, und seitdem ich mich erinnern kann, waren sie einfach da. Wie für viele andere Menschen wurden sie auch für mich zu einem Stück Heimat. Die Sprengung wollte ich mir nicht entgehen lassen. Wir, meine Familie und Eltern, hatten uns ein gemütliches Plätzchen auf den Mainwiesen unterhalb der Hahnenhügelbrücke ausgesucht, abseits des ganzen Trubels. Zwar nicht mit perfekter Sicht, dafür aber fast allein. Auf einer Picknickdecke warteten wir auf den großen Knall, der nicht kam.
Da fiel mir in der Zwischenzeit ein Artikel dieser Redaktion ein, der während meiner Kindheit an der Pinnwand in unserer Küche hing. "Wenn der Tag X kommt" stand dort zu lesen. Es ging darin um die Evakuierung im Falle eines Strahlenunfalls. Je nach Gefahrenzone hätten sich die Menschen an Sammelstellen einfinden müssen und wären mit Bussen weggebracht worden. Unseren Evakuierungsort weiß ich bis heute: Es wäre Scheinfeld im Landkreis Neustadt/Aisch gewesen. Das allein verdeutlichte mir, trotz wehmütiger Gefühle, dass der Atomausstieg die richtige Entscheidung war.
Weil wir am Freitag wegen der Verzögerung so ins Gespräch vertieft waren und die Detonation in Schweinfurt nicht zu hören war, verpassten wir den Einsturz des ersten Turms. Plötzlich stand nur noch einer, und der stürzte sogleich in sich zusammen. Mein Handy-Video ist recht kurz ausgefallen, die Erinnerungen sind dafür umso ausgeprägter.
8. Anand Anders
Als Fotograf im Fototeam der Main-Post wollte ich unbedingt die Sprengung in voller Länge einfangen. Dazu hatte ich, mit Zustimmung von Preussen Elektra, eine zweite Kamera mit Timer direkt vor den Kühltürmen im Sperrgebiet platziert. Die Kamera begann um 18.29 Uhr selbstständig zu fotografieren und hörte nach 999 Aufnahmen auf. Die verspätete Sprengung um 19.56 Uhr war für die Kamera zu spät. Wenn sie auf den Strommast statt auf die Kühltürme fokussiert gewesen wäre, hätte ich womöglich auch den Pro-Atomkraft-Aktivisten im Kasten gehabt. Schade!
Was sie als Shitstorm bezeichnen, ist für andere eine durchaus legitime und freie Meinungsäußerung.
Sie sollten andere Meinungen genauso achten, wie sie es wünschen, dass man ihre Aussagen ernst nehmen sollte.