Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen, aber es gab Zeiten, in denen Gerolzhofen sich ein Atomkraftwerk wünschte. Mehrere Jahre bevor ein solches in Grafenrheinfeld errichtet wurde, bemühten sich einflussreiche Personen heimlich, still und leise um den Bau einer solchen Anlage.
In die Öffentlichkeit drang von diesem Ansinnen im Jahr 1967 kaum etwas. Im Stadtarchiv finden sich dennoch einige Schriftwechsel zu dem Thema. Seinen Ausgang nahm die Idee in einer Versammlung des ehemaligen Gerolzhöfer Verkehrsvereins. Dieser setzte sich für die wirtschaftliche Stärkung der Stadt ein.
Vorstoß in einer Versammlung des Verkehrsvereins
Bei dem Treffen am 21. April 1967 hatte der Bundestagsabgeordnete Max Schulze-Vorberg (CSU), der von 1965 bis 1976 den Wahlkreis Schweinfurt vertrat, die Errichtung eines "Atomreaktors" im Wirtschaftsraum Gerolzhofen ins Spiel gebracht. Bereits drei Tage später schrieb die Stadt an Schulze-Vorberg, "daß der Stadtrat an der Untersuchung dieser Frage sehr interessiert ist".
Unterschrieben ist der Brief unter anderem vom damaligen stellvertretenden Bürgermeister Julius Zink. Dieser bat den Abgeordneten, sich über die Voraussetzungen für ein geeignetes Gelände und zum möglichen Termin bei den zuständigen Ministerien zu erkundigen.
Noch am selben Tag ging ein weiteres Schreiben der Stadt an die Bezirksplanungsstelle Unterfranken in Würzburg raus. Darin fragte der Zweite Bürgermeister an, ob Untersuchungen in diese Richtung angestellt würden. Das ländliche geprägte Gerolzhofen wollte zu jener Zeit die Ansiedlung eines "nennenswerten Industriebetriebs" oder mehrerer Kleinbetriebe forcieren.
Keine nennenswerten Industriebetriebe in Gerolzhofen
Erstmals im Stadtrat tauchte das Thema zwei Wochen später, am 8. Mai, auf, allerdings nur im nicht-öffentlichen Teil. Im Sitzungsprotokoll sind nur wenige Zeilen dazu verfasst.
Bürgermeister Franz Kreppel hatte nach zuvor erfolglosen Versuchen verstärkte Bemühungen um die Ansiedlung von Industriebetrieben bekannt gegeben, darunter BASF und AEG sowie "einen Atomreaktor nach Gerolzhofen zu bringen". Der Beschlussfassung stimmten alle elf anwesenden Ratsmitglieder zu.
Einen ersten Dämpfer erhielten die Wunschvorstellungen der Stadt am 25. Mai 1967. Der Bundestagsabgeordnete hatte zwischenzeitlich beim Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung nachgefragt. Dort erfuhr Schulze-Vorberg, dass zwar die verkehrstechnischen Vorzüge von Gerolzhofen von Bedeutung seien. Ebenso wichtig sei aber seine Entfernung zum Absatzgebiet und zur nächsten Hochspannungsüberleitung.
Bundesministerium und Bayernwerk sahen keine Chance
Für Minister Gerhard Stoltenberg schien Gerolzhofen vor allem aus dem zweiten Grund "nicht besonders günstig zu liegen." Zusätzlich informierte das Ministerium darüber, dass das Gelände für ein AKW an einem Fluss liegen sollte.
Diese Information erhielt die Stadt am 12. Juni nicht direkt, sondern über den Landrat des damals noch existenten Landkreises Gerolzhofen übermittelt. Daraufhin notierte Bürgermeister Kreppel handschriftlich auf dem eingegangenen Schreiben, dass in der nächsten Werkausschusssitzung über das "Stromproblem" berichtet werden solle.
Flugs machte er sich daran, im Namen der Stadtwerke Gerolzhofen zugleich bei der Bayernwerk AG, Überlandzentrale Lülsfeld (ÜZ) und beim unterfränkischen Überlandwerk in Würzburg anzufragen, "ob bei Ihren Großraumplanungen weitere Bemühungen von uns eventuell Erfolg haben könnten".
Die Antworten fielen allesamt negativ aus. Das Bayernwerk teilte mit, dass "im Raum Gerolzhofen keinerlei Planung für ein Kernkraftwerk vorliegt. Nach unserer überschlägigen Beurteilung dürfte dieser Raum für die Errichtung von Kernkraftwerken allerdings nicht geeignet sein", heißt es in dem sieben Zeilen kurzen Schreiben am 23. Juni.
Raum Gerolzhofen bräuchte größeren Fluss
Die Stadt sah daraufhin ein, dass weitere Anstrengungen keinen Sinn machten. In einem letzten Brief informierte der Bürgermeister den Bundestagsabgeordneten über die Absagen. Zwar könnte die Stadt das benötigte Grundstück von drei Hektar (für ein Kernkraftwerk mit 200 bis 500 Megawatt Leistung) bereitstellen. Welches er konkret im Sinn hatte, geht aber aus den vorliegenden Unterlagen nicht hervor.
"Jedoch können wir keinen größeren Fluß nach Gerolzhofen bekommen", meinte Kreppel resignierend. Er sprach damit die zu kleine Volkach an, die für die nötige Kühlung des Kraftwerks nicht ausgereicht hätte. Im Gegensatz zur Gemeinde Grafenrheinfeld, die Jahre später mit dem Main ein besseres Argument für sich hatte.
Als Hauptgrund für die Beendigung aller Anstrengungen nannte der Bürgermeister ein anderes Problem: Der nächste Versorgungsschwerpunkt sei zu weit von Gerolzhofen entfernt. Mit seiner Vermutung, dass dieser "wohl im Raum um Frankfurt" sei, lag Kreppel jedoch falsch.
Ab 1972 Widerstand in der Stadt gegen AKW
Als der Grafenrheinfelder Rat dem AKW-Bau durch die Bayernwerk AG zwei Jahre später, im August 1969, zustimmte, formierte sich allmählich Widerstand, auch in Gerolzhofen. Bürgermeister Franz Kreppel, der zugleich Kreisrat war, wurde zunächst von seinem Kreistagskollegen Reinhard Lehr über die "Bürgeraktion Umwelt und Lebensschutz e.V." informiert.
Lehr bat ihn im September 1972, bei der Abstimmung gegen das Kernkraftwerk Stellung zu beziehen und die Sorgen der Kreisbevölkerung ernst zu nehmen, "die in fast 33.000 Unterschriften ihren Niederschlag fanden."
Bereits einige Wochen zuvor hatte es eine Anti-Atomkraftwerk-Aktion in Gerolzhofen gegeben. Am 10. August 1972 startete die Jugendgruppe Studio 20, die sich 1968 aus der Ortsgruppe des Vertriebenenverbandes "Deutsche Jugend des Ostens" (DJO) herausgelöst hatte, eine mehrtägige Unterschriftenaktion. Zuvor hatte sie die behördliche Erlaubnis erhalten, dazu einen Tisch und Stuhl auf dem Marktplatz aufstellen zu dürfen.
Ein Großteil der Passanten sei für die Idee zu gewinnen gewesen und viele Einwohner leisteten gerne ihre Unterschrift, heißt es in einem Zeitungsbericht. Schließlich kamen rund 12.000 Unterschriften zusammen. Verhindern konnten diese den Bau und die Inbetriebnahme aber nicht.