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GEROLZHOFEN
Gerolzhofen bot sich in den Sechzigern als Atomkraftwerk-Standort an
Dieser Kelch ging an Gerolzhofen vorüber: Im Jahr 1975 begannen die Schalungsarbeiten für den Atommeiler bei Grafenrheinfeld. Jahre zuvor hatte auch Gerolzhofen Interesse gezeigt.
Foto: KKG | Dieser Kelch ging an Gerolzhofen vorüber: Im Jahr 1975 begannen die Schalungsarbeiten für den Atommeiler bei Grafenrheinfeld. Jahre zuvor hatte auch Gerolzhofen Interesse gezeigt.
Redaktion
 |  aktualisiert: 13.01.2014 18:27 Uhr

Die einen können es kaum erwarten, die anderen fürchten, dass im Industriestaat Deutschland dann ab und zu mal die Lichter ausgehen werden: In nicht mal mehr zwei Jahren wird das Kernkraftwerk in Grafenrheinfeld abgeschaltet – wenn man der Politik glaubt. Allerdings haben solche Beschlüsse erfahrungsgemäß eine deutlich kürzere Halbwertszeit als die strahlenden Abfälle aus dem Atommeiler. Apropos Kernkraftwerk: Auch Bürgermeister und der Stadtrat von Gerolzhofen hatten sich Mitte der sechziger Jahre bemüht, einen Atomreaktor ins Steigerwaldvorland zu bekommen.

Alles nahm seinen Anfang mit einem Vortrag des damaligen Bundestagsabgeordneten Max Schulze-Vorberg. In einer Versammlung des Gerolzhöfer Verkehrsvereins (quasi der Vorgänger von Förderkreis und Gerolzhofen-aktiv) brachte der CSU-Mandatsträger im Frühjahr 1967 die Region Gerolzhofen als Standort eines Atomkraftwerks ins Gespräch. Ganz offenbar, aber das ist durch Akten nicht zu belegen, hatte Schulze-Vorberg in Bonn Wind davon bekommen, dass an höchster Stelle darüber nachgedacht wird, in Unterfranken einen Atommeiler zu bauen. Landrat und Stadt sollten sich bemühen, so Schulze-Vorberg, ob der Reaktor nicht hier in der Region errichtet werden könnte.

Hintergrund dieser Überlegungen war das intensive, letztlich aber immer wieder gescheiterte Bemühen der Stadt unter dem damaligen Bürgermeister Franz Kreppel (Parteiloser Fortschrittsblock/Freie Wähler), im ländlich geprägten Gerolzhofen mit seinen kleineren Handwerksbetrieben eine nennenswerte Industrie anzusiedeln.

Kurz nach der Versammlung des Verkehrsvereins nahm die Stadt auch schon das Heft in die Hand. Der damals amtierende 2. Bürgermeister von Gerolzhofen, Julius Zink (ebenfalls Parteiloser Fortschrittsblock/Freie Wähler), schrieb am 24. April 1967 einen Brief an die Bezirksplanungsstelle in Würzburg und erkundigte sich, ob die Planungsstelle die Ansiedelung eines Atomreaktors im Raum Gerolzhofen gut heißen würde. Es wäre ihm aber lieber, so betonte der 2. Bürgermeister unumwunden, wenn es gelänge, statt des Kernkraftwerks „einen nennenswerten Industriebetrieb nach Gerolzhofen zu bringen“. Noch am gleichen Tag formulierte Zink einen weiteren Brief an den Abgeordneten Max Schulze-Vorberg. Dieser solle sich bittschön in Bonn nach den Voraussetzungen für den Bau eines Atomreaktors erkundigen, insbesondere hinsichtlich des benötigten Platzes, der Erschließbarkeit – und der Auswirkungen auf die Umwelt.

Schulze-Vorberg kontaktierte daraufhin das Bundesforschungsministerium in Bad Godesberg. Gerhard Stoltenberg, damals unter Bundeskanzler Ludwig Erhard Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, versprühte am 25. Mai 1967 in seinem Antwortschreiben an den Abgeordneten wenig Optimismus. Gerolzhofen liege für ein Atomkraftwerk nicht besonders günstig, weil der Abstand zum nächsten „Versorgungsschwerpunkt“ zu groß sei. Und dann schreibt Stoltenberg noch einen entscheidenden Satz: Das Baugelände sollte an einem Fluss liegen.

Mit Schreiben vom 19. Juni 1967 fragt Bürgermeister Franz Kreppel beim Bayernwerk in München nach, ob Gerolzhofen „bei den Großraumplanungen“ des Energieversorgers überhaupt Aussicht auf Erfolg habe. Die Antwort aus der Konzernzentrale, die schon nach drei Tagen kommt, ist zwar höflich, aber unmissverständlich formuliert: Gerolzhofen ist nicht geeignet. Im gleichen Tenor gehalten sind übrigens auch die Antworten, der Bürgermeister von der Überlandzentrale Lülsfeld und vom Unterfränkischen Überlandwerk Würzburg erhält.

Bürgermeister Kreppel realisiert die Aussichtslosigkeit der Idee. Am 28. Juni 1967 schreibt er, die Stadt hätte selbstverständlich die benötigte Fläche für ein Atomkraftwerk bereitstellen können. Und dann fügt er nicht ohne Ironie hinzu: „Jedoch können wir keinen größeren Fluss nach Gerolzhofen bekommen.“

Der Main ist ein solcher Fluss. Der kleine Volkachbach konnte da nicht mithalten. Und so kam es, dass nur wenige Jahre später der AKW-Standort bei Grafenrheinfeld ausgewählt wurde. Am 13. Januar 1972 ging die Projektbeschreibung für einen Atommeiler bei Grafenrheinfeld bei der Stadtverwaltung ein.

Es entwickelte sich eine Widerstandsbewegung, wie sie die Region noch nicht gesehen hatte. Auch in Gerolzhofen gingen Aktivisten auf die Straße. Schon im August 1972 wird vom Verwaltungsoberinspektor Theodor Kirner der Antrag eines Gerolzhöfers genehmigt, auf dem Marktplatz einen Tisch mit Stuhl aufstellen zu dürfen, um Unterschriften gegen das AKW zu sammeln. Auch die Jugendgruppe „Studio 20“ der DJO (Deutsche Jugend des Ostens), der Nachwuchs einer Vertriebenenorganisation, die sich damals im Scherenbergturm traf, baute einen Stand in der Stadtmitte auf. Binnen weniger Tage kamen 12 000 Unterschriften zusammen.

Der erbitterte Widerstand konnte aber nicht verhindern, dass das AKW gebaut wurde. Am 9. Dezember 1981 ging es in Betrieb. Nun ist die Abschaltung des Meilers für den 31. Dezember 2015 vorgesehen. In Grafenrheinfeld. Und nicht in Gerolzhofen.

 
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