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GRAFENRHEINFELD
Proteste gegen das KKG: Einsicht erst nach zweitem Super-GAU
Der Protest gegen das Kernkraftwerk in Grafenrheinfeld begann zwölf Jahre vor der Inbetriebnahme 1981 und sorgte für viele erstaunliche politische Bündnisse
Klare Botschaft: Nein zur Atomkraft.
| Klare Botschaft: Nein zur Atomkraft.
Hannes Helferich
Hannes Helferich
 |  aktualisiert: 17.10.2017 11:41 Uhr

Am 30. Dezember 1981 produziert das Atomkraftwerk in Grafenrheinfeld den ersten Atomstrom. Der Protest gegen das Kernkraftwerk vor den Toren der Stadt Schweinfurt begann schon zwölf Jahre davor. Im Juli 1969 waren die Pläne der Staatsregierung erstmals durch einen Presseartikel bekannt geworden. Es fand zwar sofort eine öffentliche Diskussion statt, die aber wieder abebbte. Bis – erneut in dieser Zeitung – im Juni 1972 mehr Details über den Bau des Atomkraftwerkes bekannt wurden.

Nun beschäftigte das Thema die Menschen und Kommunalpolitik. Man will den Widerstand organisieren. Eine Vorbereitungsgruppe lädt am 18. Juli 1972 in die Stadthalle Schweinfurt ein. Über 800 besorgte Bürger kommen, 343 tragen sich in eine vorläufige Mitgliederliste zur Gründung einer Bürgerinitiative ein.

Am 26. Juli lehnt der Stadtrat von Schweinfurt den Bau des AKW in Grafenrheinfeld einstimmig ab. Am gleichen Tag treffen sich etwa 150 Bürger und beschließen die Gründung der „Bürgeraktion Lebens- und Umweltschutz“, die zwei Kernziele hat: Den Bau des AKW verhindern und einen umfassenden Umweltschutz.

Fotoserie

Am 11. August erfolgt die formelle Gründung. Im Vorstand der Bürgerinitiative sitzen Amtsträger. Vorsitzender ist FDP-Stadtrat Karl Riederer, sein Stellvertreter der gerade zum Bürgermeister gekürte spätere OB (1974) Kurt Petzold (SPD), weitere Vorstände sind CSU-Stadtrat German Cramer und Bergrheinfelds Bürgermeister Karl Hussy.

Dann ging der Protest richtig los

Jetzt geht der Protest richtig los; mit Informations- und Diskussionsveranstaltungen, Unterschriftensammlungen, Demonstrationen. Es werden Briefe an Politiker geschrieben, Eingaben an Parlamente verschickt. Und: Man beschäftigt sich intensiv mit den Klagen gegen das Atomkraftwerk. „Der juristische Klageweg bildete einen Schwerpunkt in der Zusammenarbeit der Bürgeraktion mit der Stadt“, schildert der heutige Vorsitzende der BA-Bi, Hubert Lutz.

Der Stadtrat hatte sich ja schon gegen den Bau des Atomkraftwerkes ausgesprochen, die Stadt klagt gegen die Errichtung. Nach mehreren, allerdings für die Kläger ungünstig verlaufenen Gerichtsurteilen, verzichtet die Stadt aber ab April 1983 auf weitere Klagen.

Petzold, da längst OB, hatte es im Lauf der Jahre immer weniger für ratsam gehalten, ständig „volle Kanne“ zu fahren, weil er seine Zeit und die der Rathausmitarbeiter besser für Infrastrukturmaßnahmen wie den damaligen Bau des neuen Krankenhauses oder die in jener Zeit entstandenen Stadtteile investierte.

Die erste Groß-Demo

Aber noch mal zurück: Am 10. August 1974 erlebt Schweinfurt eine erste Groß-Demonstration. Noch mehr Bürger gehen am 19. April 1975 auf die Straße: 10 000 füllen den Rathaus-Innenhof und den Marktplatz davor. Eine für den Herbst 1977 geplante weitere Großdemo wird aufgrund der gesamtpolitischen Lage in der Bundesrepublik – Heißer Herbst, Aktivitäten der RAF – aber abgesagt. In der Bürgeraktion und in der regionalen Anti-Atombewegung löst diese Entscheidung „große Kontroversen aus“.

Ende 1981 geht das Atomkraftwerk in Betrieb. Damit und spätestens mit der Aufgabe des Klageweges durch die Stadt beginnt der Widerstand gegen das Atomkraftwerk zu bröckeln. Dann geschieht Tschernobyl. Die atomare Katastrophe am 26. April 1986 schreckt die Menschen wieder auf.

Es kommt zu neuen Protesten und wegen der Inaktivität der Bürgeraktion bildete sich im Mai 1986 neu die „Bürgerinitiative gegen Atomanlagen“. Beide Gruppen vereinigten sich aber im Juni 1986 zur BA-BI, der Kurzform der „Bürgeraktion Umwelt und Lebensschutz-Bürgerinitiative gegen Atomanlagen“. Ihr erster Vorsitzender ist der heutige Rathenau-Chef Uli Wittmann.

Grüße aus Wackersdorf

Tschernobyl treibt nun die BA-BI an. Wegen der Sorgen vieler Bürger über strahlenbelastete Lebensmittel richtet sie eine Meßstation ein. Im Zusammenarbeit mit der Initiative Müll und Umwelt wird ein Meßnetz im Umkreis des Atomkraftwerkes initiiert. Nach Einführung des so genannten Wallmann-Ventils und der Nutzung von Plutonium in den Brennstäben organisiert und finanziert die BA-BI wieder Klagen gegen die atomrechtlichen Änderungsgenehmigungen. Und sie zeichnet für neue Demonstrationen verantwortlich. Der damalige Protest um die atomare Wiederaufarbeitunsanlage in Wackersdorf fördert eine verstärkte Zusammenarbeit mit der bundesdeutschen Anti-Atom-Bewegung.

Die BA-BI setzt sich auch mit Fragen des Katastrophenschutzes, den Gesundheitsschäden in der Umgebung von Atomanlagen, Atomausstieg, Energiewende und anderen diesbezüglichen Fragen auseinander. Sie zeigt vielfältige Aktionsformen, befragt Bürger, sammelt Unterschriften, veranstaltet Informationsforen und immer wieder Demonstrationen.

1998 beschließt die rot-grüne Regierung den so genannten ersten Atomausstieg. Die Anti-Atombewegung, und damit auch die BA-BI, wendet sich wegen der angekündigten Zwischenlager dagegen. Diese Auseinandersetzung und die folgende „politische Wende von der Energiewende“ prägen die BA-BI-Aktivitäten.

Anfang 2010 gründet sich das Aktionsbündnis gegen Atomkraft. Kernziel der darin vereinten Gruppen ist laut einem Thesenpapier sich „parteiübergreifend für eine Zukunft mit autarker, atomfreier und klimaneutraler Energie einzusetzen“. Man will alle Atomkraftwerke abgeschaltet haben und fordert die „umweltverträglichste Auflösung aller Atommülllager in Deutschland“, also auch in Grafenrheinfeld.

Dann kommt der 11. März 2011, der Super-GAU von Fukushima. Eine eigentlich zum 25. Jahrestag von Tschernobyl geplante Veranstaltung im April 2011 wird zur größten Anti-Atom-Demo der Region. Auf der dem KKG gegenüberliegenden Mainseite drücken über 15 000 Menschen ihren Protest aus. Fukushima bewirkt den Entschluss der Bundesregierung, jetzt doch aus der Atomenergie auszusteigen.

Lutz, seit 1995 BA-BI-Chef, und Anti-Atombündnis-Sprecherin Babs Günther sagen, dass man wegen der Gefährdungen durch das Zwischenlager und den Rückbau nicht stillhalten werde. „Die BA-BI versteht sich als Teil der mittlerweile weltweiten Anti-Atombewegung und ist mit ihren Tätigkeiten in das regionale Schweinfurter Aktionsbündnis gegen Atomanlagen eingebunden“, sagt Lutz.

April 2011: Die größte Demo gab es wegen Fukushima in Bergrheinfeld.
| April 2011: Die größte Demo gab es wegen Fukushima in Bergrheinfeld.
bbb
Foto: Helferich | bbb
Kreativ: Atomkraftgegner in Bergrheinfeld.
| Kreativ: Atomkraftgegner in Bergrheinfeld.
Mal richtig abschalten: Dieser Wunsch geht jetzt in Erfüllung.
| Mal richtig abschalten: Dieser Wunsch geht jetzt in Erfüllung.
Demo: Ohne Worte.
| Demo: Ohne Worte.
Ballons als Symbol für eine kontaminierte Wolke.
| Ballons als Symbol für eine kontaminierte Wolke.
Massenprotest nach Fukushima.
| Massenprotest nach Fukushima.
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