
In Krankenhäusern, Praxen, Notaufnahmen: Bundesweit fehlen immer mehr Ärztinnen und Ärzte. Mediziner aus dem Ausland könnten Lücken schließen. Deutschland aber macht es ihnen schwer. Wer nicht aus der EU kommt, muss oft Monate, manchmal Jahre warten. "Es funktioniert nicht, die Bürokratie ist unbeschreiblich", sagt Dr. Jessica Körber. Die Chirurgin ist leitende Oberärztin am Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt und versucht derzeit verzweifelt, zwei ausländischen Kollegen zu helfen.
Beide wollen arbeiten und werden angesichts des Ärztemangels dringend gebraucht. Beide sprechen flüssig Deutsch und sind laut Körber qualifiziert. Beide hätten in Schweinfurt eine Arbeitsstelle. Und doch werden sie seit Monaten ausgebremst. Für Körber ist das unverständlich: "Ich frage mich, wie es überhaupt jemandem gelingt, hierher zu kommen und zu arbeiten."
Fall 1: Ein Kinderarzt aus Kabul versucht seit über einem Jahr nach Schweinfurt zu kommen
Seit über einem Jahr versuche sie einen Kinderarzt aus Afghanistan ans Leopoldina-Krankenhaus zu holen, erzählt Körber. Der Mediziner war selbst als Kind in Unterfranken operiert worden und seitdem immer wieder in Deutschland. "Und ich dachte, da schreibt man einen Antrag und dann läuft das", sagt Körber. "Da lag ich völlig falsch." Obwohl im Raum Schweinfurt allein im ambulanten Bereich rund 1500 Kinder unversorgt sind, obwohl Kinderärzte händeringend gesucht werden und in Kinderkliniken Personalnot herrscht. Wie kann das sein?
Die Geschichte beginnt Anfang der 1990er Jahre. Im Krankenhaus in Ochsenfurt (Lkr. Würzburg) wurde damals ein elfjähriger Junge aus Afghanistan behandelt. Monatelang habe er mit einer Knochenentzündung im linken Bein auf der Station gelegen, erzählt Ghezaluddin Moradi in flüssigem Deutsch im Telefonat mit dieser Redaktion. "Dort habe ich Frau Körber kennengelernt."
Im Februar 1993 kehrte Moradi zurück in seine Heimat, lernte in der Schule Deutsch, studierte Medizin in Kabul und wurde Kinderarzt. Der Kontakt nach Deutschland blieb erhalten, noch während der Ausbildung arbeitete er mit einem Stipendium eineinhalb Monate in Mainz, später hospitierte er an Kliniken in Hessen.

Heute ist Moradi als Kinderarzt und Kinder-Diabetologe am Krankenhaus in Kabul tätig, lebt mit seiner Familie in der afghanischen Hauptstadt. Dort aber werde die Sicherheitslage immer schlechter, sagt der vierfache Vater. Berufliche Perspektiven gebe es kaum. Deshalb versuche er "seit langem mit Frau Körbers Hilfe nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten".
Vom Leopoldina-Krankenhaus hat der Kinderarzt aus Kabul bereits eine Zusage
Stapelweise Unterlagen habe er eingeschickt, erzählt der 43-Jährige. Mitte Dezember soll er nun nach Pakistan reisen, um dort am Goethe-Institut an der Sprachprüfung teilzunehmen. In Kabul gebe es kein Goethe-Institut und keine deutsche Botschaft mehr.
Wenn er die Prüfung bestehe, habe er Ende Januar endlich einen Termin bei der Botschaft in Islamabad für das Visum für Deutschland. Allein darauf "musste ich mehr als ein Jahr warten", sagt Moradi. Trotzdem ist er zuversichtlich. Vom Leopoldina-Krankenhaus habe er bereits eine Zusage als Assistenzarzt in der Kinderabteilung. "Ich hoffe, dass es Anfang nächsten Jahres klappt – ich werde kommen", sagt Moradi.
Für Oberärztin Jessica Körber wäre das ein Lichtblick. Der ganze Prozess sei zermürbend, sagt sie. Um Moradi zu helfen, habe sie sich durch unzählige Internetseiten gewühlt, die immer gleichen Dokumente bei verschiedenen Behörden eingereicht. "Zwischendrin ist auch mir fast die Luft ausgegangen."
Wie die Anerkennung ausländischer Ärzte in Deutschland geregelt ist
Generell gilt: Um als Arzt oder Ärztin aus dem Ausland in Deutschland tätig zu sein, ist eine Zulassung nötig – entweder eine dauerhafte Berufszulassung (Approbation) oder eine Erlaubnis zur vorübergehenden Berufsausübung (Berufserlaubnis). Zudem müssen Ärzte aus Drittstaaten vor der Einreise ein Visum beantragen.
Voraussetzung für die Approbation ist ein abgeschlossenes Medizinstudium aus einem Land der EU, des europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz – oder ein zum deutschen Medizinstudium gleichwertiges Studium aus einem Drittstaat. Diese Gleichwertigkeit kann entweder durch eine Gleichwertigkeitsprüfung über ein Fachgutachten oder per Kenntnisprüfung nachgewiesen werden. Nur: Die Verfahren dauern in der Regel mehrere Monate.

Zuständig für die Erteilung der Approbation sind in Bayern die Regierung von Unterfranken und die Regierung von Oberbayern. Bis zur formalen Anerkennung können Mediziner "vorübergehend" mit einer Berufserlaubnis arbeiten. Allerdings ist diese laut der Regierung von Unterfranken auf zwei Jahre befristet. Insgesamt wurden in diesem Jahr bis November für die drei fränkischen Regierungsbezirke 175 Berufserlaubnisse und 33 Verlängerungen genehmigt.
In Bayern sind derzeit rund 12.000 ausländische Ärzte tätig
Reicht das, um den Ärztemangel in Zukunft in den Griff zu bekommen? Die bayerische Landesärztekammer geht davon aus, dass der Bedarf an Medizinern weiter steigen wird und fordert 6000 zusätzliche Studienplätze. Lücken "primär durch ausländische Ärzte" zu füllen, sieht man kritisch. "Drittstaaten die Ärzte zu entziehen und damit die dortige medizinische Versorgung zu schwächen", sei problematisch. Insgesamt sind derzeit 12.352 ausländische Ärztinnen und Ärzte im Freistaat tätig, das sind mehr als doppelt so viele wie vor zehn Jahren (5563).
Aus Sicht der Schweinfurter Oberärztin Jessica Körber reicht das jedoch nicht. Mehr Studienplätze seien wichtig, aber bis die Studierenden in den Kliniken ankämen, dauere es zu lange. "Wir sind viel zu spät mit dem Gegensteuern, da wir jetzt schon tief in dieser Misere stecken", sagt Körber. Ärzte fehlten auf fast allen Stationen, ohne Hilfe aus dem Ausland sei das nicht zu schaffen.

Von der Politik heißt es, man setze sich dafür ein, die Anerkennungsverfahren für ausländische Arztabschlüsse weiter zu vereinfachen und zu beschleunigen. Im Leopoldina-Krankenhaus jedoch ist davon laut Jessica Körber nichts zu merken. Im Gegenteil: Auf Körbers Station sorgt derzeit der Fall einer Ärztin aus Indien für Ärger.
Fall 2: Eine Inderin kämpft monatelang um die Anerkennung ihres Medizinstudiums
Der jungen Frau sei die Berufserlaubnis Mitte November entzogen worden, "obwohl sie bereits drei Jahre in einer Klinik in einem anderen Bundesland gearbeitet hat", sagt Körber. Die Kollegin spreche "flüssig Deutsch und ist medizinisch sehr gut, aber all das zählt nicht – und wir stehen jetzt ohne Assistenzärztin da".
Anfang November habe sie eine Mail bekommen, dass ihre Berufserlaubnis nicht verlängert werden könne, erzählt die indische Medizinerin im Gespräch mit dieser Redaktion. "Das war schockierend, das habe ich nicht erwartet", sagt die 32-Jährige. "Wir brauchen ja Ärzte, wir sind unterbesetzt die ganze Zeit. Ich habe Erfahrung, ich bin bereit zu arbeiten – aber ich darf nicht mehr."
Sie sei nach ihrem Medizinstudium bereits 2017 nach Deutschland gekommen und habe in einer Klinik in Nordrhein-Westfalen mit einer Berufserlaubnis eine Stelle gefunden. Die Approbation habe sie damals bereits beantragt, eine Gleichwertigkeitsprüfung habe jedoch nicht stattgefunden. Stattdessen sollte sie ihr Wissen in zwei Kenntnisprüfungen beweisen, die sie allerdings nicht bestanden hat.
2022 zog sie nach Würzburg, "um näher bei meinem Freund zu leben". In Bayern habe sie erneut ihre Unterlagen zur Approbation bei der für die Verfahren zuständigen Regierung von Oberbayern eingereicht, sagt die Ärztin. Ihr Abschluss wurde jedoch als nicht gleichwertig zum deutschen Studium angesehen, ihre Ausbildung weise Lücken auf, hieß es. Dagegen habe sie Klage eingereicht, sagt die junge Frau, "denn von anderen indischen Medizinstudenten sind die Abschlüsse anerkannt worden". Die Entscheidung darüber stehe noch aus.
Unverständnis im Leopoldina-Krankenhaus: Station steht plötzlich ohne Assistenzärztin da
Seit Mitte November aber darf die 32-Jährige nicht mehr als Ärztin in Deutschland tätig sein. "Das ist schrecklich", sagt sie. Von ihrer Universität in Indien wolle sie sich nun ein Zertifikat ausstellen lassen, eine Bescheinigung, "dass ich im Vergleich zu deutschen Medizinstudenten keine Defizite habe". Sollte die Gleichwertigkeit dennoch nicht anerkannt werden, muss sie sich erneut zur Kenntnisprüfung anmelden. "Dann verliere ich wieder viel Zeit, wahrscheinlich mehrere Monate."
Im Leopoldina-Krankenhaus kann man die Entscheidung der Behörden nicht nachvollziehen. "Das ist dramatisch für die Kollegin und letztlich auch für unsere Abteilung, da jetzt der Nachtdienst über die Weihnachtsfeiertage neu besetzt werden muss", sagt Körber. Die indische Kollegin habe im Klinik-Alltag überzeugt, mehrere Vorgesetzte hätten sich für sie eingesetzt.
Sicher sei es richtig, "dass man die Sprachkenntnisse und Berufseignung prüft", sagt Körber. Warum aber jemand nach mehr als drei Jahren ärztlicher Tätigkeit in Deutschland plötzlich nicht mehr weiterarbeiten dürfe, bleibe unverständlich. Wenn man den Ärztemangel beenden wolle, wenn Mediziner aus dem Ausland Lücken schließen sollten, muss aus Körbers Sicht die "überschießende Bürokratie" abgeschafft werden. Dringend.
Der Raub von Fachkräften aus anderen Ländern muss weitergehen!
Und keiner ist da, welcher Abhilfe schaffen kann oder will , weil die sogenannten Lobbyisten
in erster Linie nur an sich und nicht an die Bevölkerung denken.
Hauptsache die Landesregierung kann auf die Bundesregierung schimpfen , aber Lösungen
gibt es in Bayern auch keine .
Unser Ministerpräsident sollte sich nicht um teure Neuwahlen sondern um sein Bayernland
kümmern ! Dafür ist er auch gewählt worden !
Und die gleichen Leute, die diese Misere verursacht haben - vor allem ihre Oberscharfmacher Dobrindt und Spahn - geben sich jetzt als die Großschnauzen der Nation, als ob sie jemals einen Finger gekrümmt hätten, um die Folgen des demografischen Wandels abzufangen.
Das ist richtig, es ist gewollt und die Instrumente, dies zu erreichen, sind äußerst wirksam:
Kassenärztliche Vereinigung, Ärztekammern und der Numerus Clausus in Medizin sorgen dafür, dass der Ärztemangel zum Schutz der Ärzte, nicht der Bevölkerung, bestehen bleibt. So bestimmt das mangelnde Angebot die Nachfrage nach medizinischer Versorgung, die in Teilen des Landes schon länger nicht gegeben ist. Garniert wird das Ganze noch dadurch, dass sich Berufserlaubnis und Berufsanerkennung einander bedingen, das eine ohne das andere nicht zu bekommen ist.
Dieser Zustand ist seit Jahrzehnten so. Die Sonntagsreden und das Fortbestehen des Numerus Clausus in Medizin bestätigen dies.
Gegen ein ähnliches Konstrukt und eine ähnliche Vorgehensweise z.B. bei den Ingenieuren würde die Industrielobby zu Recht erfolgreich Sturm laufen.
Es gibt auch Ingenieursstudiengänge mit NC, allerdings liegt der geforderte Notenschnitt meist höher als bei den Medizinstudiengängen. Wirtschaftsingenieurwesen zum Beispiel.
Ansonsten gebe ich Ihnen recht. So wird das nichts mit der Fachkräftezuwanderung, wenn diese ab Staatsgrenze Deutschland per Order Mufti zu Nicht-Fachkräften erklärt werden, indem man deren Ausbildung und Abschluß nicht anerkennt. Da helfen auch die genannten Sonntagsreden der Politik aller Couleur nichts.
Kennen Sie den Unterschied zwischen Ingenieuren, Medizinern und Juristen?
Wenn der Prof zu den Studenten sagt: "lernen Sie das Telefonbuch auswendig!", machen sich die Juristen gleich an die Arbeit, die Mediziner fragen "bis Wann?", die Ingenieure dagegen fragen "Warum?"
;-)
Persönlich kenne ich einen Fall in dem ein Abiturzeugnis aus Syrien in Bayern nur als Hauptschul-Abschluss gewertet wurde. In BW war es immerhin ein Realschulabschluss. Der Junge Mann hatte aber eindeutig das Wissen eines Abiturienten.
SO schafft Deutschland Arbeitsplätze. Vermutlich sind mehr Prüfer und Zulasser beschäftigt als Arbeitskräfte zugelassen werden.
Außerdem gibt es immer noch den unsäglichen Numerus Clausus.
Der Arztberuf und die "Work Life Balance" zwei Welten treffen aufeinander.
Je besser die Bildung, desto schwieriger ist es, jemanden etwas vorzumachen. Deswegen werden in Diktaturen immer zuerst die geistigen Eliten beseitigt oder vertrieben, danach wird die Presse unter Kontrolle gebracht, oder unglaubwürdig gemacht, um den Informationsfluss zu kontrollieren.
Darum verbietet die Taliban u.a. auch Frauen und Mädchen, in die Schule zu gehen. Wer nicht lesen kann, dem kann man alles vormachen.
Nebenbei bemerkt: Um wen buhlt denn wohl die AFD? Um das einfache Stimmvolk, die Masse, die sich mit jedem Fake aufhetzen lässt, weil sie den Fake (->"Lügenpresse!") nicht als solchen identifizieren können und keine Ahnung von Geschichte haben. "Bauernfängerei" nennt man das.
https://www.kohero-magazin.de/2023/06/gesundheitssystem-in-afghanistan-zerfaellt/
https://www.mainpost.de/ueberregional/politik/ausland/nach-dem-fall-von-kabul-per-katapult-in-eine-andere-welt-art-11212177