Angelika März, Mutter von drei erwachsenen Kindern, Diplompsychologin und Psychologische Psychotherapeutin, hat 16 Jahre die Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle der Diözese Würzburg in Bad Kissingen geleitet. Seit ihrem Ruhestand führt sie ehrenamtlich Beratungsgespräche im Kontaktpunkt in Bad Kissingen.
Warum bleibt sie aus Überzeugung, trotz aller kritischen Anfragen an die Kirche weiter Mitglied ? "Schon immer war ich nicht mit allem einverstanden, aber Vieles war mir wichtig und hat meinen Entwicklungsweg positiv beeinflusst." Angelika März ist auf dem Dorf aufgewachsen. Ihre Eltern waren gläubig, aber nicht übertrieben fromm. Vor allem ihre Mutter übte auch Kritik am Umgang der Pfarrer mit den Frauen, wenn sie deren Hilfs- und Opferbereitschaft ausnutzten, deren Meinung aber nichts zählte. Ganz besonders störte Angelikas Mutter, dass Priester sich nicht zu ihren leiblichen Kindern bekannten.
"Kirche war damals und ist auch heute noch zu sehr eine Dominanz- und Angstkirche." Diese Angstkirche hat Angelika besonders in der Zeit ihrer Kommunionvorbereitung erfahren. So konnte sie als Achtjährige wochenlang abends nicht einschlafen aus Angst, eine Todsünde begangen zu haben, ohne es zu wollen. Eine strenggläubige Ordensschwester erzählte im Kommunionunterricht viele Märtyrergeschichten und flößte den Kindern Angst vor Sünden und Fehlverhalten ein. „Als Kommunionmädchen durfte man in der ungeheizten Kirche trotz Winterkälte keine lange Hose anziehen. Deshalb wollte meine Mutter aus Sorge, ich würde krank, mich nicht mehr zum adventlichen Rorategottesdienst gehen lassen. Als Kommunionkind wollte ich aber unbedingt alles richtig machen und in jeden Gottesdienst gehen. Der Kompromiss: Ich musste eine weite Trainingshose unter dem Rock und dem Mantel anziehen", erinnert sich Angelika.
Bleibende Eindrücke
Gerne jedoch denkt Angelika an ihre Gemeinschaftserlebnisse in der katholischen Landjugend zurück. Die Wochenenden am Volkersberg, ihre erste Reise ins Ausland mit 16 Jahren, eine Studienreise nach England sind für sie schöne Erinnerungen. Die von der Hochschulgemeinde organisierte Reisen, unter anderem der Aufenthalt in Taizé, hinterließen in ihr bleibende Eindrücke, ebenso ein mehrwöchiger Aufenthalt in dem von den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten geprägten Nordirland. Organisiert vom evangelischen Studentenpfarrer, waren dort Begegnungen mit Vertretern beider Seiten möglich. All diese Erlebnisse sind mit prägenden gemeinschaftlichen und spirituellen Begegnungen verbunden, die ihren Blick auf die Menschen, die Kirche und den Glauben geweitet haben.
Sehr kritisch, engagiert, aber dennoch konstruktiv, bodenständig und gegensätzliche Auffassungen akzeptierend, setzte sich Angelika März in ihrer Studienzeit mit dem Glauben, der Religion und der Kirche auseinander. Sie war in mehreren sozialen Arbeitskreisen der Katholischen Hochschulgemeinde aktiv. So engagierte sie sich für sozial benachteiligte Familien und Kinder, später für Studierende mit psychischen Problemen.
Kritische Gesprächsrunden
Heiß diskutiert wurde damals die ökonomische und soziale Ungerechtigkeit mit ihren Auswirkungen auf die seelische Entwicklung, den Zugang zu Bildung und Einkommen bei uns und in der Dritten Welt. Die Theologie der Befreiung, die feministische Theologie, die Werke von Eugen Drewermann, ebenso der interreligiöse Dialog, wie ihn Hans Küng vertrat, waren Themen der Gespräche.
"Es ist beeindruckend, dass die Themen, die wir sieben in unserer WG damals diskutierten und versuchten, sie in konkrete Lebenspraxis umzusetzen, noch heute bei jedem aktuell sind. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen, ein radikal christlich-sozialer Anspruch, eine kritische Haltung gegenüber der Amtskirche und gegenüber staatlichen Autoritäten verbinden uns bis heute, obwohl wir räumlich weit entfernt voneinander leben."
Hoffnung auf Veränderung
Angelika März ist erleichtert, wenn die Widersprüche, die sie schon lange kritisch betrachtet, wie der vielschichtige Machtmissbrauch mit all den tiefen Wurzeln und Verfilzungen und vor allem die überwältigende Zahl von sexuellen Übergriffen, immer mehr ans Licht kommen. So bestünde die Hoffnung auf Veränderung.
Trotz allen menschlichen Versagens vieler ihrer Würdenträger empfindet sie auch Loyalität gegenüber der Institution Kirche. Sie hofft auf eine tiefe Verwandlung, womöglich auch außerhalb der verkrusteten Strukturen. "Dafür gibt es ein großes tatkräftiges und schöpferisches Potential., wie man an den Kirchentagen, oder auch in vielen kreativen Ideen jetzt in Corona-Zeiten sehen kann. Nicht auszudenken, was Gott beziehungsweise eine höhere Macht daraus machen kann, wenn wir ihr die Führung überlassen."
Zu viel menschliches Leid
Hat sie der Glaube von Angelika März verändert? "Natürlich hat sich mein Glaube verändert über all die Zeit – und verwandelt sich weiter." Sie könne nicht mehr an einen personalen und dazu noch männlichen Gott glauben. "Zu viel menschliches Leid durch Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, Kolonisation haben die Vertreter eines mächtigen patriarchalen Ein-Gott-Glaubens mit der oft unmenschlichen Auslegung von religiösen Ge- und Verboten, mit all den Schuldzuweisungen und Verurteilungen angerichtet."
Diese "Höhere Macht" - vielleicht auch eine große mitfühlende Göttin – stelle sie sich vor als wohlwollend, dem Menschen unbedingt zugewandt, das Leben in all seinen Formen bejahend. "Da sind alle tief miteinander verbunden, keiner wird ausgegrenzt. Es herrscht Fülle, Vertrauen, Kooperation, nicht Angst."
Dankbar für die Kinder
Den Zugang zu dieser "Höheren Macht" findet sie am besten beim täglichen Verweilen in der Natur. "Der Gesang der in den Himmel aufsteigenden Lerche, die Apfelbäume in voller Blütenpracht, all dies macht mich dankbar und zeigt mir die überwältigende Fülle des Lebens. Ganz besonders dankbar bin ich für die Kinder, die uns geschenkt wurden, die das Leben weitergeben an ihre Kinder. Um deren Schutz und Führung bitte ich dann. Ich weiß, dass es nicht immer so kommt, wie wir uns das wünschen, aber ich habe in der Beratungsarbeit und selbst oft die Erfahrung gemacht, dass es letztlich zum Wohle aller Sinn macht, so wie es gekommen ist."
Angelika März findet es gut, dass Kirche Orte schafft, an denen Menschen in Not schnelle und wirkungsvolle Unterstützung bekommen können. Sie schätzt es, dass es einladende Orte für Begegnung und Anregung und gemeinsames Erleben gibt, Angebote für Paare und Familien, für Jugendliche, für Kranke, für Gefangene, das Kirchenasyl. Auch die Bildungshäuser trügen viel dazu bei, dass Leben gelingen, Gemeinschaft und Glaube erfahren werden kann.
"In der Zeit meiner Berufstätigkeit und auch jetzt bei meinem ehrenamtlichen Engagement habe ich den Freiraum und die Offenheit in der kirchlichen Beratungsstelle sehr geschätzt. Ich fühle mich frei, nur meinem eigenen Gewissen und meiner Fachlichkeit verpflichtet, sodass ich mit viel Begeisterung, Zuwendung und Offenheit den Ratsuchenden dort begegnen konnte und kann."
Mehr weise Frauen
"Mir ist nicht bang um die Kirche", antwortet März auf die Frage, was sich an der Kirche ändern müsse. "Die Kirche muss sich verändern, wenn sie weiterbestehen bleiben will. Es braucht mehr vom Wind der Veränderung und weniger vom Festhalten der Hierarchien und Machtverhältnisse, mehr Vertrauen ins Leben in seiner ganzen Vielfalt und weniger Trutzburgen und Reglementierungen, mehr Öffnen und weniger Ausschließen, mehr Hinhören und weniger Predigen, mehr Dienen als Herrschen, mehr Herzensreife als Zölibat, mehr Freude an der Lebendigkeit und der Schöpfung und ihrer Bewahrung und weniger Angst, Kontrolle und Bestrafung, mehr weise, lebenserfahrene Frauen, die etwas zu sagen haben, als altehrwürdige Männer, die das alleinige Sagen haben."