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Gernach
Schöne Erinnerungen – reicht das, um in der Kirche zu bleiben?
Warum ich (fast) aus der Kirche ausgetreten bin (Teil 4): Herr D. hat als Heranwachsender viel Gutes in der kirchlichen Gemeinschaft erlebt. Doch jetzt verstört sie ihn.
Noch hat die Kirche für Herrn D. eine gewisse Strahlkraft, wie dieses goldene Kreuz auf einer Kirche im Licht der untergehenden Sonne glänzt. Doch sein Austritt aus der Kirche scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, zu sehr hat diese ihn zwischenzeitlich enttäuscht.
Foto: Julian Stratenschulte, dpa | Noch hat die Kirche für Herrn D. eine gewisse Strahlkraft, wie dieses goldene Kreuz auf einer Kirche im Licht der untergehenden Sonne glänzt.
Erhard Scholl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:37 Uhr

"Ich bin dankbar für die positiven Gemeinschaftserfahrungen als Ministrant, in der Jugendfreizeit und bei Jugendgottesdiensten mit den Liedern und Gebeten von Taizé. Ich war zwar nie in Taizé, aber die Lieder und Gebete von dort haben mich angesprochen, sie haben mir gefallen." So beschreibt Herr D. im Rückblick seine positiven Erfahrungen mit der Kirche. Und fährt fort: "Wenn ich das nicht miterlebt hätte, würde mir was fehlen."

D. wuchs in einem bekannten Wallfahrtsort auf. Die Wallfahrten prägten den Ort, die meisten Einwohner waren katholisch. Kirchgang, die kirchlichen Feste waren Teil ihres und auch seines Lebens.

Gerne denkt D. auch an den Erstkommunion-Unterricht zurück. Seine Mutter bereitete die Gruppe der Kinder auf die Erstkommunion vor. Diese verstanden sich gut, es war eine intensive Gemeinschaft entstanden. Sehr positiv hat D. seine erste Beichte in Erinnerung: "Ich habe mich danach richtig befreit gefühlt", berichtet er.

Intensives Erlebnis bei der Firmvorbereitung

Auch die Firmung, mit der Erneuerung des Taufversprechens war für ihn ein intensives Erlebnis. Seine Firmkatechetin haderte selbst mit ihrem Glauben, sie war eine kritische Frau – "aber genau dadurch führte sie uns ein Stück weit zu einem erwachsenen Glauben".

Gern erinnert sich D. auch an seine Ministrantenzeit. Er war Ministrantenbetreuer, führte die neuen Ministranten in ihren Dienst ein, war Leiter auf Ferienlagern, die immer über Fronleichnam stattfanden und die Gemeinschaft der Ministranten zusammenschweißten. Ein Ereignis hat D. damals jedoch sehr negativ berührt: Seine Freundin kam auf eine solche Freizeit mit den Ministranten zu Besuch. Er war damals 17 Jahre alt, sehr verliebt, freute sich natürlich, sie zu sehen und gab ihr einen Kuss auf den Mund. Abends, in der Leiterrunde sprach ihn der Kaplan an, der Pastor habe die Szene beobachtet und ihn gebeten, D. auf seine Vorbildfunktion als Betreuer hinzuweisen. Es gehöre sich nicht, seine Freundin vor all den anderen zu küssen. "Da habe ich mich ziemlich schlecht gefühlt, bloßgestellt vor der ganzen Mannschaft."

Ein enttäuschendes, kränkendes Erlebnis war für D. auch der Besuch einer Kirche, nachdem bei seiner Frau vor einigen Jahren Brustkrebs festgestellt worden war. Die beiden wollten miteinander in der Kirche zur Ruhe kommen, sie hatten den Wunsch, eine Kerze anzuzünden, ein Stück Geborgenheit zu erfahren. Da kam der Küster und machte mit lautem Getöse die Opferkästen leer. "Da haben wir uns wenig willkommen gefühlt."

Zölibat und Sexualmoral verstören ihn

"Als ich dann als Jugendlicher auf dem Sprung ins Erwachsensein war, wurde es zunehmend schwierig für mich mit der Kirche", blickt D. zurück. Der Glaube ist ihm immer noch wichtig, "daher tue ich mich auch so schwer, aus der Kirche auszutreten". Gründe, die Kirche zu verlassen, hat D. eine ganze Reihe: die Haltung der Kirche zum Zölibat der Priester, der Umgang mit Geschiedenen, die Verweigerung der Kirche, homosexuelle Paare zu segnen, die Sexualmoral, die nicht mehr zeitgemäß ist, der Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch, wie ganz aktuell im Erzbistum Köln. "Es ist wie bei einem Verein, bei dem man Mitglied, ist, und man merkt, dass die Satzung nicht mehr passt."

"Kurz bevor Corona kam, war ich schon auf dem Weg, auszutreten" berichtet D. "Meine Frau hat mich dann im letzten Moment gebremst. Ich habe das Thema damals auch mit meiner Familie besprochen. Mein Bruder hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass meine Entscheidung auch Konsequenzen für unsere Tochter hätte, die bald auf die Welt kommen sollte, und ja vielleicht auch gerne die Gemeinschaft erleben würde, die ich so positiv erlebt habe."

Diese Erinnerung an die vielen schönen, intensiven Erlebnisse in der Gemeinschaft der Kinder und Jugendlichen lassen D. zögern, die Kirche zu verlassen: Seine Tochter würde dann den Religionsunterricht nicht besuchen, die Erfahrungen von Kommunion- und Firmvorbereitung würde sie nie machen können. Natürlich hätten er und seine Frau als Eltern die Aufgabe, ihr Kind in das religiöse Leben einzuführen. Diese Aufgabe übernehmen sie gerne, denn ohne diese Hinführung allein den Weg zu einer Weltanschauung zu finden, wäre für das Kind eine Überforderung, meint D. Daher zögert er, aus der Kirche auszutreten, weil er seiner Tochter diese Erfahrung ermöglichen möchte.

Über Hochzeit ist noch nicht entschieden

D. und seine Frau wollen auch kirchlich heiraten; coronabedingt wurde die Hochzeit verschoben. Ob sie katholisch oder evangelisch heiraten – seine Frau ist evangelisch –, ist noch offen. Auch ob sie ihre Tochter evangelisch oder katholisch taufen lassen werden, haben die beiden noch nicht entschieden.

Auf Reisen besucht D. häufig auch Kirchen in anderen Ländern. Er interessiert sich für die Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit der Kirche, wie er sie kennt. In den USA und Großbritannien ist er auf die anglikanische Kirche aufmerksam geworden, die evangelische und katholische Glaubenstraditionen verbindet und in ihrem Ritus D.s Heimatkirche sehr ähnlich ist, während einige der zuvor genannten Kritikpunkte aus seiner Sicht dort jedoch entfallen.

Mit Blick auf die Weltkirche hat D. keine große Hoffnung, dass sich die unter vielen Gläubigen vorherrschenden toleranteren Anschauungen – etwa zum Thema Sexualmoral oder zur Homosexualität – gegenüber strengeren, konservativeren Anschauungen durchsetzen werden. Zu groß sei die Zahl der Gläubigen in Amerika und Asien mit traditionelleren Ansichten. Von daher sei zu befürchten, dass die Kirche nur wenige Möglichkeiten hat, sich zu reformieren.

Vorwurf: Kirche verstummt in der Corona-Zeit

Während der aktuellen Corona-Pandemie wundert sich Herr D., dass von der Kirche wenig zu hören ist. "In einer Zeit, die für viele als existentielle Krise wahrgenommen wird, bleiben die Kirchen, zumindest nach meiner Wahrnehmung, stumm", urteilt D.

Es ist offen, ob D. weiter in der Kirche bleibt, oder ob er vielleicht dann austritt, wenn die Tochter selbst eine Entscheidung treffen kann, ob sie in der Kirche bleiben möchte. Egal, wie er sich entscheiden wird: Er ist dankbar für das, was er an guten Erfahrungen und Erlebnissen in seiner Jugend gemacht hat. Es tut ihm gut, und er erlebt auch Geborgenheit, wenn er sich die Zeit nimmt, in einer Kirche mal kurze Zeit inne zu halten. "Der Glaube ist mir nach wie vor wichtig."

 
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  • I. E.
    Ich finde es interessant, mit welch missionarischem Eifer hier versucht wird Leute aus der Kirche zu ziehen!
    Und das gerade von Leuten, die gerade diesen Impetus den Kirchen vorwerfen- aber selbst genau das Selbe Verhalten an den Tag legen!
    Mir ist immer der Verweis auf den Humanismus sehr amüsant!
    Christentum und christliches Menschenbild sind biblisch begründet - können nur falsch angewendet werden!
    Humanismus ist keiner höheren Macht verpflichtet und beruht einzig auf einem gesellschaftlichen Übereinkommen- dieses Übereinkommen kann damit jederzeit verändert werden (was Problem des Humanismus an sich darstellt)
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  • A. G.
    "Christentum und christliches Menschenbild sind biblisch begründet - können nur falsch angewendet werden!"
    naja, sich auf uralte schriften zu verlassen die durch tausende hände gegangen sind, hin und herübersetzt, nach eigenem gusto angepasst oder uminterpretiert wurden sind jetzt nicht so mein ding.
    jede "christliche" vereinigung zieht ihre eigenen schlüsse aus dieser "heiligen" schrift und jeder glaubt das er recht hat.
    da hab ich meine eigenen erfahrungen wie "christlich" die beiden großen konfessionen und ihre anhänger miteinander umgehen, obwohl sie die gleiche chefetage haben.

    da bewahre ich mir lieber eine humanistische einstellung die keine "verpflichtung" an eine fiktive höhere macht auskommt, und ja, diese übereinkunft kann sich ändern und entwickeln, wie die menschen eben auch.

    die stehengeblieben kirche wird mangels einer entwicklung untergehen, daran arbeitet sie ja schon seit jahren.
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  • L. S.
    Bleiben Sie in der Kirche, nur im tätigen Mittun können Sie gestalten. Offensichtlich liegt Ihnen viel am christlichen Menschenbild. Dieses möchten Sie auch an die nächste Generation weiter geben. Ihre Tochter wird es Ihnen danken.
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  • M. S.
    @l.saubert:
    mir fällt auf die Schnelle keine Institution, Gemeinschaft oder Verein ein in der man als zahlendes Mitglied so wenig Mitspracherecht hat.
    Dabei liegt im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinschaften in denen "man" Mitglied ist in der Kirche vieles im Argen. Da gibt es genügend Dinge die man als einfaches, aufgeklärtes Mitglied ansprechen kann.

    Zitat "Es ist wie bei einem Verein, bei dem man Mitglied, ist, und man merkt, dass die Satzung nicht mehr passt." Recht hat er, man könnte es auch so ausdrücken, dass einem die Art der Umsetzung des grundlegenden Zwecks und Inhalts des Glaubens durch die Kirche missfällt.

    Wäre es ein stinknormaler Verein würde jedes Mitglied in so einer Sitation austreten und sich anderswo nach besseren Lösungen umschauen.
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  • L. S.
    Sie haben Recht, die Kirche ist kein "stinknormaler Verein". Mancher scheint das nur nicht zu begreifen.
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  • A. G.
    treten sie aus herr d.
    und lassen sie um gottes willen (!) ihre tochter nicht taufen und deswegen unter druck setzen, weil das ja "konsequenzen" für das kind hat.
    am besten überzeugen sie auch ihre frau der kirche den rücken zu kehren, dann können sie sich die fragen sparen nach welcher konfession sie getraut werden oder ihr kind getauft wird, da kann man verwandschaftliche querelen von haus aus vermeiden, denn es finden sich mit sicherheit auf beiden seiten welche denen die getroffene entscheidung nicht passt.
    ihrer tochter können sie auch ein humanistisches weltbild mitgeben, da brauchts mit sicherheit keine mitgliedschaft in einer kirche.

    "es is besser kee gsangbüchla zu ham als äs falsche gsangbüchla."
    frei nach dem philosophen christian l.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Treten Sie aus. Es ist befreiender als jede Beichte. grinsen
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