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BAD NEUSTADT
Wie der Chef des Rhön-Klinikums Gas gibt
Stephan Holzinger ist seit Februar Vorstandsvorsitzender der Rhön Klinikum AG in Bad Neustadt.
Foto: Sonja Demmler | Stephan Holzinger ist seit Februar Vorstandsvorsitzender der Rhön Klinikum AG in Bad Neustadt.
Jürgen Haug-Peichl
 und  Hubert Herbert
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:33 Uhr

Das Rhön-Klinikum in Bad Neustadt ist einer der größten Arbeitgeber in der Region. Vorstandsvorsitzender Stephan Holzinger gibt im Interview seltene Einblicke in den Konzern und sein Verhältnis zur grauen Eminenz im Hintergrund, Eugen Münch.

Frage: Herr Holzinger, Sie sind bekanntlich Harley-Fahrer. Sind Sie mit Ihrem Motorrad schon in der Rhön unterwegs gewesen?

Stephan Holzinger: (lacht) Nein. Ich hatte mir fest vorgenommen, im Sommer eine Tour durch die tolle Landschaft der Rhön zu machen. Wir haben ja im Rhön-Klinikum sogar eine tolle Bikergruppe mit Ärzten und Pflegern. Die hatten mich mal auf eine Tour eingeladen. Ich konnte aus Termingründen leider nicht teilnehmen. Aber für 2018 verspreche ich, dass ich mir das nicht entgehen lasse.

Als Motorradfahrer gibt man gerne Gas. Sind Sie als Vorstandsvorsitzender des Rhön-Klinikums ein Motorradfahrer?

Holzinger: Da muss man erst einmal unterscheiden. Ich bin ein sehr sportlicher Autofahrer. . .

. . .wie viele Punkte in Flensburg haben Sie?

Holzinger: . . . kein Kommentar (schmunzelt). Beim Motorradfahren gehöre ich eher zu den Ausdauernden und Gemütlichen. Deswegen Harley. Ich bin kein Rennfahrer. Aber Beschleunigung ist schon ein Thema – das hat das Rhön-Klinikum seit Februar auch gespürt.

Rund um Ihre Berufung zum Vorstandsvorsitzenden im Februar war das Rhön-Klinikum in Unruhe. Hat sich das gelegt?

Holzinger: Es waren keine einfachen Zeiten und die Unruhe konnte man nicht wegleugnen. Ruhe? Nun, es gab zu viele Ruhe nach der Transaktion mit Helios/Fresenius. Wir haben uns damals dahingehend im Erfolg gebadet, dass wir schuldenfrei geworden sind, dass wir eine hohe Eigenkapitalquote und einen größeren Geldbetrag auf dem Konto hatten. Wir sind da ein bisschen zu ruhig geworden. Es wäre jetzt falsch zu sagen: Nach meiner Amtsübernahme ist Ruhe eingekehrt.

Bleiben wir beim Bild mit dem Motorradfahrer, was die Entwicklung des Rhön-Klinikums angeht. Angenommen, es wäre maximal Tempo 100 erlaubt. Wie schnell fahren Sie im Moment mit dem Unternehmen?

Holzinger: Bevor wir über Geschwindigkeit reden, müssen wir über das Ziel der Fahrt reden. Wohin wir in den vergangenen Jahren gefahren sind, war nicht immer klar. Insofern war es wichtig, eine umfassende Bestandsaufnahme zu Beginn meiner Amtszeit zu machen. Ich habe alle Standorte besucht, ich habe natürlich mit den Führungskräften gesprochen – aber sehr viel mehr mit den Pflegekräften, den Schwestern, den Ärzten, dem technischen Dienst. Und das sowohl angekündigt als auch unangekündigt. Ich war in einer Kantine, ich hab mich nachts inkognito in die Medikamentenausgabe eingeschlichen, ich habe bei der Übergabe der Nachtschwestern um 22 Uhr mal über die Arbeit auf der Station gesprochen und so Informationen nicht über Berichte erhalten, die ich sonst zu lesen bekomme. Aus allem ist mir klar geworden, welche Wege wir sowohl strategisch als auch operativ einschlagen müssen. Das ist momentan wichtiger als die Frage nach der Geschwindigkeit. Wir brauchen Tempo 100 bei der Behebung erkennbarer operativer Defizite. Dazu zählt zum Beispiel das klassische IT-System, das verbesserungswürdig ist.

Woran merkt man das im Alltag?

Holzinger: Stichwort: lange Ladezeiten für CT-Aufnahmen. Oder Netzwerkthemen. Sie können nicht wirklich Mitarbeiter für die digitale Transformation des Unternehmens und der Branche gewinnen, wenn das WLAN auf der Station nicht funktioniert oder die Übermittlung von Aufnahmen zu einem Befund noch per Fax stattfindet. Wir brauchen auch Verbesserungen und mehr Geschwindigkeit beim Thema Materialquote: Sie ist im Vergleich zu den Wettbewerbern immer noch zu hoch.

Wie liegt hier Bad Neustadt im Vergleich der Konzernstandorte?

Holzinger: Insgesamt ganz gut. Aber auch hier gibt es wie im Konzern Handlungsbedarf in Bezug zum Beispiel zur Harmonisierung von Produktgruppen. Wir haben etwa bei medizinischen Schrauben und Platten bei einem Einkaufsvolumen von drei Millionen Euro 29 Zulieferer. Das sind 29 Verhandlungen, 29 Verträge und damit einige zu viel.

Aber auch im Konzern reden wir bei der Harmonisierung über die konsequente Überprüfung der Instandhaltungs- und Wartungsverträge: Wir mussten feststellen, dass wir im Gerätepark bei zum Teil identischen Produkten unterschiedliche Instandhaltungs- und Wartungsverträge hatten mit unterschiedlichen Konditionen. So was ist eigentlich undenkbar. Fakt ist aber auch: Wir verlieren durch nicht korrekte oder nicht vollständige Dokumentationen von medizinischen Leistungen letztlich Millionenbeträge. Hier steuern wir mit einem Verbesserungsprogramm massiv gegen und investieren viel in die Schulung der Mitarbeiter. Ich arbeite zudem mit Hochdruck daran, dass wir bei der Codierung von medizinischen Leistungen intelligente Software und künstliche Intelligenz einsetzen.

Künstliche Intelligenz – gutes Stichwort. Sie haben sich überraschend vom Computerprogramm IBM Watson verabschiedet und setzen jetzt auf Mindbreeze, um Ärzten beim Erstellen von Diagnosen zu helfen. Warum der Wechsel?

Holzinger: Wir haben mit IBM Watson ein Pilotprojekt in Marburg gemacht, das auf technischer Seite nicht die Ergebnisse gebracht hat, die ich mir erwünscht hatte. Wir haben da viel an personellen Resourcen investiert. Zudem hat Mindbreeze nicht das Ziel der Diagnoseunterstützung, sondern der Aufbereitung komplexer Patientenverläufe.

War der Wechsel allein Ihre Entscheidung?

Holzinger: Sie ist wesentlich von mir forciert worden. Und zwar, weil wir in das hier und jetzt Machbare gerne gutes Geld investieren. Aber ich zahle nicht für etwas, bei dem die Ergebnisse nicht stimmen.

Wie viel Zeit verliert das Rhön-Klinikum jetzt durch den Wechsel auf Mindbreeze?

Holzinger: Gar keine. Das Pilotprojekt mit IBM Watson ist ganz normal ausgelaufen. Wir haben aber in den letzten Wochen dieses Pilotprojektes parallel schon mit Mindbreeze zusammengearbeitet. Hier läuft die Kooperation wesentlich effizienter. Es ist ein klassischer österreichischer Mittelständler. Ich war kürzlich in Linz: Es war eine Freude zu sehen, mit welcher Energie die Leute dort arbeiten. Ganz bodenständig.

Wir kommen jetzt schneller voran und das ist ein sehr innovatives, auf künstlicher Intelligenz basierendes System, das in unseren Kliniken zum Einsatz kommt. Dort, wo Ärzte früher zwei bis drei Tage gebraucht haben, um Patientenakten zu lesen, bekommen wir künftig mit dieser Software viel schneller ein Bild über frühere Diagnosen und über schon verabreichte Medikamente. Das heißt, die Ärzte können sich so viel schneller orientieren und es ist unterm Strich auch wirtschaftlicher.

Ist Mindbreeze günstiger als Watson?

Holzinger: Ja, es ist günstiger. Der Prototyp dürfte Ende Februar fertig sein. Wir werden Mindbreeze dann vermutlich im Laufe des Frühjahrs einsetzen.

Man hört, dass im Rhön-Klinikum die Fluktuation unter Ärzten in den unteren Rängen sehr hoch ist.

Holzinger: Wäre mir neu. Einige unsere Kliniken haben Weiterbildungsermächtigungen, deshalb machen viele Ärzte ihre Facharztausbildung oder junge Assistenzärzte zum Beispiel eine Basisausbildung in Chirurgie bei uns. Wenn diese dann abgeschlossen ist oder sie sich in einem Fach weiterbilden müssen, das wir nicht abdecken, wechseln die Ärzte entweder zurück an ihre ursprünglichen Kliniken oder an die neue Weiterbildungsklinik.

Das ist aber normal und diese Fluktuation rein der Ausbildung geschuldet.

Sie haben erzählt, dass Sie sich gerne mal unters Personal mischen. Auf einer Skala von 10 für super bis 0 für schlecht: Wie ist die Stimmung in der Belegschaft?

Holzinger: Das kann man nicht pauschal für alle Standorte sagen und auch nicht innerhalb eines Standortes. Wir haben die Situation, dass sich Pflegekräfte standortübergreifend beklagen. Wir haben an manchen Standorten einen Mangel an Pflegekräften, welcher aber nicht durch uns verursacht ist, denn wir sparen nicht an Pflegekräften zu Lasten der Patienten. Leider können wir sie uns ja nicht backen. Ich halte es auch für ethisch fragwürdig, Pflegekräfte aus Osteuropa oder anderen Kulturkreisen zu holen. Wir verschärfen damit nur das Problem in jenen Ländern. Zuerst müssen wir die Pflegekräfte, die wir schon an Bord haben, halten. Im Übrigen ist der Pflegeberuf als solcher inzwischen nicht mehr so schlecht bezahlt. Wenn Sie mit den Leuten reden, kommen andere Themen zur Sprache: zum Beispiel die mangelnde soziale und gesellschaftliche Anerkennung oder die zunehmende Bürokratie. Hier brauchen wir politische Impulse aus Berlin.

Hinzu kommt das Thema Pflegerobotik: Dort, wo wir nicht genug Pflegekräfte haben, müssen wir ernsthaft und rechtzeitig über den Einsatz von Technologien zur Unterstützung nachdenken. Ich rede von intelligenter Technologie, um Arbeitskräfte zu entlasten, damit diese mehr Zeit für die eigentliche Pflege und menschliche Zuwendung haben.

Wie läuft es mit den Bauarbeiten rund um den Campus in Bad Neustadt? Alles im Plan?

Holzinger: Ja, absolut. Große Anerkennung für die Baufirmen und alle, die da mitwirken. Wir sind im Zeitplan, die Qualität der Arbeiten stimmt – insofern steht dem nichts entgegen, dass wir mit dem vielleicht mutigsten Projekt in der deutschen Kliniklandschaft Ende 2018/Anfang 2019 an den Start gehen.

Der Campus soll ja eine Blaupause sein für mehrere Standorte des Konzerns.

Holzinger: Genau, das Campus-Konzept ist eine konsequent am Patienten ausgerichtete Versorgungsstruktur, welches ambulante und stationäre Angebote vernetzt. In Frankfurt/Oder werden wir 2021 den nächsten Campus haben. Wobei das dann Umbau und Erweiterung eines bestehenden Klinikkomplexes sein werden. In Bad Neustadt hingegen entsteht alles auf der grünen Wiese. Wir sind momentan dabei, weitere Standorte für das Campus-Konzept zu prüfen und führen dahingehend Gespräche.

Wie zufrieden sind Sie mit der geschäftlichen Entwicklung des Rhön-Klinikums?

Holzinger: Wenn man die Situation des Rhön-Klinikums mit der von anderen privaten Trägern vergleicht, dann liegen wir bei der wirtschaftlichen Entwicklung nicht weit weg, aber dahinter. Der Abstand ist jedoch nicht mehr so groß.

Geht Eugen Münch die Veränderung des Rhön-Klinikums schnell genug?

Holzinger: (schmunzelt) Ich glaube nicht, dass sich Herr Münch annähernd über das Tempo seit Frühjahr beklagen kann. Ich bin da ganz entspannt.

Wie oft steht er bei Ihnen im Zimmer? Wie oft sehen Sie sich?

Holzinger: Oft spontan. Wir haben einen recht guten Umgang miteinander. Ich war ja lange beratend an seiner Seite.

Sind Sie per du miteinander?

Holzinger: Nein, sind wir nicht.

Wie kommen die drei Hauptaktionäre der Rhön-Klinikum AG klar? Sind sie einigermaßen auf einer Linie?

Holzinger: Es gibt eine ganz hohe Übereinstimmung, was die Strategie des Unternehmens betrifft. Dass die Herren Münch und Braun unterschiedliche Persönlichkeiten sind, ist unbestritten. Was man für alle drei sagen kann: Sie stehen offensichtlich nicht dafür, dass sie in der Vergangenheit erfolglos gewirtschaftet haben.

Daraus kann man ein gewisses Grundvertrauen ableiten, dass sie sich etwas dabei denken, bei dem was sie tun.

Werden Sie 2020 noch auf dem Stuhl des Vorstandsvorsitzenden sitzen?

Holzinger: Das entscheidet der Aufsichtsrat.

Wollen Sie es?

Holzinger: Ich habe einen Vertrag – und ich pflege, meine Verträge zu erfüllen. Aber es ist nicht so, dass ich klammern würde für den Fall, dass es mal andere Überzeugungen im Aufsichtsrat gibt.


Holzinger und das Rhön-Klinikum

Stephan Holzinger ist seit Februar 2017 Vorstandsvorsitzender der Rhön-Klinkum AG in Bad Neustadt. Der 49-jährige Schwabe fährt gerne Motorrad. Der Verwaltungswissenschaftler wohnt in München und Bad Neustadt. Die Region rund um die Kurstadt nennt er wegen der Lebensqualität „eine Insel der Glückseligen“. Holzinger war früher schon mit dem Rhön-Klinikum verbunden: Von 2013 bis Februar 2017 saß er in dessen Aufsichtsrat. Außerdem war er einst PR-Berater von Eugen Münch, dem Gründer des Klinikkonzerns und heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden.

Nach einem überraschenden Umbau des Vorstandes zu Jahresbeginn sitzen neben Holzinger sein Vorgänger Martin Siebert und Bernd Griewing in dem Gremium. Holzinger ist nach wie vor auch Vorstandschef der Stiftung Münch, die sich der Förderung von Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der Gesundheitswirtschaft verschrieben hat.

Die Rhön-Klinikum AG ist börsennotiert, machte im vergangenen Jahr 1,2 Milliarden Euro Umsatz, hat 16 000 Mitarbeiter und zählt zu den größten Gesundheitsunternehmen in Deutschland. 2014 verkaufte der Konzern 43 Kliniken an Konkurrent Fresenius Helios, so dass heute noch der Campus in Bad Neustadt, das Klinikum Frankfurt/Oder, die Universitätskliniken Marburg und Gießen sowie die Zentralklinik in Bad Berka mit zusammen elf Krankenhäusern zum Unternehmen gehören. Die Digitalisierung des Klinikbetriebes ist eines der zentralen Themen

in dem Konzern, der wirtschaftlich wechselhafte Jahre erlebt. Der Campus-Neubau in Bad Neustadt ist eine der größten Baustellen in Mainfranken. Anteilseigner der Rhön-Klinikum AG sind unter anderem das Medizintechnikunternehmen B. Braun Melsungen, die Asklepios Kliniken und die Familie Münch. (aug)
 
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