20 Prozent aller Pflegebedürftigen in Deutschland wurden 2019 vollstationär in Heimen und 24 Prozent zu Hause mithilfe eines ambulanten Pflegedienstes versorgt. Der mit Abstand größte Teil – 56 Prozent – wurde zu Hause überwiegend durch Angehörige betreut. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts verdeutlichen die große Bedeutung von Angehörigen in der Pflege.
Umso wichtiger ist es, diese so weit wie möglich zu entlasten. Ein Schritt in diese Richtung ist ein neues Projekt des BRK Alten- und Pflegeheims in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld). Ab Februar bietet dieses analog zur Tagespflege auch eine Nachtpflege an.
Hauptanliegen der Nachtpflege ist, pflegenden Angehörigen zu ermöglichen, mal wieder eine Nacht durchzuschlafen oder abends auszugehen. Das Angebot des BRK Alten- und Pflegeheimes ist jedoch in einem noch viel bedeutsameren Kontext zu sehen.
Schon seit geraumer Zeit fordere der Staat die Pflegeeinrichtungen auf, neue Wohnangebote, darunter auch eine teilstationäre Nachtpflege, zu entwickeln, erläutert Heimleiterin Elke Müller. Aber: "Die bayerischen Rahmenbedingungen schränken extrem ein und sind räumlich wie personell nicht umsetzbar", sagt sie.
Integration in den Wohnbereich des Pflegeheims
Unter anderem beinhalten die Vorgaben für die Nachtpflege ein eigenes Gebäude mit eigenem Personal. "Das ist für uns nicht zu finanzieren. Das trägt sich nicht", meint Müller dazu. Sie und die anderen Projektverantwortlichen, Pflegedienstleiterin Celine Mildner und die stellvertretende Einrichtungsleiterin Kornelia Siebenschuck, gehen davon aus, dass bei ihnen pro Nacht nicht mehr als ein oder zwei Personen die Nachtpflege in Anspruch nehmen werden.
So schnell wollte sich das Pflegeheim von der Idee einer Nachtpflege nicht verabschieden. Auch weil man immer wieder von pflegenden Angehörigen darauf angesprochen werde, führt Elke Müller aus. "Es muss etwas bewegt werden", sei ihr Anspruch gewesen. Daraufhin entwickelten sie und ihre Kolleginnen das Konzept einer "eingestreuten" Nachtpflege. Eingestreut bedeutet integriert in den Wohnbereich. Ein Zimmer der Einrichtung wird für die Nachtpflege reserviert und der "Gast" wird vom Personal des Wohnbereichs mitbetreut.
Ihr Konzept wurde durch das bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege sowie die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Kulmbach überprüft. Einige Punkte habe man noch ändern müssen, so Elke Müller, bevor es schließlich für förderungswürdig erklärt und auf den Weg gebracht wurde.
Wissenschaftliche Begleitung durch die Universität Bayreuth
Vom Erfolg der eingestreuten Nachtpflege in Bad Neustadt hängt viel ab. Wenn das Ganze funktioniert, wird das Konzept in den staatlichen Rahmenvertrag aufgenommen und kann auch von anderen realisiert werden. Elke Müller vermutet, dass dann viel mehr Pflegeeinrichtungen eine Nachtpflege anbieten werden. Bislang sei diese – auch über Bayern hinaus – nur in geringer Zahl zu finden. Viele hätten es versucht, aber wieder aufgegeben. "Wir haben damit eine Vorreiter-Funktion für ganz Bayern inne."
Das vom Gesundheitsministerium geförderte Modellprojekt wird von der Universität Bayreuth wissenschaftlich begleitet. Unter anderem übernimmt die Uni die Dokumentation. Für das Konzept und die Umsetzung in der Praxis ist das BRK Alten- und Pflegeheim zuständig. Die Projektphase dauert ein Jahr. Das Angebot richtet sich an Seniorinnen und Senioren ab dem 60. Lebensjahr mit einem Pflegegrad von 1 bis 5.
Elke Müller sieht noch einen weiteren Vorteil in der eingestreuten Nachtpflege. Da die Gäste in den Wohnbereich integriert werden, seien sie nicht isoliert und hätten Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern. Sei es beim Essen oder anderen gemeinsamen Unternehmungen.
In erster Linie sollen die pflegenden Angehörigen entlastet werden
Einen weiteren Aspekt will das Pflegeheim verfolgen. Viele ältere Menschen leiden an einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus. "Zusammen mit den Angehörigen und dem Arzt können wir beraten und Vorschläge machen, wie sich die Problematik verbessern kann", sagt Elke Müller.
Die Nachtpflege diene in erster Linie der Entlastung der Angehörigen, erläutert die Einrichtungsleiterin. Außerdem soll sie dazu beitragen, dass Pflegebedürftige trotz ihrer Einschränkungen so lange wie möglich in gewohnter Umgebung zu Hause bleiben können. Bei der Buchung gibt es keine Höchstgrenze. Die Kosten liegen bei 15,78 Euro pro Nacht und können über die Pflegekasse oder den Entlastungsbetrag abgerechnet werden.
Frühstück und Abendessen können mitgebucht werden. Das ist in den Kosten enthalten. Auch die pflegerischen Maßnahmen übernimmt das BRK-Heim. Für das Pflegepersonal ändere sich nicht viel, sagt Müller, dieses kümmere sich ganz normal um den Gast mit. Bei den Betreuungskräften müsse jedoch die Arbeitszeit bis 23 Uhr ausgeweitet werden.
Mithilfe der Betreuung soll sich die Seniorin oder der Senior noch in die Umgebung einfinden können und etwas aktiviert werden. Sei es durch einen Besuch der Kapelle oder des Snoezelenraums, durch Massage oder Singen. "Wenn dann noch ein anderer Bewohner dazu kommt, umso schöner", so Elke Müller. "Es soll keine Einsamkeit herrschen."
Es gibt bereits erste positive Reaktionen
Nachdem Flyer über das neue Angebot verteilt wurden, seien bereits erste positive Reaktionen bei ihnen eingetroffen, schildert die Einrichtungsleiterin. Von Ärzten, Sozialstationen und aus der Bevölkerung, vor allem von Menschen, die bereits die Tagespflege für ihre Angehörigen nutzen.
"Ich bin sehr motiviert und wäre glücklich, wenn das Projekt erfolgreich verläuft", blickt Elke Müller auf die kommenden Monate. Dem schließt sich ihre Stellvertreterin Kornelia Siebenschuck an: "Es wäre schön, wenn die Rahmenbedingungen für die Nachtpflege schließlich so angepasst werden, dass sie realisiert werden kann." Und Pflegedienstleiterin Celine Mildner fügt hinzu: "Ich würde mich freuen, wenn wir einen Meilenstein für andere setzen können."
Es geht wie immer…
Um das liebe Geld!