Was schreibt man der Frau, die einem das Leben gerettet hat? Sylvia Born wählt nach ihrer Leukämie-Erkrankung in der Weihnachtskarte an ihre Stammzellspenderin emotionale Worte: "Oft bist du in meinen Gedanken und der Countdown läuft. Am 30. März 2024 sind zwei Jahre um. Dann renn' ich dich vor Freude um!" Die Adressatin der Karte: Josephine Lippitz aus Wülfershausen in Rhön-Grabfeld.
In den ersten zwei Jahren nach der Transplantation durften die Frauen aufgrund der Richtlinien der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) nur per Post und anonymisiert Kontakt miteinander haben. Umso größer dann der Moment jetzt, am 1. Mai: Sylvia Born und ihre Tochter Larissa besuchen Josephine Lippitz zum ersten Mal.
Das Umrennen lässt Sylvia Born sein, stattdessen umarmen sich die Frauen herzlich. "Oh, ist das schön", ruft die Bochumerin immer wieder und drückt Josephine Lippitz an sich. Bei beiden fließen Tränen, es ist ein bewegender Augenblick.
Gerade erholt sich Sylvia Born von einem Unfall, dann kommt die Leukämie
Das Treffen hat eine lange Vorgeschichte. Im Herbst 2021 erholt sich Sylvia Born von einem schweren, unverschuldeten Motorradunfall mit Knochenbrüchen und beschädigter Lunge. Lange kann die dreifache Mutter und zweifache Oma nicht laufen. Irgendwann wirft sie im Garten ihre Krücke weg und beschließt, dass es weitergehen muss.
Doch wenig später kommt bei einer Vorsorgeuntersuchung heraus: Sylvia Born hat T-Prolymphozyten-Leukämie (TPLL). "Als ich davon hörte, habe ich immer wieder 'Nein' gerufen", erinnert sich die 63-Jährige. "Nein, ich habe keine Leukämie! Ich war am Boden zerstört, als ich begriff, was das bedeutet." Denn TPLL greift das Immunsystem an, sagt Born: "Wenn innerhalb von einem halben Jahr nichts passiert, ist Ende im Gelände."
Die Bochumerin beginnt eine Antikörpertherapie, sie braucht eine Stammzellen-, also Knochenmarktransplantation. Im Dezember 2021 erfährt sie: Eine Spenderin ist gefunden!
Es ist Josephine Lippitz aus Rhön-Grabfeld, die sich am 31. Januar 2022 in der Uniklinik Dresden Knochenmark für Born entnehmen lässt. "Das war ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk", sagt Sylvia Born mit leuchtenden Augen.
Die Stammzellen sollen ihr in der Uniklinik Bochum umgehend transplantiert werden. Doch weil sich die Leukämie-Patientin mit Corona angesteckt hat, muss der Eingriff verschoben werden. Born bekommt Gallensteine, ihre Bauchspeicheldrüse entzündet sich, sie hat Wasser in der Lunge. Die Ärzte müssen die Galle entfernen - und die Patientin muss sich davon erst erholen.
Ihr Optimismus und ihre Kinder helfen Sylvia Born beim Kampf gegen die Leukämie
Am 30. März 2022 setzen Mediziner ihr schließlich Knochenmark von Josephine Lippitz ein. Die Chemotherapie beginnt. Die Stammzellen schlagen an, aber Born hat Geschwüre im Mund, Durchfall, Blut im Urin, kämpft gegen Infektionen. Aufgeben? Für die Bochumerin keine Option.
Sie habe ihre Kinder vom Klinikparkplatz aus zu ihr hoch winken sehen, erzählt die 63-Jährige: "Ich sagte mir: Du kannst nicht den Mut verlieren, du musst stark bleiben!" In der Stammzellenklinik habe sie auch jüngere Patientinnen und Patienten gesehen, die gestorben sind. "Das ist hart. Aber ich habe mir gesagt: Ich nicht, mir passiert das nicht."
Ihren Lebenswillen dokumentierte sie auf ihrer Patientenverfügung. Oben notiert sie: "Allererstes Gebot: Ich werde überleben." Und unten: "Macht euch keine Sorgen, ich schaffe das!"
Kraft gibt ihr der Kontakt mit der 28-jährigen Spenderin aus Unterfranken. Die Frauen schreiben sich anonym, kennen nur Geschlecht und Herkunftsland der anderen. Der Briefaustausch läuft über die DKMS. Die Organisation streicht alles, was Rückschlüsse auf die Person zulassen könnte. "Ich habe getüftelt, wo die Spenderin herkommt oder wie alt sie ist und dafür ihre Schrift analysiert", erzählt Born und schmunzelt.
Josephine Lippitz aus Wülfershausen ist stolz, ein Leben gerettet zu haben
Eineinhalb Jahre dauert es, bis Sylvia Born ganz gesund ist. "Als ich das erfahren habe, war das ein Gänsehautmoment. Da war auch das Gefühl, dass ich ein Leben gerettet habe", sagt Josephine Lippitz. Schon seit 2017 ist sie bei der Spenderdatei registriert.
Vor der Entnahme ihres Knochenmarks musste sie sich einen hormonähnlichen Stoff spritzen. "Das war nicht einfach. Aber ich würde es wieder tun", sagt die 28-Jährige. Auch, weil ihre Tante an Leukämie gestoben ist. Und weil sie selbst als leitende Medizinische Technologin für Radiologie in der Geomed-Kreisklinik Gerolzhofen mit Krebskranken zu tun hat.
Mitte April 2024 erhalten Lippitz und Born von der DKMS Adresse und Handynummer voneinander und verabreden sich zum Videotelefonat: "Dieser Moment war so besonders, dass man ihn kaum beschreiben kann", erinnert sich die Wülfershäuserin.
"Was sie für Kraft aufwenden musste, um alles zu überstehen!", sagt sie über Borns Geschichte. "Ich freue mich riesig, ihre funkelnden Augen zu sehen und ihre Kinder und Enkelkinder. Sie ist jetzt schon wie eine zweite Mutti für mich und wir wollen unbedingt in Kontakt bleiben", sagt Josephine Lippitz. Sobald wie möglich will sie nach Bochum fahren.
Inzwischen muss Sylvia Born keine Medikamente mehr nehmen. Und sie sagt: "Ich blicke heute anders auf mein Leben. Was nicht passt, kommt weg." Stress und Streit wolle sie nicht mehr, sie achte dafür auf Gelassenheit und Genuss. "Und ich erlebe Augenblicke intensiver als früher." Wie der in Wülfershausen, beim allerersten Treffen.