Mit lautem Pups-Geräusch wird das schmale Lamm-Köpfchen sichtbar. Schleimig und glitschig flutscht es aus dem Mutterschaf ins Stroh. Die Vorderhufe waren zuerst da. Schäfer Julian Schulz steht gebeugt über das liegende Muttertier. Lenkt und zieht bedächtig, im Einklang mit den Wehen, an den Lamm-Klauen.
In der Regel kommen Lämmer in Vorderendlage zur Welt, mit dem Kopf auf den ausgestreckten Vorderbeinen. So auch heute. Still ist es in diesem Moment wahrlich nicht im Stall der Weidegemeinschaft Rhönschaf in Ginolfs in der Rhön.
An die 1000 Tiere - in der Mehrzahl Schafe, aber auch um die Hundert Ziegen - blöken, meckern. Unwichtige Geräuschkulisse im Hintergrund! Die Teilnehmer des VHS-Kurses "Naturgeburtstage bei den Schafen" halten die Luft an: Was sie miterleben, ist tatsächlich die Geburt eines Lammes.
Das Pups-Geräusch, das den Austritt des Lamm-Köpfchens begleitet, gleicht für sie einem Donnerschlag. Erlöst und erleichtert atmen Mutterschaf und Zuschauer auf. Die umstehenden Kinder lachen. "Aber Clara!", Schäfer Schulz blickt gespielt entrüstet zu seiner Tochter. "Das war doch das Schaf!", ist die Sechsjährige um eine Antwort nicht verlegen.
Wie Rhön-Schäfer Julian Schulz die Geburten der Rhönschafe steuert
"Eure Idee mit den VHS-Kursen ist echt der Hammer", findet Kurs-Teilnehmerin Gudrun Vöth, Verkäuferin im Naturkostladen in Bad Neustadt. "Als ich das im Programmheft gesehen habe, wusste ich sofort: Da muss ich hin." Auch die 35-jährige Lisa Schubert aus Bad Neustadt hat nicht gezögert, sich mit ihrer siebenjährigen Tochter Klara anzumelden: "Meine Tochter ist sehr tierlieb."
Dass tatsächlich eine Lamm-Geburt in den zweistündigen Kurs-Zeitraum fällt, begeistert Gudrun Vöth. Die Wahrscheinlichkeit, dass das klappe, sei gar nicht so gering, erklärt Schäfer Julian Schulz.
Noch ist der 30-jährige Schäfer angestellt, zeitnah möchte er den Betrieb in Ginolfs übernehmen
Der 30-Jährige, der ursprünglich aus einer Schäferei in der Lüneburger Heide stammt, arbeitet seit zehn Jahren in Ginolfs in der Rhön. Mit Ehefrau Carmen, sie stammt aus einer Schäferei im Spessart, hat er zwei Töchter. Noch ist Schulz als Schäfer bei der Weidegemeinschaft Rhönschaf angestellt, in naher Zukunft möchte er den Betrieb übernehmen.
In den vergangenen beiden Wochen hätten bereits rund 400 Mutterschafe im Ginolfser Stall gelammt. "Ich steuere die Lammzeit über meine Böcke und über das Futter", erzählt Schulz. Kommen die Tiere im Sommer in die Hochrhön, "wo die Lupine in der Milchreife ist und einen hohen Eiweißgehalt hat", wirke sich das direkt auf den Hormonhaushalt aus.
Weshalb der Wanderschäfer vielerorts gar nicht mehr so gern gesehen ist
Die Tiere "bocken", werden also brünstig. Etwa fünf Monate lang sind sie nach erfolgreicher Befruchtung trächtig. Der Großteil der Geburten falle bei ihm in die Zeit zwischen Anfang Februar und Mitte März. Dann seien die Tiere sowieso im Stall. Rund um Weihnachten bezieht die Herde ihr Ginolfser Winterquartier.
"Also nix von wegen Osterlamm", sagt Schulz. Schlachtreif sind die Schafe nämlich erst fünf bis sechs Monate nach Geburt. Ostern ist dann längst vorbei. Den Großteil des Geldes verdiene die Schäferei sowieso mit der Landschaftspflege, erläutert Schulz. Als Wanderschäfer sei er inzwischen allerdings nicht mehr immer und überall gern gesehen. Allein die Schafsköttel, die die Tiere beim Durchzug durch eine Ortschaft hinterlassen, seien für manche Menschen Grund, sich aufzuregen.
Weshalb die Rhönschafe für die Rhöner Landschaft unverzichtbar sind
Auch deshalb hätten er und seine Frau die Idee mit den VHS-Kursen gehabt. Ihr Ziel: "Den Menschen die Schafe und das Leben der Schäfer wieder näherbringen." Die offenen Rhöner Fernen gebe es ohne die Wanderschafhaltung nicht. Die artenreichen Bergwiesen bräuchten hungrige Schaf- und Ziegenherden, um nicht zu verbuschen. Viele Pflanzen-Samen würden über Klauen, Wolle und Kot der Schafe transportiert.
Auf Wanderschaft in die Hochrhön geht es für Julian Schulz wieder Mitte April, Anfang Mai. "Könnt ihr da Helfer brauchen? Ich wär' sofort dabei!" Gudrun Vöth ist Feuer und Flamme. "Schafe haben einfach was", findet sie.
Wie sich Mutterschaf und Lämmchen nach der Geburt finden
Recht hat sie. Fast andächtig blicken die Kurs-Teilnehmer auf das neugeborene Lamm: Hilflos und wunderschön liegt es im Stroh. Aus dem Mutterschaf baumelt derweil blutig die Nabelschnur, die Nachgeburt fehlt noch.
Schäfer Schulz stupst das Tier in Richtung Nachwuchs. Quasi sofort beginn das Mutterschaf sein Lamm aus der Eihaut frei zu lecken, prägt sich so den Geruch des Kindes ein. Während das Kleine auf die Mutter und dessen Stimme geprägt wird. "So finden sich die beiden später in der großen Herde wieder", erklärt Schulz.
Was den Kurs-Teilnehmern besonders gefallen hat
Es sind die anstrengendsten Wochen seines Schäfer-Daseins. "Heute Nacht war ich wieder bis 4 Uhr hier oben." Eigentlich gebären die Tiere selbstständig. Stünden allerdings zu viele Schafe auf einem Fleck, verschmieren sie eventuell ihren Geruch. "Und in der Folge nimmt eine Mutter ihr Lamm nicht an." Auch könnte es, gerade bei Zwillingsgeburten, zu Komplikationen kommen. Dann sei er da, um einzugreifen, sagt der Schäfer.
Wenige Meter weiter trägt die siebenjährige Klara stolz ein Lamm auf dem Arm. "Das war das Tollste an dem Kurs", wird sie später sagen, "dass ich das Rhönschaf auf den Arm nehmen durfte".
Ist eine Schafgeburt blutig und traumatisch?
Ab einem Alter von fünf Jahren können Interessierte VHS-Kurse der Familie Schulz besuchen. Ist so eine Schafgeburt eventuell traumatisch für Kinder? Mitnichten, finden das Ehepaar Schulz und die anderen Kurs-Teilnehmer. Denn: Jeder darf, niemand muss hinsehen. Alle Teilnehmer können sich frei im großen Schafstall bewegen. Wer das gebärende Mutterschaf nicht eigens mit den Augen in der Menge sucht, nimmt nicht teil an dem Erlebnis.
Ganz unblutig geht eine Lamm-Geburt natürlich nicht vonstatten. Klar auch, dass die Kids im Anschluss nicht mehr glauben, dass der Storch die Kinder bringt. Stattdessen erleben sie ein Stück Natur und Wirklichkeit jenseits von lila Kühen. "Was da aus dem Mutterschaf raushängt, ist schon eklig", fasst der achtjährige David das Geburts-Ereignis zusammen. "Aber das Lamm am Ende ist toll."
Die nächsten VHS-Kurse "Naturgeburtstage bei den Schafen" finden diesen Freitag, 17. Februar, von 14 bis 16.30 Uhr und diesen Samstag, 18. Februar, von 14 bis 16 Uhr statt. Im März, April und Mai bietet Schäfer Julian Schulz dann Erlebnistage im Stall und Schaf-Wanderungen an. Buchen kann man die Kurse über die VHS Bad Neustadt.