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GINOLFS
Warum Ostern besser im Sommer läge
Eine Ostergeschichte: Rund 500 Lämmer werden jährlich in der Herde von Rhönschäfer Josef Kolb aus Ginolfs geboren. Allerdings nicht zwangsläufig passend zur Osterzeit. Das Rhönschaf ist dennoch das perfekte Ostersymbol.
Erst wenige Stunden alt: Rhönschäfer Josef Kolb kümmert sich um ein neu geborenes Rhönschaf-Lämmchen.
Foto: Sonja Demmler | Erst wenige Stunden alt: Rhönschäfer Josef Kolb kümmert sich um ein neu geborenes Rhönschaf-Lämmchen.
Ines Renninger
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:18 Uhr

Määäh, bäääh, määäh. Wenige Tage vor Ostern geht es hoch her im Stall von Rhönschäfer Josef Kolb in Ginolfs (Landkreis Rhön-Grabfeld). Es blökt in allen Tonarten, guttural, schrill, wimmernd, zart. 500 Rhönschafe und 300 Lämmer bähen, 40 Ziegen meckern und vier Böcke mähen. Dazwischen die tiefe beruhigende Stimme des Schäfers. Angesichts eines solchen Blök-Konzerts sieht jeder menschliche Chor blass aus.

Das Rhönschaf mit seinem schwarzen Kopf und den unbewollten weißen Beinen passt zu Ostern wie kein anderes Symbol. Nicht nur, weil ein Osterlamm als Festmahl zu diesem christlichen Hochfest natürlich kulinarisch Tradition hat. Vor allem ist Ostern das Fest der Auferstehung. Und wiederbelebt wurde auch das Rhönschaf in gewisser Weise.

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Anfang der 80er Jahre war die viele Jahrhunderte alte Schafrasse vom Aussterben bedroht. Das an das raue Klima der Rhön vorzüglich angepasste Rhönschaf war von einst 30 000 Tieren auf einen kläglichen Restbestand von 300 zusammengeschrumpft. Man hatte es durch Schafsrassen ersetzt, die profitabler bei der intensiven Haltung waren.

1985 kam dann die Kehrtwende: Der Bund Naturschutz rief zusammen mit dem Ginolfser Landwirt Josef Kolb das Projekt „Rhönschaf“ ins Leben. Kolb begann mit 40 Rhönschafen und einem Bock mit der Zucht. Mit Erfolg. Das Rhönschaf feierte in den vergangenen Jahrzehnten ein beispielloses Comeback und avancierte zum Aushängeschild und Sympathieträger der Rhön.

„Mit dem Rhönschaf haben wir nicht nur eine bedrohte Haustierrasse wieder aufleben lassen“, sagt Kolb. „Es ist ein Kulturgut. Außerdem eine Spezialität, ein nicht-austauschfähiges Produkt, das wir regional vermarkten.“ Kolb beliefert circa zehn gastronomische Betriebe in der Region und vertreibt Rhönschaf-Produkte in seinem Hofladen.

„Die Rasse ist perfekt für die Rhön geeignet, weil sie mit dem, was dort wächst, auskommt.“ Im Sommer sind die Tiere auf den Weiden, wo sie vor allem unter dem Gesichtspunkt Landschaftspflege für das Biosphärenreservat unverzichtbare Arbeit leisten. Im Winter bekommen sie das Futter, das Kolb im Sommer mit seinem Biobetrieb auf 150 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche erzeugt. „Ein geschlossener Kreislauf.“

Kurz vor Ostern werden im Kolb?schen Stall die letzten Vorbereitungen für den Übergang auf die Weide getroffen. Hier werden einem Mutterschaf noch die Klauen geschnitten, dort tut im Nachbarstall ein blutjunges Lämmchen seine ersten unsicheren Schritte.

Als Osterlamm wird das gerade erst Geborene sicherlich nicht mehr enden. Dafür ist es zu jung. Womit auch schon ein nicht unwesentliches Problem des Rhönschäfers formuliert ist. In Kolbs Augen kommt Ostern einfach jedes Jahr zu früh. Gelegener käme es ihm, witzelt er mit einem Augenzwinkern, würde das christliche Hochfest in den Sommer fallen. Juli oder August, findet der 56-Jährige, wäre ein guter Zeitpunkt. Denn das sind die Monate, in denen die meisten seiner Lämmer eigentlich schlachtreif sind.

Prinzipiell ist das Schaf nämlich ein saisonal reproduzierendes Tier. „Es nimmt im Juli, August auf, wird trächtig und lammt dann im Dezember, Januar“, erläutert Kolb. Während die Lämmer anderer Schafrassen bereits nach drei bis fünf Monaten schlachtreif sind, dauert es beim Rhönschaf bis zu elf Monate, was auf extensive Fütterung auf nährstoffarmen Magerwiesen zurückzuführen ist.

Frisches Lammfleisch gibt es also eigentlich erst dann, wenn Ostern längst vorbei ist. Zu Beginn seiner Schäferkarriere, Mitte der 80er Jahre, ist genau das passiert. „Osterlamm, Osterlamm“, schrien die Kunden damals. Und Kolb hatte keins. Es waren jene Jahre, in denen er die Gastronomie als idealen Partner entdeckte. Mit ihrem Hochbetrieb im Sommer fragten die Gaststätten für ihn gerade zur rechten Zeit Lamm nach.

Sein Osterproblem hat das nicht gelöst. „Wir haben uns damals gefragt: Wie können wir gegensteuern, ohne zu manipulieren?“ Seither lässt der Schäfer die Böcke einfach das ganze Jahr mit der Herde laufen. „Wenn dann zwischendurch ein Mutterschaf trächtig wird, soll es so sein.“ Die saisonale Reproduktion wird so ein wenig aufgeweicht. Gehe man weiter davon aus, dass im Dezember das erste, im April das letzte Lamm geboren werde und die Tiere zwischen sechs und elf Monate alt würden, habe man einen gewissen Spielraum. „Mittlerweile können wir die Oster-Nachfrage decken.“

Selbst in diesem Jahr, das eigentlich kein gutes ist, klappt es. Weil der letzte Sommer extrem trocken war, lammt ein Drittel von Kolbs Tieren nicht. „Ist es zu trocken, gibt es kein energiereiches Futter, kommen die Schafe nicht zum Bock“, erklärt Kolb den Zusammenhang völlig unaufgeregt. Dass es heuer so kommen würde, hatte er vorhergesehen. „Wir leben mit der Natur und was die Natur uns vorgibt, das akzeptieren wir.“

Auch in schlechteren Jahren ist ihm aber um die Zukunft der Rhönschäferei nicht bange. „Weil wir mit Bio im Biosphärenreservat auf einem guten Weg sind“, ist er überzeugt. Nachhaltige, transparente Bio-Landwirtschaft ist in Kolbs Augen der einzig zukunftsfähige Weg.

Natürlich muss dann noch das ein oder andere dazukommen, damit sich Erfolg einstellt. Die Unterstützung der Lokalpolitik etwa dürfe nicht fehlen. Und jede Menge Idealismus vonseiten des Schäfers brauche es auch. Kolb muss es wissen: Seit über 30 Jahren züchtet der ausgebildete Landwirtschaftsmeister, der übrigens nie Schäfer im klassischen Sinne gelernt hat, mittlerweile Rhönschafe. „Sich 365 Tage 24 Stunden am Tag den Tieren zur Verfügung stellen – mit Materialismus hat das nichts mehr zu tun“, so der Vater zweier erwachsener Töchter.

Geld muss aber natürlich auch verdient sein. Die EU habe ihm dank der Flächenprämie für die Landschaftspflege gewisse Spielräume verschafft. Trotzdem geht es Kolb natürlich letzten Endes darum, die Lämmer zu vermarkten. Ob ein Lamm am Ende Osterlamm wird oder eventuell zur Zucht genutzt wird, hängt übrigens von vielen Faktoren ab.

50 bis 80 von seinen rund 500 Lämmern jährlich werden Zuchttiere. Über das Schicksal des Lammes entscheiden vor allem „optische Gesichtspunkte“, wie Kolb verrät. Ein genügend schwarzer Kopf beispielsweise ist Voraussetzung für ein Zuchttier. Aber auch die Wolle, die Füße und Zähne, die Abstammung und Leistung von Mutter und Vater spielen eine Rolle.

Kolb ist sich seiner Verantwortung bewusst. „Wir sind Herr über Leben und Tod.“ Das Bild vom guten Hirten nimmt er ernst. Den möchte er verkörpern. „Die Schafe brauchen uns und wir sie, das muss harmonieren. Wenn wir im Frühjahr zusammen rausgehen, müssen wir miteinander klarkommen, wir leben zusammen.“

Insofern bedient sich nicht nur die Religion des Bildes vom Hirten, der Hirte schöpft auch aus der Religion. Religion heißt für Kolb vor allem, sich moralisch und ethisch korrekt zu verhalten. Zu dieser Verantwortung gehört für ihn auch, im Zweifel Tiere aufzugeben. „Wenn wirklich eins infiziert ist, dann wird es nicht hochgepäppelt, dann bleibt es auf der Strecke.“ Schließlich brauche er keine Tiere, die Krankheiten weitergeben.

Wo es aber sinnvoll ist, kämpft Kolb um jedes Lamm. Wie bei jenen dreien, die gerade putzmunter an den Zitzen einer Ziege nuckeln. „Die ist ihre Amme“, berichtet Kolb. Weil sie das Mutterschaf nicht säugen konnte, waren die drei eigentlich zum Tode verurteilt. Mit Flaschenmilch aufziehen sei zwar möglich, aber zeit- und kostenaufwendig. Da kamen die Thüringer Waldziegen, die der Schäfer aus Landschaftspflegegründen seit einem Jahr in seiner Herde mitführt, als Ammen gerade recht. Dank der Ziegenmilch tollen die Jungtiere übermütig um des Schäfers Beine – eine kleine Wiederauferstehungsgeschichte aus dem Tierreich kurz vor Ostern.

Das Osterlamm

Ostern ist das wichtigste Fest im christlichen Glauben. Am Ostersonntag überwand der gekreuzigte Jesus den Tod und erfüllte damit seinen göttlichen Erlösungsauftrag. Das älteste christliche Jahresfest wurzelt in der jüdischen Pessachfeier. Das Konzil von Nicäa legte im Jahr 325 fest, dass Ostern immer auf den Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond fällt. Das Lamm ist das Sinnbild für den Opfertod Jesu. Es entstand aus dem jüdischen Ritual, zum Pessachfest ein Lamm zu schlachten. Johannes der Täufer wies auf Jesus mit den Worten: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinwegnimmt.“ dpa

ONLINE-TIPP

Wir haben Videos aus dem Schafstall unter www.mainpost.de/online-tipp

Noch sind sie im Stall, Ostern bereits sollen die Rhönschafe auf der Weide grasen.
| Noch sind sie im Stall, Ostern bereits sollen die Rhönschafe auf der Weide grasen.
 
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