Ein regnerischer Sonntagmorgen. Die Straßen ins 450-Seelendorf Wargolshausen im Landkreis Rhön-Grabfeld sind ruppig, wie es sich für die Provinz gehört. Die Windräder im entlegenen bayerischen Landstrich drehen sich an diesem Tag schnell, schneller fast als die politischen Richtungswechsel, die der Landesvater gewöhnlich macht.
Drinnen im kuscheligen Saal im Haus des Gastes von Wargolshausen ist jede Abstandsregel außer Kraft gesetzt. Dicht an dicht sitzen die rund 300 Glücklichen, die Karten ergattert haben für den Frühschoppen. Dicht an dicht reihen sich Biergläser und Weißwurst-Teller.
Kabarettistischer Vormittag: Von Anton Hofreiter bis Bodo Ramelow
"Breezel, Bier und domm's Gebabbel", der kabarettistische Vormittag mit Fredi Breunig, ist seit Jahren heiß begehrt. Bei seinen Fans - und bei prominenten Überraschungsgästen. Immerhin war der Grüne Anton Hofreiter schon da und hat Bier, Wurst und Kuchen verschlungen. Strauß-Tochter und CSU-Politikerin Monika Hohlmeier war zu Gast und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken ebenso.
An diesem Sonntagmorgen nach Dreikönig ist es zur Überraschung aller im Saal tatsächlich jener Mann, der vielleicht nur noch vom Bundeskanzler oder dem Papst getoppt werden könnte: Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident höchstselbst.
Mit Marschmusik vom Band zwängt sich Söder, ganz in Schwarz bis zum Rollkragen, durch das Defilee der Rhöner und Grabfelder auf die Bühne. Die Leibwächter schauen, dass sich keine Klimakleber oder Schlimmeres zwischen den Weißbiergläsern versteckt. Markus Söder aber, das Darsteller-Talent, zieht für das Publikum eine Miene auf, die zwischen leichtem Gelangweiltsein und gnädiger Überheblichkeit sogleich den amüsanten Ton setzt für die nächste gute halbe Stunde.
Die große Klappe von Markus Söder
Das etwas Mundfaule wie beim Besuch von Justizminister Winfried Bausback in Wargolshausen geht dem langjährigen CSU-Wadlbeißer Söder natürlich ab. "Sohn, du hast zwei linke Hände, aber eine große Klappe. Du wirst besser Pfarrer oder Politiker!", hatte Söders Vater Max, ein Maurer, dem Buben einst die Richtung vorgegeben. Klar, dass die Episode aus Söders Nürnberger Kindheit für Lacher sorgt.
Fredi Breunigs Anfangs-Gag mit dem Mini-Windrad mit Teleskop-Auszug war da schon verflogen. Je nach aktueller Verordnungslage könnte man das Windrad verstellen oder ganz einfahren. Ein Söder sucht sich seine Themen selbst aus, wenn es wie in der Rhön klimapolitisch zu brisant wird. Mit gespielter Bräsigkeit sitzt er an dem Tisch mit der grünen Tischdecke, auf die sofort die fränkische Flagge gebreitet wird, um den Makel der politischen Fehlfarbe zu überdecken.
Auf dem Tisch stehen zwei Bowle-Gefäße. In dem einen schwappt etwas Braunes: Cola light für Söder. In Breunigs Bowle schwappt schales Bier, das nicht viel appetitlicher wirkt. "Mein Vater war Brauer, mein Opa, da werde ich kein Bier trinken?!", kontert Breunig auf Söders Nachfrage. "Alt sind die wohl auch nicht geworden!", gibt Söder bissig zurück. Auf den Mund gefallen darf man nicht sein im Duell mit dem Franken.
Der Song "Layla" und andere Verbotsdebatten
Die ganz große Politik streift dieser genüssliche Vormittag, den zweimal im Jahr die
Wargolshäuser Dorfgemeinschaft auf die Beine stellt, nur kurz: beim Fleischverbot in Kitas und bei der republikweiten Aufregung um den Bierzelt-Sexismus-Song "Layla". Ein wenig mehr "Leben und leben lassen" wünscht sich der Ministerpräsident. Ansonsten geht es in Wargolshausen darum, dass sich Franken über ihr Franken-Sein freuen, selbst wenn sie in München ihre Diäten sauer verdienen müssen. Den Bayern, so witzelt der promovierte Jurist Söder, scheint Franken so wichtig gewesen zu sein, dass sie lieber Wunsiedel wollten und dafür auf Riva am Gardasee verzichteten.
Gute Nachrichten für "Fastnacht in Franken" in Veitshöchheim
Und was haben die Bayern dem Rheinischen Bund von 1806 zu verdanken? Einen Heimatminister, der 2014 als "Shrek" sein grünes Zeichentrick-Gesicht tagelang nicht losbekam, weil auf der Flasche mit dem Reiniger "Nicht im Gesicht anwenden" stand. Immerhin, eine Aussage von großer Tragweite entlockt Fredi Breunig seinem hohen Gast: "Ich hab da was im Kopf, ich glaube, das wird was", deutet Söder an, dass er erstmals als Ministerpräsident auch in Verkleidung auftreten wird - am 10. Februar bei "Fastnacht in Franken" in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg). "Ich habe mich im Sakko irgendwie nackt gefühlt", sagt Söder über seine jüngsten Besuche bei der BR-Kultveranstaltung.
Bevor ihn sein Chauffeur von Wargolshausen an einen anderen wichtigen Ort an diesem Sonntag bringt, hat Markus Söder eine dicke Überraschung in Form eines schlanken Metalls parat. Nichts weniger als den Bayerischen Verdienstorden zückt Söder für Herrn Alfred "Fredi" Breunig. Auf unnachahmlich "fränkisch-maulige Weise" habe sich Breunig um die Kultur verdient gemacht und als Fränkisches Original Akzente gesetzt. Die stehenden Ovationen folgen auf dem Fuß.
Da muss sich der Rhöner erst einmal hinsetzen. Der Verdienstorden wird nur an maximal 2000 lebende Personen verliehen. Fredi Breunig also sitzt auf der Bühne und sein fränkisches Kabarettisten-Gehirn beginnt zu rattern: "Uff, Papst Benedikt war doch ebenfalls Träger...." Ja, fränkischer Humor darf so furchtlos vor bayerischen Majestäten sein.
Aber da die Wort- und Buchstabenzahl bei den Kommentaren begrenzt ist, kann ich nicht alles schreiben, was mir mißfällt.
Wenn ich auch nur einen Bruchteil der Probleme und fragwürdigen Zustände anprangern wollte, mit denen unser Land "gesegnet" ist, käme eine Philippika zustande, die in ihrem Umfang in etwa dem Großen Brockhaus mit 30 Bänden entspricht.
Auch wenn es sich natürlich überhaupt nicht vergleichen läßt könnten Böswillige Assoziationen zu George Grosz' Gemälde "Die Stützen der Gesellschaft" konstruieren, wenn bundesweit Szenen fröhlich feiernder Politiker in jedes Wohnzimmer ausgestrahlt werden, während viele Menschen hungern, frieren und knausern - und im Extremfall sogar sterben müssen.
Wie sich solche Memes auf die Wahlchancen auswirken können, hat man bei Herrn Laschet gesehen. Herr Söder muss im Herbst auf viele Heckenschützen Obacht geben.
Die einfachen Leute, die keine Ambitionen und kein großes Imagebewußtsein haben, können natürlich frisch-fromm-fröhlich-frei "saufen", schunkeln und das altbekannte Borstenvieh raus lassen wie sie wollen. Da will ich niemanden was reinreden - aber an Politiker von Format stelle ich andere Ansprüche als an Otto-Normal-Faschingsdoldi.
Vehement fordern altes Kriegsgerät in die Ukraine zu entsorgen, damit das Töten und Sterben dort weitergehen kann und gleichzeitig schon ein lustiges Faschingskostüm planen.
"Auch wenn's in der Ukraine kracht
wir feiern frohe Fossanacht..."
Ich finde es unmöglich, dass Politiker lustig feiern können, während gleichzeitig mit diesen Waffen getötet und durch diese Waffen gestorben wird.
Wir haben vielleicht unterschiedliche Ansichten über Anstand und Moral.
So gesehen ist "Spaßbremse" für mich ein Ehrentitel.
Ob es klug vom sonst so schlauen Herrn Söder ist, den fröhlichen fränkischen Faschings-Göker zu geben, während an der Ostfront in Deutschland ausgebildete und mit deutschen Waffen ausgerüstete Soldaten Kälte, Hunger, Verwundung und Tod ausgesetzt sind, muss er selber wissen.
Ich bin zwar nicht sein Imageberater und nicht für seine Außendarstellung verantwortlich. Aber ich glaube mit dem üblichen Fernseh-Faschings-Schmonz erreicht er hauptsächlich eine bestimmte Party- und Eventszenen-Klientel und stößt Wähler, die tiefer schürfen und sich nicht von Flitter und Tralala blenden lassen ab.
Herr Selensky wird sicher nicht lustig feiern und Sekt schlürfen, während seine Soldaten um ihr Leben kämpfen und wird sich seine eigene Meinung über Waffenlieferanten, die wohlversorgt Fossanacht zelebrieren bilden.
Dann setzen wir uns am besten alle in den Keller, stellen unser Leben ein und geißeln uns 24h rund um die Uhr und warten bis uns der Boandlkramer aufruft und uns erlöst von den weltlichen Dingen. Oder ?
Wer Taktgefühl, Empathie und Würde hat wird aber wohl nicht unbedingt fröhlich in die Fernsehkameras jauchzen, wenn zur gleichen Zeit in der Ukraine ein blutiges Stalingrad-Szenario seinen Lauf nimmt.
Wenn ich Herrn Söder auch nicht unbedingt für den besten Politiker halte, den Bayern und Deutschland zu bieten haben, so habe ich ihn doch immer für instinktsicher und klug genug gehalten nicht in jedes Fettnäpfchen zu stolpern.
Daher verstehe ich nicht wieso er sich jetzt ohne Not dem "Laschet-Dilemma" aussetzen will. Gut, bei Provinzpolitikern aus der Dritten Reihe gehört der alljährliche Faschingsschwof zum Geschäft. Wer in der ersten Liga mitreden und mitspielen will muss aber vorsichtiger sein.
Die billige Ausrede: "Wir Politiker feiern ja nur so fröhlich und ausgelassen um dem einfachen Volk eine Freude zu machen" zieht nicht mehr so gut wie früher und wie Fetenfotos sich im Wahlkampf auswirken ist noch unklar.
Um nicht mißverstanden zu werden: Jeder getötete Soldat/Mensch - egal welcher Nationalität - ist ein Toter zu viel. Aber den Ukraine-Konflikt mit der Schlacht um Stalingrad zu vergleichen, wie Sie es tun, ist fahrlässig beziehungsweise absurd.