Der Schnee glitzert, die Sonne wärmt bereits. Schmelzendes Eis knirscht unter den Bergschuhen. Unten im Tal hängt der Nebel als dicke Decke, hier oben ragt der Sendemast des Heidelsteins in den wolkenlos blauen Himmel. Groß ist die Verlockung, vom Parkplatz Schornhecke geradeaus loszulaufen. Einfach dem getrampelten Pfad im Schnee folgen, links an der Hecke vorbei zum Ost- und dann zum Hauptgipfel. Immer wieder findet Lukas Nietsch im Internet Tourentipps, die genau hier entlangführen – doch genau das ist verboten.
Nietsch macht zwei Schritte nach vorne, zieht das Warnschild aus dem Schnee und setzt es mitten in die Fußspur. Der 30-Jährige ist Digital-Ranger im Biosphärenreservat Rhön. Sein Job ist es, die Natur zu schützen, mithilfe und in der digitalen Welt.
Auf virtuellen Streifzügen sucht der Digital-Ranger nach Verstößen gegen Naturschutz-Regeln
Das heißt: Statt durch Wald und Wiesen zu streifen, scrollt sich Nietsch oft stundenlang durchs Netz. Sucht bei Planungsportalen und in Sozialen Medien nach Routenvorschlägen, die den Naturschutz-Vorschriften widersprechen. Oder nach Fotos, die mitten in geschützten Gebieten aufgenommen worden sind.
Etwa vier bis fünf illegale Touren findet er dabei pro Woche, schätzt Nietsch. Und dann? Mit Strafen drohe er nicht gleich: "Ich will nicht als Sheriff auftreten." Löschen könne er solche Tipps auch gar nicht. Stattdessen schreibt der Ranger die Ersteller an, erklärt und bittet sie, die Routen selbst offline zu stellen.
Nietsch hat in Würzburg physische Geographie studiert, im Mai 2022 übernahm er den Job als Digital-Ranger bei der Regierung von Unterfranken im Biosphärenreservat. Nicht zufällig mitten in der Corona-Pandemie. Als Sport- und Freizeitangebote stark eingeschränkt waren, zog es die Menschen zu Tausenden in die Rhön. Es wurde wild geparkt, querfeldein gewandert und zu selten nachgedacht. Um die Massen durch die Natur zu lenken, entstanden fünf neue Rangerstellen – eine davon mit digitalem Schwerpunkt.
Mit Bart, brauner Wanderhose und olivgrüner Fleecejacke wirkt Nietsch äußerlich wie ein typischer Ranger. Zu 75 Prozent aber arbeite er im Büro, sagt der 30-Jährige und lacht. An seinem Schreibtisch in der Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats in Oberelsbach (Lkr. Rhön-Grabfeld) hängt eine mannsgroße Karte des Naturschutzgebiets "Lange Rhön", das größte außeralpine Naturschutzgebiet in Bayern.
Gerade hat Nietsch an seinem Bildschirm die Seite eines Online-Routenplaners geöffnet. Er klickt sich durch die Einträge der Nutzer bis zu einem Vorschlag für eine Rundwanderung am Heidelstein. Fotos zeigen Höhepunkte der Tour, dick verschneite Tannen, einen Rastplatz mitten im Wald.
Im Sommer führen offizielle Wanderwege zum Gipfel, erklärt der Digital-Ranger. Im Winter, bei Schnee, sei der Bereich jedoch Ruhezone für die Tiere. Solche Routen im Netz zu veröffentlichen, sei im Prinzip nicht strafbar, sagt Nietsch. Wer dann allerdings tatsächlich blindlings einem Online-Tipp durch gesperrte Schutzgebiete folge, begehe eine Ordnungswidrigkeit.
Querfeldeinwanderer sind für Tiere eine Gefahr, besonders bei Schnee im Winter
Im Naturschutzgebiet "Lange Rhön" beispielsweise dürfen bei geschlossener Schneedecke laut Biosphärenreservat nur die ausdrücklich gekennzeichneten Winterwanderwege betreten und nur die markierten Loipen mit Skiern befahren werden. Bei Verstößen können Bußgelder drohen. Was kaum jemand weiß: Sommerwanderwege wie etwa die beliebte "Extratour Hochrhöntour" sind im Naturschutzgebiet damit bei geschlossener Schneedecke tabu.
Warum? Viele Tiere hielten derzeit Winterschlaf oder Winterruhe, erklärt Nietsch. Werden sie durch Wanderer, Skifahrer oder Schneeschuhgeher aufgeschreckt, müssen sie ihre Körperfunktionen hochfahren. Das koste Energie, für die sie zusätzliche Nahrung bräuchten, die aber in der kalten Jahreszeit schwer zu finden ist. Beim streng geschützten Birkhuhn komme die Gefahr hinzu, dass Querfeldeinwanderer es aus seinen Schneehöhlen treten.
Nicht jedem Outdoorsportler seien diese Punkte bewusst, sagt der Ranger. Deshalb will er aufklären, Informationen bekannter machen. Am besten schon bei der Tourenplanung, die heute meist am Handy oder Computer stattfindet.
Der Deutsche Alpenverein (DAV) etwa geht davon aus, dass mittlerweile rund 70 Prozent aller Bergsportler digital ihre Touren planen. Das habe in den vergangenen Jahren "massiv zugenommen", sagt Sprecher Thomas Bucher. Die meistgenutzten Portale seien Komoot, Outdooractive und Alpenvereinaktiv.
Dass es bei der digitalen Planung zu Konflikten mit dem Naturschutz kommen kann, dieses Problem kennt auch Bucher. Oft seien Schutzgebiete in Tourenportalen gar nicht dargestellt, weil Kartendaten fehlen oder falsch hinterlegt sind, sagt der DAV-Sprecher. "Dann weiß man nicht, ob man sich in gesperrten oder geschützten Gebieten bewegt."
Nutzer reagieren meist einsichtig auf Nietschs Hinweise
Hinzu komme der "enorme Aufforderungscharakter" der digitalen Routenführung: Man lade sich eine Tour aufs Smartphone und folge einfach stur dem angezeigten Pfeil: "Immer wieder landen Leute so in Gelände, in das sie eigentlich nicht gehören", sagt Bucher.
Auch in der Rhön kommt es zum Beispiel vor, dass ein Wanderweg online als Radweg eingezeichnet ist – obwohl er für Fahrradfahrer gesperrt ist. Das zu ändern gehört ebenfalls zu den Aufgaben des Digital-Rangers. Regelmäßig überprüft er solche Wegeberechtigungen, läuft Strecken teils extra noch einmal mit dem GPS-Gerät ab und gibt die aktuellen Daten an Kartenanbieter weiter. Oder er speist sie selbst bei Open Street Map, der Wikipedia-ähnlichen Weltkarte, ein.
Knapp zehn Minuten braucht Lukas Nietsch mit dem Auto von seinem Büro hinauf in die "Lange Rhön". Gerade für die Gegend hier rund um den Heidelstein fänden sich immer wieder illegale Tourentipps im Internet, sagt der Geograf. Aber auch in den Mooren oder in den Schwarzen Bergen, wo erst vor einigen Monaten ein illegaler MTB-Trail gefunden wurde: eine steile Downhill-Strecke, mitten in der Schutzzone.
Vor Ort im Gelände wurde der Trail abgebaut, sagt Nietsch. Den Ersteller des Online-Tourentipps schrieb er an und wies auf die Naturschutz-Vorschriften hin. Wie immer sachlich, aber bestimmt. Meist seien die Reaktionen darauf positiv, sagt der Ranger. Nur selten "kommt ein blöder Kommentar zurück". Das gelte digital wie draußen in der Realität.
Digitale Besucherlenkung: Alle Infos zur Route per QR-Code?
Nietsch schlägt den rotbeschilderten Winterwanderweg ein, läuft mit flotten Schritten bergauf. Zwei Langläufer gleiten in der Loipe davon, im Nordwesten leuchtet die Radarkuppel auf der Wasserkuppe. Gerade hier im Dreiländereck zwischen Thüringen, Hessen und Bayern sei das Digitale eine Chance zur besseren Besucherlenkung, sagt Nietsch. "Es wäre so viel einfacher, wenn man zum Beispiel schon am Wanderparkplatz per QR-Code alle Informationen zu seiner Route abrufen könnte." Bis dahin aber sei es noch viel Arbeit.
Nietsch schirmt seine Augen gegen die Sonne ab. Vom Heidelstein-Ostgipfel stapfen plötzlich zwei Wanderer Richtung Schornhecke. Kurz bevor das Paar den Ranger erreicht, schlägt es sich durch die Büsche und wechselt vom Trampelpfad auf den offiziellen Winterwanderweg. Nietsch spricht die beiden an. Höflich und ruhig bittet er, die ausgeschilderten Wege nicht zu verlassen. Diese seien schwer zu erkennen, wendet der Mann ein. Ein kurzes Gespräch, Verständnis, ein Lächeln. Ja, sie wollen künftig besser darauf achten. Darauf, wo sie in der Natur unterwegs sind – und wie sie ihre Umgebung schützen können.