Mühelos findet er mit dem Finger den Vernagtferner auf der Karte. In der Realität ist der Gletscher ein weißer Riese, im Maßstab 1:25.000 nur gut Handteller groß. Genau dort, im Hinteren Ötztal, war Herbert Bardorf mit seiner Gruppe unterwegs. Es ist seine Lieblingswanderregion, es war ein sonniger Tag. Plötzlich zogen Wolken auf.
Die Sicht sank unter zehn Meter, erinnert sich der 70-Jährige. Der Albtraum für Wanderer, das Aus für jede Navigation per Papierkarte. „Wir hatten aber einen professionellen Bergführer dabei und der zog einfach sein GPS-Gerät aus der Tasche und lief nur danach weiter.“ Heute ist das möglich, früher war es weit schwieriger, sagt Bardorf. Sind Smartphone-Apps, Google Maps und GPS-Geräte also ein Segen für Bergbegeisterte? Und bedeuten sie das Ende der traditionellen Wanderkarte?
2000 Führer und 1000 Wanderkarten umfasst die Bibliothek
Bardorf hat vor 40 Jahren mit dem Wandern angefangen, statt „Fußball wollte ich mal was anderes machen“. Mindestens alle 14 Tage ist der gebürtige Randersackerer mit Rucksack und Bergstiefeln unterwegs, mit seiner Seniorengruppe, seiner Frau oder auf größeren Touren in den Alpen. Seit sechs Jahren führt er Wandergruppen, fast ein Jahrzehnt war er Hüttenwart der Vernagthütte, mitten in seiner Lieblingsregion. An diesem Nachmittag sitzt er in der Bibliothek der Geschäftsstelle der Sektion Würzburg des Alpenvereins. Bis unter die Decke sind die schlichten Schränke hier mit Wanderkarten, Führern und Büchern gefüllt. „Klassische Alpengipfel“ stehen neben den „Dolomiten in Farben“. „Die Marmolata“ fehlt ebenso wenig wie „Südtiroler Bergtouren“. Rund 2000 Werke umfasst die Sammlung, dazu kommen etwa 1000 Karten. Ordentlich nach Regionen aufgereiht stehen sie im Regal. Und verstauben?
Nein, sagt Bardorf. Er hütet seit zwei Jahren als Bibliothekar die Würzburger DAV-Bestände. „Pro Woche kommen 15 bis 20 Leute, die Karten oder Führer ausleihen“, sagt der 70-Jährige. Auch junge Leute, trotz Google Maps und Apps.„Die sagen oft, wir wollen in die Alpen, aber haben keine Vorstellung davon, wohin.“ Bardorf hilft, mit der passenden Karte und oft einem Rat aus eigener Wanderfahrung. Einmal den E 5 gehen, weil der gerade „in“ ist? „Davon würde ich abraten, weil der so überfüllt ist. Da schläft man teilweise in Zelten vor den Hütten. Man kann den Weg schon machen, aber nicht da, wo alle gehen.“ Wo, das muss gut organisiert sein.
Jede Tour muss vorab mit der Karte geplant werden
Genau das ist Bardorfs oberste Regel: Jede Tour muss vorab sorgfältig geplant werden. „Erst schaue ich mir das Gebiet auf der Karte genau an, dann im Führer. Dort sehe ich, welche Schwierigkeiten beschrieben sind“, sagt Bardorf. Zum Beispiel ist verzeichnet, ob es ausgesetzte Stellen zu überwinden gibt. So lässt sich ausrechnen, wie lange eine Gruppe für eine Etappe braucht. Erst danach kann es losgehen.
Karte und Kompass hat Bardorf noch immer im Rucksack dabei, orientiert sich aber am GPS-Gerät. „Darauf liegt die Karte im Hintergrund, meine Tour wird rot markiert und das Gerät zeigt meinen Standpunkt an“, sagt Bardorf. Das ist mit einer Karte schlicht nicht möglich. Allerdings haben die technischen Geräte einen großen Nachteil: Sie können ausfallen – sei es durch einen Defekt oder weil der Akku leer ist. Und genau deshalb will sich Bardorf in den Bergen nicht allein auf sie verlassen.
Smartphone an oder aus beim Wandern?
Ähnlich geht es den meisten Wanderern. Wirklich nur nach Handy oder GPS-Gerät gehen die wenigsten. Und gar nicht so selten ist das Smartphone beim Wandern aus, sagt Erik Neumeyer vom Deutschen Wanderverband. Glaubt man einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Verbandes, sind Schilder und Markierungen für Wanderer unverändert wichtig. Gut die Hälfte nutzt außerdem weiterhin Wanderkarten. Aber „der Trend zur Digitalisierung wird sich vor allem bei den Jüngeren fortsetzen“, sagt Neumeyer. Etwas mehr als ein Drittel der Befragten nutze bereits das Internet während einer Tour, etwa 38 Prozent eine Kartenapp – vor allem zur Standortbestimmung und Navigation.
Denn da kann die moderne Technik mehr als Papierkarten. Mit GPS-Gerät weiß ich immer, wo ich bin, sagt Bardorf. Eine Karte muss erst mit dem Kompass nach Norden ausgerichtet werden, um den Standort bestimmen zu können. Das ist manchmal gar nicht so leicht: „Bei schlechtem Wetter ist es mir auch in der Rhön schon passiert, dass ich dachte, ich bin an einem bestimmten Punkt und tatsächlich war ich weit davon entfernt“, sagt Bardorf. Früher hätten Bergbegeisterte deshalb oft auch Schrittzähler im Gepäck gehabt. „Mit den Meterangaben auf der Karte konnten wir dann ungefähr schätzen, wo wir waren.“ Heute erledigt all das das Handy. Oder GPS-Gerät.
Google Maps versus GPS-Gerät
Dessen Bildschirm sei gerade bei starkem Sonnenlicht viel deutlicher zu erkennen als ein Smartphone-Display, sagt Bardorf. Er rät deshalb vom Handy in den Bergen ab, trotz mittlerweile angebotener Offline-Karten von Google Maps. Auch halte der Akku eines GPS-Geräts meist länger und die Empfangsqualität der Satellitensignale sei besser. Wer häufiger wandere, für den lohne sich die professionellere Technik in jedem Fall, so der Würzburger.
Allerdings, so Wanderexperte Erik Neumeyer, alles schaffen die modernen Helfer nicht. Ein Beispiel: Karten „sind in der Regel mit viel Sorgfalt und Aufwand recherchiert – bei manchen Onlineangeboten kann man da nicht immer so sicher sein“. Zudem konzentrieren sich einige Webangebote nur auf die Top-Routen; Karten hingegen zeigen das komplette Wegenetz mit Kennzeichnung, also ob den Weg eine Nummer oder etwa ein Eichhörnchen markiert. Auch Orte, Hütten oder besondere Merkmale wie Ruinen sind eingetragen. Und Höhenlinien. „Sie sind wichtiger Bestandteil einer guten Karte: je enger sie werden, desto steiler wird es“, sagt Bardorf. „Dann weiß man schon, wo man sich hochplagen muss und es etwas länger dauert.“
Früher wurden Karten detailgetreu von Hand gezeichnet
Gerade aus der Abbildung von solch steilem Gelände, mit vielen Felsen, seien früher wahre Kunstwerke entstanden, sagt Neumeyer. Denn zunächst wurden Karten von Hand gezeichnet: Wandern kam als Freizeitaktivität Mitte des 19. Jahrhunderts auf, so der Experte des Wanderverbands. „Die ältesten Abbildungen von Wanderkarten, die mir bekannt sind, stammen von den Anfängen des 20. Jahrhunderts.“
Auch in der Würzburger DAV-Bibliothek gibt es historische Karten, Führer und Bücher. Eines der ältesten Werke ist die Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins aus dem Jahr 1894. Natürlich geht es um die Ostalpen. Bardorf zeigt auf die feinen, schwarzen Striche, die das Relief eines Bergmassivs detailgetreu wiedergeben. Heute wäre eine solche Produktion nicht mehr zu bezahlen.
Wann noch immer neue Karten erstellt werden
Karten entstehen mittlerweile laut Neumeyer digital, per Grafiksoftware produziert, und basieren auf enorm großen Datenbanken, die ständig aktualisiert werden müssen. Für deren Pflege sind nach wie vor Rückmeldungen von Wanderern und Wanderführern unverzichtbar. Zum Beispiel aus Gletscherregionen. „Allein seit ich zur Vernagthütte gehe, also seit rund 40 Jahren, hat sich der Vernagtferner gewaltig verändert“, sagt Bardorf. In heißen Jahren sei es vorgekommen, dass der Gletscher in der Höhe 50 Meter abgenommen habe. Dann müssen neue Wege erschlossen und in der Folge neue Karten herausgegeben werden. Ähnliches gilt für Bergrutsche, die die Landschaft umformen. Abseits solcher Veränderungen allerdings gilt die Erschließung der Alpen als beendet.
Heißt das also, dass Wanderkarten in Papierform über kurz oder lang aussterben werden? „Das glaube ich nicht“, sagt Neumeyer. Sicher werde es noch mehr digitale Angebote geben. Aber: „Selbst wenn in 40 oder 50 Jahren fast alle heutigen Papiermedien digital ersetzt sein würden, wird es immer Fans von Karten geben.“ So wie Herbert Bardorf.
Technik im Wanderrucksack
Diese technische Ausrüstung empfehlen Wanderexperten – oder raten von ihr ab: Mobiltelefon: „Wenn etwas passiert, kann man schnell Hilfe holen – auch für andere“, sagt Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein (DAV). Eine Sicherheitsgarantie in jeder Situation ist das Telefon aber nicht. „Man muss sich bewusst sein, dass das Handynetz in den Bergen löchrig ist“, sagt er. Einen zweiten Mann kann das Handy also nicht ersetzen. Immerhin: Die Blitz-LED des Smartphones taugt auch als Notfall-Signallicht.
Rettungspunkte-App: „Es gibt mittlerweile in immer mehr Bundesländern sogenannte Rettungspunkte, die auch in den Wanderkarten verzeichnet sind“, sagt Wolfgang Todt, Praxistester beim „Wandermagazin“. Dort sei das Absetzen eines Handy-Notrufs gewährleistet und den Rettungskräften lägen Koordinaten und Anfahrtsrouten vor. Wetter-App: „Vor allem auf ambitionierten Touren und im Gebirge sollte man auf dem Smartphone eine gute Wetter-App haben, die zuverlässig vor Unwettern warnt“, rät Todt. Landwirtschaftliche Wetterberichte seien etwa viel detaillierter als normale Wetter-Apps. Ein Wetterradar sollte auf jeden Fall vorhanden sein. Bei Touren im Hochgebirge sollte man auf spezielle Alpenwetter- und im Winter auch auf Lawinenlageberichte zurückgreifen.
GPS-Gerät: Für so einen Spezialisten sprechen etwa seine Schlag- und Wasserfestigkeit und der ausdauernde Akku. Und dann sind da noch die guten Vektorkarten, die die Hersteller dafür oft anbieten, fasst Wanderexperte Todt die Vorteile zusammen. Neben Garmin bieten etwa noch Falk oder Magellan GPS-Geräte an. Smartphone als GPS-Gerät: Wer auf diese Lösung setzt, spart sich ein Gerät im Gepäck, gibt Bucher zu bedenken. Aber das Mobiltelefon ist empfindlicher, weshalb sich eine Schutzhülle lohnen kann, und stromhungriger. Deshalb aktiviert er beim Wandern den Flugmodus, schaltet dann GPS ein und aktiviert das Display immer nur dann ganz kurz, wenn er die Karte braucht, etwa an einer Wegkreuzung. Digitale Karten: Diese beherrscht niemand aus dem Stand.
„Ich muss den Umgang mit dem GPS-Gerät oder der Karten-App üben“, sagt Bucher. Aber auch bei Könnern gehöre immer eine gedruckte Karte als analoges Back-Up ins Wandergepäck – falls die Technik streikt. Amtliche topografische Karten und die oft darauf basierenden digitalen Kaufkarten sind meist sehr gut, aber oft recht kostspielig. Touren: Im Netz finden sich viele Seiten, Plattformen und Wander-Apps von Tourismusämtern, Verlagen oder Vereinen zum Planen und Teilen von Touren. Dazu gehören etwa Outdooractive.com, GPSies.com, Wandermap.net, Komoot.de oder Alpenvereinaktiv.com. Dort lassen sich zahllose Touren meist als .gpx-Datei herunterladen und dann auf digitalen Karten einblenden. Allerdings schwankt deren Qualität, weiß Todt. Offizielle oder geprüfte Touren ließen sich bedenkenlos nutzen. „Viele der privat hochgeladenen Touren sind aber ungenau, fehlerhaft oder einfach veraltet.“ Eine kritische Vorplanung am PC mit Blick auf Erstellungsdatum und Bewertungen lohnt also.
Kompass und Höhenmesser: Hält DAV-Mann Bucher in der Regel für verzichtbar, weil Smartphone und GPS-Gerät die Höhe ohnehin via Satellit messen und auch über eine Kompassfunktion verfügen. Ein Kompass bringe aber ohnehin nur demjenigen etwas, der ihn interpretieren kann. dpa