"Es ist soweit, sie kommen!" Am 19. Januar 2016 war die Aufregung beim Begrüßungsteam in Mellrichstadt groß. 17 Asylsuchende aus Syrien trafen an der eigens zur Gemeinschaftsunterkunft umgebauten ehemaligen Kreisberufsschule ein und wurden von den Mitgliedern des Helferkreises, der sich in Mellrichstadt Solidaritätsteam nennt, begrüßt. Für die Kinder gab es Rhönschäfchen aus Plüsch, für die Erwachsenen eine Tasche mit Blöcken, Kugelschreibern und einem Stadtplan mit den wichtigsten Anlaufpunkten in Mellrichstadt.
Die drei Familien sowie vier junge Männer reisten mit dem Bus aus der Schweinfurter Erstaufnahmeeinrichtung an und hatten zuvor meist schon in mehreren anderen (Not-)Unterkünften gewohnt. In der Stadt an der Streu wurden die damals noch recht verschüchterten Neuankömmlinge herzlich empfangen, viele Bürger wollten bei der Integration der Flüchtlinge mithelfen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn der Kreis der Helfer kleiner ist als auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise.
Heute gut integriert
Heute sind die ersten Flüchtlingsfamilien, die in Mellrichstadt eingetroffen sind, und viele weitere Neuankömmlinge gut integriert. Sie haben eine Wohnung und Arbeit gefunden, die Kinder gehen in den Kindergarten und in die Schule. Sie spielen Fußball oder turnen im Sportverein und nutzen im Sommer gern das Schwimmbad.
Heile Welt also nach fünf Jahren Flüchtlingsarbeit in Mellrichstadt? Mitnichten. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Nachdem in den ersten Jahren vorwiegend Familien in die Gemeinschaftsunterkunft, kurz GU, gekommen waren, sind dort heute auch viele alleinstehende junge Männer untergebracht. Die Arbeit der Helfer hat sich mit der Zeit gewandelt, ist aber nicht weniger geworden. Dass es in den vergangenen Jahren keine größeren Probleme mit den Neuankömmlingen in der Stadt gegeben hat, ist aber sicher zum großen Teil ihr Verdienst.
Fünf Jahre ehrenamtlicher Einsatz für Asylsuchende
Das Solidaritätsteam in Mellrichstadt trägt einen Namen: Marianne Fritz. Bürgermeister Michael Kraus würdigte ihr Engagement sowie das aller Helfer bei einem Pressetermin zum fünften Geburtstag der Gemeinschaftsunterkunft. Mit von der Partie waren auch sein Vorgänger Eberhard Streit, in dessen Amtszeit die Einrichtung geschaffen wurde, der stellvertretende Landrat Josef Demar und GU-Leiterin Birgit Sauer von der Regierung von Unterfranken. Eigens aus Würzburg angereist war die leitende Regierungsdirektorin für das Sachgebiet Flüchtlingsbetreuung und Integration, Marie Antonette Graber. "Der Freistaat hofft auf Menschen wie Sie", bedankte sie sich bei Marianne Fritz, Christa Hein und Monika Markus stellvertretend für alle Helfer für deren großen Einsatz.
Was ist in den vergangenen fünf Jahren passiert? Was wurde gemacht, wo steht man heute? "Wir sind auf jeden Fall sehr stolz darauf, was Mellrichstadt in dieser Zeit geschafft hat", sagt Bürgermeister a.D. Eberhard Streit. Er kann sich noch gut an die Anfänge der Flüchtlingsarbeit in Mellrichstadt erinnern. 2014 hatte die damalige bayerische Sozialministerin Emilia Müller erwogen, eine Erstaufnahmeeinrichtung in der Hainberg-Kaserne einzurichten. Die Stadt intervenierte – "das hätte uns überfordert und zu einer Ghettobildung am Stadtrand geführt", so Streit. Doch die Stadt war durchaus bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Gemeinsam mit dem Landkreis wurde die Idee entwickelt, die ehemalige Kreisberufsschule zu einer Gemeinschaftsunterkunft umzugestalten.
Hilfe bei Behördengängen und Fahrdienste
Bei einer Bürgerversammlung am 27. Oktober 2014 wurde die Bevölkerung über die Pläne informiert, und zahlreiche Bürger wollten mithelfen, um für geflüchtete Menschen eine neue Heimat zu finden. Helmut Dietz, Bürgeramtsleiter in der Verwaltungsgemeinschaft Mellrichstadt, wurde seitens der Stadt zum Koordinator, Organisator und Vermittler in Flüchtlingsfragen auserkoren und führte als Teamleiter des schnell auf 75 Mitglieder angewachsenen Solidaritätsteams die Fäden zusammen. Die Helfer bildeten verschiedene Arbeitsgruppen, um den Asylsuchenden möglichst umfassende Hilfe geben zu können.
Neben einem Begrüßungs- und Besuchsdienst gab es Gruppen für Behördengänge und Fahrdienste, für Kindergarten und Schule, für Medizin und Sprache. Bei letzterem erwies sich Mustapha Houneineh als Glücksfall, der als Dolmetscher für eine gute Kommunikation zwischen Einheimischen und Neubürgern sorgte. Wichtig und hilfreich war auch die Arbeit von Lothar Schulz von der Diakonie, der mehrere Tage in der Woche als Ansprechpartner vor Ort Hilfestellung leistete. Die Diakonie hat die Arbeit vor Ort mittlerweile eingestellt, der Landkreis will dafür in die Bresche springen.
Marianne Fritz lobt die Mellrichstädter, die gerne bei allen Aktionen mithalfen, zu denen das Solidaritätsteam zur Unterstützung der Flüchtlinge aufrief. Kleidung und unzählige Fahrräder wurden für die GU-Bewohner gespendet, es gab Näh- und Handarbeitskurse. Im Treffpunkt wurde ein Raum zur Hausaufgabenbetreuung eingerichtet, der auch mit Computern ausgestattet wurde, eine Homepage wurde gestaltet und Deutschkurse gestemmt, um möglichst schnell sprachliche Barrieren zu überwinden. Viele Fahrten zu Behörden nach Bad Neustadt oder zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach Schweinfurt waren nötig, und auch für die Begleitung zum Arzt fanden sich Helfer.
Begegnungstreffen für ein gutes Miteinander
"Bei all dem stand immer im Vordergrund, dass wir den Menschen kein Schlaraffenland vorgaukeln, sondern ihnen das Leben hier beibringen wollten", erinnert sich Eberhard Streit. Dass etwa die Rolle der Frau in Deutschland eine andere ist als in den Heimatländern der Flüchtlinge, mussten viele erst lernen. Ebenso wie solch banale Dinge wie den Umgang mit Energie, Wasser und Müll. Und über allem stand der Kontakt mit der Bevölkerung, der bei vielen Begegnungstreffen initiiert und vertieft wurde. Im August 2016 wurde sogar ein Hockese mit vielen Gemeinschaftsspielen an der GU veranstaltet. Wie gut die Integration funktioniert, zeigt Marianne Fritz am Beispiel einer syrischen Familie auf, die nach Essen gezogen ist, aber wieder nach Mellrichstadt zurückkehren möchte. "Weil es hier besser ist."
Rund 150 Neubürger leben als anerkannte Flüchtlinge mittlerweile im Bereich der Verwaltungsgemeinschaft Mellrichstadt, haben eigene Wohnungen und im besten Fall auch einen Job. Einige von ihnen helfen den Neuankömmlingen beim Start in der neuen Heimat und übernehmen die Aufgaben des Solidaritätsteams, was für die ehrenamtlichen Helfer eine Entlastung ist. 25 Personen engagieren sich weiterhin für Flüchtlinge und Asylbewerber. So wie Marianne Fritz, Christa Hein und Monika Markus. Jetzt in der Corona-Krise sind die Kontakte allerdings stark eingeschränkt. "Das bedeutet, die Flüchtlinge müssen selbstständiger werden", sagen sie. Christa Hein hilft zwar weiterhin beim Ausfüllen der Anträge, doch nun via Handy und Messengerdienste. Die deutsche Bürokratie ist für die Neuankömmlinge oftmals schwer zu verstehen, sagt sie. Was sich geändert hat? "In der Anfangszeit haben wir Asylanträge gestellt, heute helfen wir bei der Arbeitssuche und bei Anträgen auf Kindergeld."
Herkunftsländer der Asylsuchenden haben sich geändert
Regierungsdirektorin Marie Antonette Graber zeigte sich beeindruckt von der Flüchtlingsarbeit, die in Mellrichstadt geleistet wird. Fast 12 000 Asylsuchende mussten zur Hochzeit der Flüchtlingskrise 2015 in Unterfranken untergebracht werden. Nachdem die Zahlen zwischenzeitlich gesunken waren, steigen sie derzeit wieder. "Allerdings haben sich die Herkunftsländer geändert", so Graber. Kamen die Flüchtlinge anfangs aus den Kriegsgebieten in Syrien und Afghanistan, sind es heute vorwiegend junge Männer aus Afrika, die Asylanträge stellen. Unterfranken ist zuständig für die Unterbringung der Asylsuchenden aus den afrikanischen Ländern. Das bildet sich auch in der GU Mellrichstadt ab, so Graber.
Auch wenn das Leben in der Gemeinschaftsunterkunft weitgehend abseits der Schlagzeilen stattfindet, stand das Haus im November 2020 wegen eines Coronafalls im Blickpunkt des Interesses. Nachdem ein Bewohner positiv getestet wurde, wurde die ganze GU unter Quarantäne gestellt. Es blieb bei dem einen Fall, doch die aktuelle Situation wirft natürlich auch die Frage auf, wann und wie die Asylsuchenden nun etwa mit FFP2-Masken versorgt werden. Laut Marie Antonette Graber warte man bei der Regierung derzeit noch auf Anweisungen aus dem Ministerium. Seit der Quarantäne-Zeit verfügt die Gemeinschaftsunterkunft aber über WLAN, das laut Bürgermeister Michael Kraus in Absprache mit dem Landkreis quasi über Nacht installiert wurde und sehr dazu beitrug, dass die Quarantänezeit für die Bewohner erträglich war.
Schnelle Hilfe und ehrenamtliches Engagement weit über das normale Maß hinaus haben in den vergangenen fünf Jahren laut Josef Demar die Flüchtlingsbetreuung in Mellrichstadt ausgezeichnet. "Der Landkreis ist stolz darauf, was hier an Menschlichkeit geleistet wird", lobte er die Mitglieder des Solidaritätsteams. "In Mellrichstadt hieß es: Wir packen es an", so Demar. Und das gilt bis heute.