
Wenn im Jahr 2022 jemand mittags in der Stadt Bad Neustadt mit einer Peitsche knallt, dann ist vielleicht Fasching – oder ihm oder ihr ist einfach nur langweilig. Die Peitschenknallerin oder der Peitschenknaller kann jedenfalls froh sein, dass er oder sie nicht 1840 die Gerte geschwungen hat, denn das hätte sonst teuer werden können. Zumindest, wenn man einem geheimnisvollen Schild glaubt, dass noch heute am Wahrzeichen von Bad Neustadt, dem Hohntor, prangt.
Den Ärger über die Geldstrafe hätte der damalige Bürger von Bad Neustadt sich dann vielleicht im Badewehr in Brendlorenzen abgewaschen. Oder - wenn gerade Winter gewesen wäre - bei einer Schlittenfahrt den heutigen Schulberg hinunter. Peitschenknallen im Stadtgebiet verboten, Baden im Wehr in Brendlorenzen, Rodeln am Schulberg? Klingt komisch, finden Sie? War aber tatsächlich so.
Diese Redaktion hat mithilfe von Stadtarchivar Thomas Künzl und Stadtführer Marco Schmitt diese und weitere überraschende Fakten gesammelt, die selbst manchem waschechtem Neuschter bisher nicht bekannt sein dürften.
1. Geheimnisvolle Tür am Zollberg führt in die "Unterwelt" von Bad Neustadt

Die Stahltür neben dem Parkscheinautomaten am Zollberg in Bad Neustadt ist so unscheinbar, dass sie manchem vielleicht noch nicht aufgefallen ist. Und doch führt sie in die "Unterwelt" von Bad Neustadt, denn sie ist der Einstieg in ein Luftschutzbunker-Projekt des Dritten Reiches. Die Pläne deuten laut Stadtarchivar Thomas Künzl auf eine große Anlage hin: Ein massiv gemauertes Tunnelsystem sollte am Zollberg beginnen.
Nach dem Krieg verfügte das Bergamt Bayreuth die Schließung der Stollen. Die erwähnte Kammer hinter der Stahltür, in welcher der Bauhof von Bad Neustadt Streusalz und andere Utensilien lagert, und zwei weitere Kammern blieben erhalten. Wie viel von den Plänen des Bunker-Projektes tatsächlich umgesetzt wurde, ist laut Künzl heute nicht mehr nachvollziehbar, da die Keller Privateigentum sind.
Pläne und Akten geben, so schreibt Künzl im Heimatjahrbuch 2016, Hinweise auf den erwähnten Zollberg, das Viertel Schuhmarktstraße mit vielen Kellern, die möglicherweise verbunden waren, und die Rhönstraße in der Gartenstadt als Orte für Luftschutzbunker. Auch der Gewölbekeller des Bildhäuser Hofs unweit des Marktplatzes wurde im Zweiten Weltkrieg als Bunker genutzt. Künzl kennt Geschichten von Zeitzeugen, die dort beim Einmarsch der Amerikaner saßen. Dieser Keller verfügt über Notausstiege nach oben, die aber wohl nie genutzt wurden.
2. Peitschenknallen am Mittag konnte in Bad Neustadt teuer werden

Das Hohntor von Bad Neustadt kennt jede und jeder, viele laufen oft unter dem Wahrzeichen der Stadt hindurch. Nur den wenigsten dürfte eine "Bekanntmachung" aus dem Jahr 1840 auffallen, die dort an einer Mauer prangt. Auf einer von vielen historischen Tafeln, die im Stadtgebiet angebracht sind, wird auf ein spezielles Verbot aufmerksam gemacht. So teilte der damalige Magistrat von "Neustadt an der Fränkischen Saale" mit, dass das Knallen von (Pferde-)Peitschen im Stadtgebiet während der Mittagszeit wegen des dadurch verursachten Lärms strengstens untersagt ist. Ansonsten drohte eine Geldstrafe.
3. Freimaurer zelebrierten spirituelle Rituale im heutigen Tchibo in Bad Neustadt

An vielen Stellen in Bad Neustadt sind dreieckige Symbole mit einem Auge (Auge der Vorsehung) in der Mitte zu sehen. Sie sind ein Zeichen für die sogenannten Freimaurer, deren Teilbewegung Rosenkreuzer einst in der Stadt sehr aktiv war. "Im heutigen Tchibo-Gebäude (Marktplatz 23) hielt über mehr als hundert Jahre hinweg eine Freimaurer-Loge regelmäßig Treffen und spirituelle Rituale ab", weiß Stadtführer Marco Schmitt.
Wo inzwischen das Tchibo-Schild ist, prangte früher deshalb das Freimaurer-Symbol. Es wurde später ausgebaut und hängt nun über dem Wollladen in der Storchengasse. Die Freimaurer waren laut Schmitt meist reich und gebildet, zwei von ihnen stifteten die Kreuzigungsgruppe am Zollberg, weshalb man auch dort das Symbol entdecken kann. Auch am Friedhof ist es zu sehen.
4. Kalk sollte das Ungeziefer vom Abort im Hohntor von Bad Neustadt fernhalten

Einen Knast, oder besser gesagt eine Arrestzelle, gab es früher im zweiten Stock des Hohntors. Das Räumchen von etwa zehn Quadratmetern, zu dem ein Abort (Plumpsklo) und ein Ofen gehören, ist heute noch zu sehen. Dort waren laut Marco Schmitt vom Mittelalter bis ins 18. oder auch 19. Jahrhundert Menschen untergebracht, die kleinere Vergehen begangen hatten.
Ein Gefangener ritzte einst ein Kreuz in die Mauern. Einmal im Jahr wurde der Knast im Hohntor von innen gekalkt, damit sich dort nicht Fliegen und Ungeziefer von den Misthaufen in der nahen Bauerngasse einnisten konnten. Der Stadtführer vermutet, dass die Zelle spätestens seit der Eröffnung des Fronhofs als Gefängnis nicht mehr genutzt wurde.
Übrigens: Das 1578/79 auf Geheiß von Julius Echter erbaute Wahrzeichen der Stadt hat seinen Namen von der Flurabteilung "Hon", nach dem mittelhochdeutschen "hagen"/"hain", was soviel wie Einhegung bedeutet.
5. Künstler der Welt in Kugelformat in Bad Neustadt starb beim Limotrinken

Wer vom Marktplatz aus nur ein paar Meter in der Kellereigasse von Bad Neustadt unterwegs ist und dann seinen Blick nach rechts in den Innenhof der Vill'schen Altenstiftung schweifen lässt, dem fällt eine große Kugel auf. Es handelt sich um das Kunstwerk "Planet der Zwerge" des Rhöner Bildhauers Richard Mühlemeier. Der Künstler verwendete dafür unter anderem Legosteine, Radioplatinen und Schreibmaschinenköpfe.
Die drehbare Kugel zeigt die Welt im Miniaturformat, mit Pyramiden, Atomkraftwerk, Spaceshuttle, Einsteinformel, dem Kernkraftwerk Grafenrheinfeld und mehr. Mühlemeier, nach dem eine Straße in Brendlorenzen benannt ist, starb 1982 im Alter von nur 34 Jahren. Die Umstände seines Todes waren tragisch: Als er ein Glas Limo trank, stach ihm eine Wespe in den Hals. Für den Allergiker kam jede Hilfe zu spät.
Zunächst stand das Kunstwerk laut Stadtführerin Elke Schreiner in der Mitte des Hofes, weil da ein gepflasterter Stern auf dem Boden ist und das Kunstwerk das Frankenland oder die fränkische Landschaft darstellen sollte. Damit Autos im Hof parken konnten, wurde das Kunstwerk dann an den Rand gestellt. Achtung: Im Sommer ist der Stein sehr heiß und im Winter lässt er sich schwer drehen, weiß Marco Schmitt.
6. Einst badeten Jung und Alt im Wehr mitten in Brendlorenzen
Auch wenn es sich heute wohl kaum noch jemand vorstellen kann, bis 1960 lief für mehr als 500 Jahre ein Wirtschafts- und Verteidigungswassergraben zur Hälfte um Bad Neustadt herum. "Er wurde 'Mühlgraben' genannt, weil an ihm fünf Mühlen standen", erzählt Stadtführer Marco Schmitt.
Anstelle des heutigen Point-Centers (Gartenstraße 11) mitten in Bad Neustadt befand sich ein großes Wehr. In diesem sogenannten "Kalten Bad" in der Brend konnte man schwimmen und darauf Boot fahren. Laut Stadtarchivar Thomas Künzl waren die Brendwiesen früher generell ein Ort für Badvergnügen und Schlittschuhlaufen.
Marco Schmitt vermutet, dass viele Kinder aus Brendlorenzen in dem provisorischen Badesee Schwimmen lernten, denn ein Freibad gab es erst ab 1930. In der Bilderklärung des Stadtarchivs wird das kalte Bad als "Mühlenstauwehr mit Wechselkabinen an der Brend" bezeichnet und bestand von 1887 bis 1929.
7. Die Mutter von Martin Luther lebte nicht in Bad Neustadt

Ein Schild am Alten Amtshaus in Bad Neustadt vermeldet Folgendes: "Die Mutter Dr. Martin Luthers, Margarethe, geb. Lindemann, stammte aus Bad Neustadt a. d. Saale. Ihr Vater, Johann Lindemann, und einer ihrer Brüder waren Bürger unserer Stadt, in der auch Margarethe ihre Jugend verbrachte". Ob Margarethe Luther, geborene Lindemann, aber tatsächlich ihre Jugend in Bad Neustadt verbrachte, weiß niemand. "Es gibt keinerlei Belege dafür", sagt Thomas Künzl, Stadtarchivar von Bad Neustadt auf Nachfrage zu dem Schild.
8. Paare konnten sich hoch über Bad Neustadt die Treue schwören

Sich mit Blick auf die Stadt mit Herz die ewige Treue schwören, das hat schon was. Dafür gab es auf dem Schulberg (Flurname Bletzacker) früher einen Verlobungstempel, der zu Beginn des 2. Weltkriegs abgerissen wurde. Er ist in dem Video "Bad Neustadt zwischen 1936 und ca. 1943" auf der Youtube-Seite des Stadtarchivs (etwa ab Minute 8) zu sehen.
In der Nähe des Tempels auf dem auch "Rhönblick" genannten Stück Land stand außerdem ein Wartturm. Damit sollte das Land überwacht und Feinde so früh wie möglich erkannt werden. Der heutige Schulberg war im Winter zudem ein beliebter Ort zum Rodeln.