zurück
BAD NEUSTADT
Hat Martin Luther fränkische Wurzeln?
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 30.10.2017 03:13 Uhr

Der Wortlaut lässt keinen Zweifel zu: „Die Mutter Dr. Martin Luthers, Margarethe, geb. Lindemann stammte aus Bad Neustadt a. d. Saale. Ihr Vater, Johann Lindemann, und einer ihrer Brüder waren Bürger unserer Stadt, in der auch Margarethe ihre Jugend verbrachte.“ So steht es auf einer grauen Tafel. Sie ist am Alten Amtshaus angebracht. Besucher freut es vielleicht, dass sie etwas Neues über die alte Stadt an der Saale mit einer sehr langen Geschichte erfahren haben. Andere wundern sich womöglich und denken sich: „Wie bitte? Kommt die Mutter des Reformators nicht aus Eisenach?“

Umstritten unter Gelehrten, der Interpretationsspielraum ist groß

Matthias Büttner, der evangelische Dekan von Bad Neustadt, sagt: „Darüber streiten sich die Gelehrten.“ Bei jedem der vermeintlichen Belege für Bad Neustadt als Herkunftsort von Luthers Mutter sei der Interpretationsspielraum sehr groß – auch bei denen, die für Eisenach herangezogen werden.

Eine Nachfrage - und neue Fragen

Eine Nachfrage im Stadtarchiv von Bad Neustadt müsste die Sachlage eigentlich schnell klären. Das tut sie auch, aber anders als gedacht. „Ich kann es nicht belegen“, sagt Stadtarchivar Thomas Künzl. Er suche nach Originalquellen aus dem 15. Jahrhundert, die Mutter des Reformators ist um 1460 geboren. „Bisher habe ich aber nichts gefunden.“

Keine Urkunden, keine zeitgenössischen Einträge in Kirchenbüchern: Das heißt jedoch noch nicht, dass die Saale-Stadt aus dem Rennen ist. Aber die Neugierde ist geweckt. Wie kam es, dass Neustadt als Herkunftsort des mütterlichen Familienzweigs Luthers erwähnt wird? Wann? Und Warum? Eine schnelle Antwort gibt es nicht. Eher neue Fragen.

Luthers Mutter und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen nach Neustadt tauchen in den vergangenen 300 Jahren immer wieder in Büchern und Aufsätzen und diversen Familienstammbäumen auf. Eine dichte, aber auch verwirrende Zusammenfassung liefert zum Beispiel Matthias Simon 1955 in der Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte. Er weist auf eine bekannte Stelle hin, die allgemein als frühester Hinweis für Neustadt als Herkunftsort der Vorfahren Martin Luthers gilt; es gibt jedoch noch einen älteren. Doch davon später mehr.

1692 erschien die Geschichte der Reformation des fränkischen Reichsritters Veit Ludwig von Seckendorff. In dem mehrbändigen Werk ist die Geschichte des „Lutheranismus“ des französischen Jesuiten Maimbourg von 1680 abgedruckt, der darin die Reformation angreift – zu einem Zeitpunkt, als die Gegenreformation noch nicht ganz beendet war. Die Jesuiten haben die Rekatholisierung sehr unterstützt.

Lindemann oder Zieglerin?

Jedenfalls schreibt von Seckendorff nach jedem Kapitel seine Anmerkungen zu Maimbourgs Ausführungen beziehungsweise seine Verteidigungen der Reformation dazu. Und im ersten Buch steht, dass die Mutter Luthers zu Recht als Margarethe Lindemann benannt wird, obwohl der Beiname Zieglerin überliefert ist. Ihr Vater stamme aus Franken: aus „Neostadiensem ad Salam Franconiae amnem in Episcopatu Würzburgensi“ – also Neustadt an dem fränkischen Fluss Saale im Bistum Würzburg.

Das Alte Amtshaus in Bad Neustadt an der Saale. Neben dem Tor ist eine Tafel angebracht . . .
Foto: Hubert Herbert | Das Alte Amtshaus in Bad Neustadt an der Saale. Neben dem Tor ist eine Tafel angebracht . . .

Von Seckendorff bezieht sich auf eine ältere Quelle: auf die Traurede aus dem Jahr 1582 des Pfarrers Adam Beerwald, der darin einen kurzen Abriss des Stammbaums seiner Frau Salome gibt, eine geborene Lindemann. Deren Urgroßvater Johann hätte im „Franckenland“ gelebt, eine Tochter und drei Söhne gehabt. Salomes Großvater ist ebenso wie sein Vater in Franken geblieben – und dessen Sohn, ebenfalls ein Johann, ist sein Schwäher, also sein Schwiegervater – und ein Vetter Martin Luthers gewesen. „Die Tochter aber meines Schwähers Groß-Vaters hat der Vater des Lutheri zur Ehe genommen“, so Beerwald. Hier haben wir sie endlich, die Mutter Luthers. Doch der Pfarrer

sagt nicht explizit, dass sie Margarethe hieß und der Wohnort Neustadt an der Saale war.

Hinweis von 1571

Ein anderer Hinweis findet sich bei dem in Eisleben und Mansfeld tätigen Pfarrers Cyriakus Spangenberg aus dem Jahr 1571. Er nennt zwei Frauen mit dem Namen „Margarethen“: die Großmutter Luthers – väterlicherseits – eine geborene Lindemann. Und die Mutter Luthers, eine geborene Zieglerin. Wieder fehlt Neustadt. Zudem ist es laut Autor Simon die einzige Quelle dafür, dass die Mutter Luthers vor ihrer Ehe Zieglerin hieß.

Es ließen sich aus dem 16. Jahrhundert und aus späterer Zeit noch Erwähnungen anführen. Letztlich ist nur eines sicher: der Vorname Margarethe und der Häufigkeit nach der Geburtsname Lindemann. Matthias Simon ist übrigens davon überzeugt, dass die Mutter Luthers vor ihrer Heirat Ziegler hieß und aus Eisenach kam. Die Großmutter Luthers väterlicherseits ist seiner Ansicht nach eine Lindemann aus Neustadt.

Nicht verwunderlich: Originalquellen fehlen

Was in diesem Stammbaum fehlt, sind Originalquellen. Doch zu Lebzeiten von Großeltern und Eltern Luthers seien diese nicht akribisch oder gar nicht geführt worden, sagt der Bad Neustädter Dekan Matthias Büttner.

Ein Versuch, dennoch einen Kirchenbucheintrag zu finden, unternahm Stadtarchivar Thomas Künzl beim Diözesanarchiv in Würzburg. Doch Fehlanzeige. Aus Würzburg kam die Antwort, dass die Pfarrmatrikelüberlieferung für Neustadt erst im späten 16. Jahrhundert beginnt.

. . . auf der steht, dass die Mutter des Reformators aus Neustadt an der Saale kommt.
Foto: Hubert Herbert | . . . auf der steht, dass die Mutter des Reformators aus Neustadt an der Saale kommt.

Ein stichhaltiges Indiz?

Michael Weiß, geschäftsführender Beamter im Rathaus von Bad Neustadt an der Saale, sagt, dass es immer wieder Anfragen aus Thüringen und von den Lutheriden gebe, eine Vereinigung der Nachkommen Luthers. Deshalb hat er Stadtarchivar Künzl beauftragt, sich näher mit der Herkunft von Luthers Mutter zu befassen. Weiß hat sich aber auch selbst ins Thema eingelesen. Er sieht einen Eintrag im Sterbebuch der Kirche zu Bockau im Vogtland aus dem Jahr 1621 als „stichhaltiges Indiz“ – pro Neustadt – und es ist älter als der Hinweis von Seckendorffs.

Auf das Sterbebuch-Dokument macht 1985 Ludwig Benkert in der Chronik von Bad Neustadt aufmerksam. Darin wird der Tod von Johannes Lindemann angezeigt, er soll ein Vetter zweiten Grades von Martin Luther – und ein Bruder von Salome, der Frau von Pfarrer Beerwald – sein. Der Geistliche aus Bockau fügt seinem Eintrag einen Stammbaum hinzu, der überschrieben ist mit „Genealogia Johan Lindemann zu Neustadt an der Rhene gignit“ – der also in Neustadt an der Rhön geboren ist. „Warum sollte der Geistliche das angeben, wenn es nicht so ist?“, meint Weiß.

Das kann doch nicht nur Erfindung sein . . . oder doch?

Auch Schüler des Rhön-Gymnasiums in Bad Neustadt haben sich beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten auf Spurensuche gemacht – und wurden bayerische Landessieger. Studienrat Günter Henneberger hat das Projekt „Religion macht Geschichte. Martin Luther und Bad Neustadt“ betreut. Er erzählt, dass die Schüler das Thema differenziert betrachtet hätten. „Dass Luthers Mutter eine Neustädterin war, ist ja keineswegs sicher.“ Henneberger verweist jedoch auf Lokalhistoriker, die der Meinung sind, dass es komisch wäre, wenn dies nur eine Erfindung gewesen wäre.

Für den evangelischen Dekan Matthias Büttner stellt sich vor allem die Frage nach dem Motiv, die Familie Luthers in Neustadt zu verorten. Dass die Eisenacher einen Teil von Luthers Familie für sich beanspruchen, sei naheliegend, meint er. „Die Stadt ist durch Martin Luther berühmt geworden, deshalb haben sie wohl auch die familiären Wurzeln dorthin gelegt.“

Beim Playmobil-Luther heißt es: Bad Neustadt!

Bad Neustadt hat aber laut Dekan Büttner keinen Grund, sich aus historischen Gründen mit Luthers Familie zu schmücken. Außer, es ist tatsächlich so gewesen – oder man will einen Affront herbeiführen und in der Region, in der ein berühmter und unerbittlicher Gegenreformator – Würzburgs Fürstbischof Julius Echter – am Werk war, die familiären Wurzeln Luthers legen. Laut Büttner war Neustadt „ein Hotspot der Gegenreformation“. Wenn von Seckendorff Neustadt als Herkunftsort von Luthers Vorfahren lediglich erfunden haben sollte, dann wohl deshalb.

Eine kleine Lutherfigur aus Zirndorf bei Nürnberg schert sich um all diese Diskussionen nicht. Sie bringt eine weitere Botschaft unter die Leute – und das millionenfach. Das Faltblatt in der Verpackung des Playmobil-Luthers macht Bad Neustadt zu einem der Wirkungs- und Lebensstationen des Reformators. Ob dort die Mutter geboren wurde oder gelebt hat, darüber wird kein Wort verloren.

Stadtarchivar Künzl will nun bei seinen Kollegen in Eisenach anfragen, ob sie ein sicheres Dokument haben, das Luthers Mutter zur Thüringerin macht. Fortsetzung folgt.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bad Neustadt
Christine Jeske
Bistum Würzburg
Erfindungen
Evangelische Kirche
Gegenreformation
Gelehrte
Jesuiten
Martin Luther
Matthias Büttner
Michael Weiß
Reformation der christlichen Kirchen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top