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Gersfeld
Ein Aufstieg durch die Todeszone: Erste zivile Besteigung des höchsten Gipfels in Unterfranken nach 60 Jahren
Weil sie im Truppenübungsplatz Wildflecken (Lkr. Bad Kissingen) liegt, durfte die Dammersfelder Kuppe Jahrzehnte lang nicht betreten werden.
Seit 60 Jahren ein unerreichbares Wanderziel. Der höchste Berg Unterfrankens und der Bayerischen Rhön, die Dammersfelder Kuppe - hier vom Eierhauck aus gesehen - konnte nun erstmals wieder bestiegen werden.
Foto: Rainer Ickler | Seit 60 Jahren ein unerreichbares Wanderziel. Der höchste Berg Unterfrankens und der Bayerischen Rhön, die Dammersfelder Kuppe - hier vom Eierhauck aus gesehen - konnte nun erstmals wieder bestiegen werden.
Rainer Ickler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:29 Uhr

Es war ein historisches Ereignis: Seit 60 Jahren durfte erstmals wieder eine kleine Gruppe Wanderer den Gipfel der Dammersfelder Kuppe erklimmen. Bis zum Bau des Truppenübungsplatzes Wildflecken im Jahr 1937 war das Dammersfeld das Wander- und Wintersportparadies der Rhön mit Wiesenhaus und Haus Franken. Danach war der höchste Berg Unterfrankens und der Bayerischen Rhön sowie der zweithöchste Berg des Mittelgebirges für Wanderer und Skiläufer nicht mehr zugänglich.

Lediglich nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges konnte das Dammersfeld kurzzeitig bis 1952 begangen werden. Danach übernahm die US-Armee den Truppenübungsplatz und sperrte ihn wieder für die Öffentlichkeit. Seitdem diente die Dammersfelder Kuppe als Zielgebiet für Artillerie- und Panzergeschütze, und die markante Bergkuppe wurde zu einem mit unzähligen Blindgängern verseuchtem Gebiet. Ein Betreten des Gipfelplateaus bedeutet Lebensgefahr.

Geräumter Schutzstreifen dient auch als Brandschutzschneise

Doch im vergangenen Jahr beschloss die Bundeswehrstandort-Verwaltung, einen etwa drei Meter breiten Streifen bis zum Gipfel von herum liegenden Blindgängern zu säubern, berichtet Oberstabsfeldwebel Robert Stranzel. Denn es sei angedacht, in den kommenden Jahren eventuell die Dammersfelder Kuppe im Zuge der Wandertage für kleinere Gruppen zugänglich zu machen. Zudem dient der Schutzstreifen als Brandschutzschneise.

Überall warnen Schilder vor Blindgängern.
Foto: Archiv Thomas Pfeuffer | Überall warnen Schilder vor Blindgängern.

"Bitte bleiben Sie zusammen und laufen hinter mir her. Wir befinden uns in einem "munitionsverseuchten Gebiet", erklärt Stranzel. "Wir befinden uns in einer Todeszone." Und so macht sich die kleine Gruppe, bestehend aus Mitgliedern des Alpenvereins Fulda und des Rhönklub-Zweigvereins Gersfeld auf den Weg.

Heimat für Schwarzstörche, Mufflons und Wölfe

Start ist im Truppenübungsplatzgebiet ein Feld direkt unter dem Gipfel des knapp 910 Meter hohen Eierhaucks. Links und rechts des Weges stehen Schilder mit der Aufschrift "Achtung Blindgänger Betreten verboten Lebensgefahr." Die Natur ist sich hier selbst überlassen. Der Wald wird nicht wirtschaftlich genutzt und die Wiesen nicht gemäht. Das Gebiet befindet sich quasi im Urzustand. Hier hat sich für Tiere und Pflanzen ein einzigartiges Biotop entwickelt. Stranzel erzählt, dass es hier Schwarzstörche, Mufflons und auch Wölfe gebe.

Ein Blindgänger am Wegrand.
Foto: Rainer Ickler | Ein Blindgänger am Wegrand.

Nach einer knappen Stunde Fußmarsch erblicken wir den Gipfel – leider halb im Nebel. Dann stehen wir vor dem direkten, steilen Aufstieg. Die Natur hat sich den im Frühjahr freigeräumten Weg, der durch blaue Stöcke markiert ist, teilweise zurückgeholt. Himbeerbüsche, Weideröschen und viele andere Pflanzen säumen den Aufstieg. Steil geht es im Gänsemarsch die letzten 100 Höhenmeter nach oben.

Bei Abweichen vom Weg: Lebensgefahr

Georg Fischer vom Rhönklub Gersfeld hat einen Teil eines Geschosses direkt neben einer Bunkeranlage gefunden und erklärt, dass in den vergangenen Jahrzehnten US-Armee und Bundeswehr von allen Seiten aus den Gipfel beschossen haben. Er diente als Zielgebiet. Wer sich nur wenige Meter vom Weg entfernt, begibt sich in Lebensgefahr. Die Wanderinnen und Wanderer genießen nach der Information den Blick aus ungewohnter Perspektive auf Kreuzberg, Arnsberg, Feuerberg, den Beilstein und die Schwarzen Berge.

Es geht sehr steil bergauf, ein fast alpines Gebiet auf dem geräumten Weg. Noch einige wenige Meter. Dann ist der Gipfel, der mit einem etwa 1,50 Meter hohen Stab gekennzeichnet ist, erreicht.

Am Gipfel angekommen. Die Gruppe mit  (von links) Georg Fischer, Robert Stranzel, Manfred Hagemann, Gerhard Klink, Richard Hartwig und Hartmut Fennel.
Foto: Rainer Ickler | Am Gipfel angekommen. Die Gruppe mit  (von links) Georg Fischer, Robert Stranzel, Manfred Hagemann, Gerhard Klink, Richard Hartwig und Hartmut Fennel.

"Ein historisches Ereignis. Nicht spektakulär, aber einzigartig", sagt Gerhard Klink. Manfred Hagemann, zweiter Vorsitzender der Sektion Fulda im Alpenverein hat eigens eine besondere Flasche Schnaps mitgebracht, um diesen einmaligen Moment auf dem zweithöchsten Gipfel der Rhön zu feiern. Georg Fischer reicht Fotos herum, die das Wiesenhaus, einen Pavillon, den der Rhönklub Gersfeld einst errichtete, und das Haus Franken zeigen. Im Buch "Unvergessene Heimat rund ums Dammersfeld" wird berichtet, dass das Hüttenbuch über Wandererlebnisse von Rhönwanderern aus aller Wert erzählt. "Sogar arabische Schriftzeichen waren dabei."

Vor 100 Jahren beliebtes Wanderziel

Das Gebäude wurde vermutlich 1670 vom Fuldaer Fürstabt Joachim von Gravenegg erbaut. Denn dort oben gab es die besten Weiden in der Rhön und bis zu 200 Kühe weideten dort. In einer Meierei wurde Butter hergestellt. Es soll sogar zu einem Butterkrieg zwischen den Fürstäbten von Fulda und Würzburg gekommen sein.

Früher ein beliebtes Ausflugsziel: Das Bild zeigt das Wiesenhaus am Dammersfeld um 1900.
Foto: Archiv Helmut Raab | Früher ein beliebtes Ausflugsziel: Das Bild zeigt das Wiesenhaus am Dammersfeld um 1900.

Am Nordhang wurde 1917 das Haus Franken errichtet. Es diente ab 1917 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges als Pferdelazarett, später wurde es von den Rhönklub-Zweigvereinen Würzburg und Frankfurt als Wanderheim genutzt. Vom Pavillon auf dem Gipfel aus genossen die Wanderer tolle Rundumsicht. Diese bleibt der kleinen Gruppe an diesem Tag leider vorenthalten. Denn kurz nach der Ankunft auf dem Gipfel ziehen Nebelschwaden herein.

Trotzdem bleibt noch Zeit, den historischen Moment zu genießen und sich das bunte Treiben auf der Dammersfelder Kuppe in den 1920er und 1930er Jahren vorzustellen, ehe der Abstieg beginnt. Otto Müller aus Gersfeld nimmt als Erinnerung an diesen besonderen Moment noch einen Stein vom Gipfel mit, den er seinem Enkel schenken will. Der zweithöchste Berg der Rhön mit seiner langen Geschichte bleibt wieder der Natur überlassen.

Höchste Erhebungen der Rhön

Unstrittig ist die Wasserkuppe mit ihren 950 Metern der höchste Berg der Rhön. Als höchster Berg der Bayerischen Rhön galt lange Zeit der Kreuzberg. Moderne Messmethoden haben allerdings ergeben, dass die Dammersfelder Kuppe, die im Bayerischen Teil des Truppenübungsplatzes für den normalen Besucher nicht zu erreichen ist, mit ihren 927,9 Metern den Kreuzberg um ganze zehn Zentimeter überragt und damit auch der höchste Berg Unterfrankens ist. Auf Platz vier folgt mit 925,7 Metern der Heidelstein. Höher als 900 Meter sind weiterhin der ebenfalls im Truppenübungsplatz gelegene Eierhauck (909,9), die Abtsrodaer Kuppe (904,8) und der Stirnberg in der Langen Rhön (901,9).
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  • mw.wehner@t-online.de
    Raus mit dem ganzen Zeug, man sieht doch, was gerade immer wieder in Brandenburg passiert.
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  • m.schmitt.stadtlauringen@gmail.com
    Schade, dass die Bundeswehr nicht verpflichtet ist ihren Schrott regelmäßig aus der Natur zu räumen!
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  • weissmi
    Wieso die Bundeswehr? Das stammt vor allem von den US-Streitkräften.
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  • daniel.hagmann@freenet.de
    Gut, dass das Zeug dort liegt, dann bleibt die übrige Natur von Menschen weitgehend verschont und niemand kann das kurzfristig ändern.
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  • Und was passiert bei einem Waldbrand?
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