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Bad Neustadt
Abschiedsinterview: 20 Jahre kämpfte Gudrun Hellmuth im Stadtrat Bad Neustadt für Familien, nun tritt sie zurück
Ihr Mandat im Bad Neustädter Stadtrat war für sie Auftrag, nicht Hobby. Weshalb die 66-Jährige heute manchmal das Gefühl hat, nicht mehr in die Zeit zu passen.
Kürzertreten war für Gudrun Hellmuth keine Option: Über 20 Jahre saß die 66-Jährige für die Freien Wähler im Stadtrat Bad Neustadt, nun scheidet sie auf eigenen Wunsch aus. Zum Abschied spricht sie über die großen Herausforderungen, vor denen der Stadtrat Bad Neustadt aktuell steht.
Foto: Torsten Leukert | Kürzertreten war für Gudrun Hellmuth keine Option: Über 20 Jahre saß die 66-Jährige für die Freien Wähler im Stadtrat Bad Neustadt, nun scheidet sie auf eigenen Wunsch aus.
Ines Renninger
 und  Sigrid Brunner
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:20 Uhr

Frauen- und Familienthemen lagen Gudrun Hellmuth stets am Herzen. Bereits als junge Mutter und Kita-Leiterin wollte sie Türen aufbrechen. Als Stadträtin für die Freien Wähler hat sie sich über 20 Jahre lang eingemischt. Wo es in Gudrun Hellmuths Augen dieser Tage hakt und welche Prioritäten sie im Bad Neustädter Stadtrat setzen würde.

Frage: Frau Hellmuth, nach über 20 Jahren Stadtratsarbeit legen Sie zum 1. August Ihr Mandat nieder. Was möchten Sie der Öffentlichkeit über die Gründe für Ihren Rücktritt sagen?

Gudrun Hellmuth: Meine Gründe sind persönlich und wohlüberlegt. Viel mehr möchte ich dazu nicht sagen. Es war mir eine große Ehre, im Stadtrat vertreten zu sein und mich aktiv einzubringen. Aber alles im Leben hat seine Zeit. Ich konnte mich nur engagieren, weil ich eine starke Familie im Rücken hatte. Nun braucht meine Familie mich. Dennoch war es mir wichtig, bis zur Sommerpause weiterzumachen. Nun kann das Gremium im Herbst neu durchstarten.

Im Stadtrat etwas kürzertreten war für Sie keine Option? 

Hellmuth: Ich habe mein Mandat nie als Hobby gesehen, sondern als Wählerauftrag. Klar, könnte ich sagen: Dann musst du eben ein Stück weit pausieren. Aber das passt nicht zu mir. Ich habe schlichtweg nicht die Energie, Zeit und Kraft, diese Stadtratsarbeit, so wie ich sie mir vorstelle, weiterzumachen. Auch in Anbetracht dessen, dass aktuell im Stadtrat weitreichende Entscheidungen getroffen werden müssen. 

Haben Sie manchmal das Gefühl, mit diesem Anspruch nicht mehr in die Zeit zu passen?

Hellmuth: Ich hab immer geglaubt, eine gute Mischung aus Erfahrung und Innovation macht's. Mein Anspruch war es, in all den Jahren bei den Sitzungen anwesend und vorbereitet zu sein. Aber es hat sich so viel verändert. Vielleicht passt dieser Anspruch nicht mehr in die Zeit. Ich habe da ein anderes Selbstverständnis. Was meiner Meinung nach aktuell außerdem zu wenig im Stadtrat stattfindet: sich konstruktiv streiten, Argumente austauschen. Die Sitzungen sind dafür zu überfrachtet. 

Das klingt, als gäbe es über Ihre familiären Gründe hinaus inhaltliche Gründe für Ihren Rücktritt?

Hellmuth: Ich möchte niemanden angreifen. Die Kreisstadt Bad Neustadt soll eine gute Entwicklung nehmen. Das ist mein ureigenstes Herzensanliegen. Gleichzeitig spreche ich aber Dinge an, die angesprochen werden müssen. Die Stadtratsarbeit hat sich verändert, die Aufgaben sind sehr vielfältig. Zahlreiche Themen stehen auf der Agenda. Da müssen wir mehr priorisieren, wir werden nicht alles zeitgleich lösen können, weder finanziell noch verwaltungstechnisch. 

Frauenthemen lagen Gudrun Hellmuth stets am Herzen. Auch häusliche Gewalt (siehe Flyer) war für sie kein Tabuthema. Beim Abschiedsinterview blickte sie auf die Schwerpunkte ihrer 20-jährigen Stadtrats-Tätigkeit zurück.
Foto: Torsten Leukert | Frauenthemen lagen Gudrun Hellmuth stets am Herzen. Auch häusliche Gewalt (siehe Flyer) war für sie kein Tabuthema. Beim Abschiedsinterview blickte sie auf die Schwerpunkte ihrer 20-jährigen Stadtrats-Tätigkeit zurück.
Welche Prioritäten würden Sie persönlich setzen?

Hellmuth: Wir brauchen Konzepte für den Klimawandel. Den Bürgern brennt das Thema Energieversorgung unter den Nägeln. Die Energiegewinnung ist auch eine Standortfrage und sichert Arbeitsplätze. Wir brauchen längst die Fernwärmenetze, Wohnkonzepte fürs Alter und eine einladende Gestaltung des Bahnhofsareals. In nahezu allen Bereichen wünsche ich mir mehr Bürgerbeteiligung.

Sie selbst sind über eine Form von Bürgerbeteiligung zur Kommunalpolitik gekommen?

Hellmuth: Ja, über die Agenda 21: "Sitzen, reden, denken, auf Bad Neustadts Bänken." Wir haben damals herumgesponnen, waren innovativ. Gut möglich, dass heute ähnlich interessierte Leute da draußen unterwegs sind. Aber eine Plattform, um deren Engagement abzugreifen, fehlt. Ich wünsche mir nichts mehr als kluge, junge Leute, die sich wieder einmischen. Ein Ohnmachtsgefühl der Bürger ist der Tod der Demokratie.

Was fasziniert Sie an der Kommunalpolitik?

Hellmuth: Mir ging es immer um soziale Themen. Ich wollte Rahmenbedingungen schaffen, die Menschen ein gutes Zusammenleben ermöglichen. Kommunalpolitik habe ich immer auch aus Dankbarkeit gemacht. Es ist nicht selbstverständlich, dass Kinder in gute Lebensumstände hineingeboren werden. Haben Kinder dieses Glück nicht, braucht es ein wachsames Umfeld und maximale Unterstützung für gleiche Bildungschancen. 

Welche Themen haben Sie als Stadträtin noch angepackt?

Hellmuth: Über Veranstaltungen anlässlich der Weltfrauentage konnte ich wichtigen Frauen-Themen ein Gesicht geben. Inhaltlich ging es um gleiche Bezahlung, Integration, Inklusion, aber auch um Hilfe bei häuslicher Gewalt. Mir war es außerdem immer wichtig, Frauen Mut zu machen, dass sie ihre Berufstätigkeit leben. Denn Altersarmut ist weiblich. Dass eine Partnerschaft ein Leben lang hält, ist ein Geschenk, aber nicht selbstverständlich.

Selbst begeistert für viele Themen, war Gudrun Hellmuth nicht auf Begeisterungsstürme von außen angewiesen. Auch Widerstände bremsten sie nicht aus.
Foto: Torsten Leukert | Selbst begeistert für viele Themen, war Gudrun Hellmuth nicht auf Begeisterungsstürme von außen angewiesen. Auch Widerstände bremsten sie nicht aus.
Sie selbst sind schon als junge Frau selbstbestimmt ihren Weg gegangen. Wie kam es dazu?

Hellmuth: Erst einmal habe ich sehr früh geheiratet, wir haben jung unsere Kinder bekommen. Mein Mann und ich haben unsere Unterschiede stets respektiert und als Bereicherung wahrgenommen. Mein Berufsweg begann in Oberweißenbrunn, 1980 habe ich mit zwei kleinen Kindern die Leitung des Kindergartens Mariä Himmelfahrt übernommen. Sie können sich die Widerstände vorstellen! Mein Chef in Bad Neustadt, Pfarrer Josef Wirth, war ein Vordenker. So konnte ich von Anfang an Türen aufbrechen: Ich habe dafür gesorgt, dass die Kita mittags durchgängig geöffnet hat und Konzepte für ein warmes Mittagessen entwickelt, damit Frauen berufstätig sein können. Für solche Ideen habe ich anfangs keine Begeisterungsstürme geerntet. 

Was waren in den vergangenen 20 Jahren die wichtigsten Weichenstellungen der Stadt im Bereich Kinder und Familie?

Hellmuth: Wir sind eine der wenigen Kommunen weit und breit, die genügend Betreuungsplätze besonderer Güte anbietet. Auch die Schulen sind bei uns top. 

Hat der Bad Neustädter Stadtrat beim Thema Frauen seine Hausaufgaben gemacht?

Hellmuth: Nach 25 Jahren hat 2020 bei der Wahl des Bürgermeister-Stellvertreters das Los bei Stimmengleichheit für einen Mann entschieden. Seither gibt es wieder nur Männer in der Führungsriege der Stadt. Mir geht es nicht um Einzelpersonen, sondern um die fehlende Repräsentanz von Frauen und deren Sichtweise. Männer sind noch immer viel besser vernetzt als Frauen. Nicht zuletzt deshalb bin ich mittlerweile davon überzeugt, dass es eine Frauenquote braucht.

Neben Frauen- und Familienthemen lag Ihnen als Herschfelderin im Stadtrat natürlich Ihr Stadtteil am Herzen. Vielen Bad Neustädtern gelten die Herschfelder aktuell als Dauer-Nörgler. Ein berechtigter Vorwurf?

Hellmuth: Herschfeld ist ein wunderschöner Wohnort, aber zugleich der am dichtesten bebaute Stadtteil in Bad Neustadt. Entsprechend gibt es berechtigte Beschwerden, die angebracht werden müssen. Beispielsweise fehlt in Herschfeld ein Zentrum oder Begegnungsraum. Ich gehe davon aus, dass der überwiegende Teil der Herschfelder das Klinikum befürwortet. Trotzdem muss man dafür die nötige Infrastruktur schaffen. Deshalb habe ich mich auch so vehement dagegen gestellt, dass in der neu geplanten Wohnanlage nahe dem Klinikum 300 Personen angesiedelt werden, da ich die Integration in den Ort als kaum umsetzbar einschätze. Ich denke, wer sesshaft werden will, wird von dieser Wohnform nicht angesprochen. Stattdessen sollte die hier sowieso bereits zurückgedrängte Natur geschützt werden.

Im Mai lehnten Sie im Stadtrat alle Beschlüsse zu dieser Wohnanlage ab. "Undemokratisch", sagten Sie damals, sei das Projekt zustande gekommen. Ein Vorwurf, den das übrige Stadtrats-Gremium zum Teil entschieden zurückwies. Sind Sie missverstanden worden?

Hellmuth: Mit "undemokratisch" meinte ich nicht die Arbeit des Stadtrats, sondern die Nicht-Einbindung der Bürger. Die Bürger sind mit einem fertigen Modell überrumpelt worden. Aber Stadtentwicklung geht immer nur mit Bürgern. 

Was wünschen Sie Ihren Stadtrats-Kollegen für die Zukunft?

Hellmuth: Kluge Entscheidungen und parteiübergreifende Zusammenarbeit. Wir sollten als Kreisstadt nicht zaghaft, sondern mutig voranschreiten und Leuchtturmprojekte setzen.

Blickt positiv nach vorne: 'Ich glaube an die Zukunft und an die Jugend!', erklärte Gudrun Hellmuth im Abschiedsinterview mit dieser Redaktion.
Foto: Torsten Leukert | Blickt positiv nach vorne: "Ich glaube an die Zukunft und an die Jugend!", erklärte Gudrun Hellmuth im Abschiedsinterview mit dieser Redaktion.

Zur Person

Gudrun Hellmuth wurde am 25. April 1957 in Wollbach geboren. Sie ist verheiratet mit Rainer Hellmuth. Zusammen haben sie eine Tochter, einen Sohn und vier Enkelkinder. Nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin und ihrem Berufspraktikum im Kindergarten Oberweißenbrunn, übernahm sie 1977 Leitung des Kindergartens. 1980 wechselte sie als Leiterin des Kindergartens Mariä Himmelfahrt nach Bad Neustadt. Diesen Posten hatte sie bis zu ihrem Ruhestand 2020 inne. Seit 1991 ist sie stellvertretende Kreisvorsitzende der Katholischen Erziehergemeinschaft (KEG). 2011 war sie Gründungsmitglied der Bildungspartnerschaft Rhön-Grabfeld. Seit Mai 2002 ist sie für die Freien Wähler im Bad Neustädter Stadtrat vertreten. 
Quelle: sbr/ir
 
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  • Ingrid Mosandl
    Liebe Gudrun, ich durfte damals 2002 mit Dir gemeinsam in einer Fraktion zum ersten Mal in den Stadtrat einziehen und habe Dich als Mensch und Kommunalpolitikerin kennen und schätzen gelernt. Diese Zeit war erfolgreich, politisch durch alle Fraktionen meist sehr angenehm und hat am Ende trotz viel zeitlichem Investment auch Spaß gemacht. Ich möchte Dir danken für das, was Du in den letzten 20 Jahren für meine Heimatstadt und im Besonderen für "meinen Kindergarten der 60er Jahre "geleistet hast. Ich kann auch durch die Erzählungen der aktuellen Stadträte nachvollziehen, dass Du "etwas kürzer" treten möchtest. Bleib gesund und die Gudrun, die ich sehr schätze. LG Bernhard
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  • Olaf Schlemmer
    Ich war und bin nicht mit allem einverstanden was Gudrun Hellmuth in Ihrer Zeit als Stadträtin gesagt oder getan hat. Aber man kann Ihr nicht absprechen das Sie fast alles zum Wohl der Stadt und Ihrem Stadtteil getan hat. Jetzt wünsche ich Ihr und Ihrer Familie für die kommende Zeit viel Gesundheit, Kraft und Mut.
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