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Dörlesberg
Herzinfarkt beim Marathon: Wie Stefan Platz dank eines DJs überlebte
Stefan Platz aus Wertheim hat beim Marathon in Würzburg 2017 einen Herzinfarkt erlitten. Heute läuft er wieder, zum Teil sogar Halbmarathon. Wie er das geschafft hat.
Stefan Platz aus Wertheim. 2008 ist er seinen ersten Marathon gelaufen. 2017 erlitt er während eines Wettkampfs einen Herzinfarkt und musste reanimiert werden. Der Sport ist dennoch Teil seines Lebens geblieben.
Foto: Patty Varasano | Stefan Platz aus Wertheim. 2008 ist er seinen ersten Marathon gelaufen. 2017 erlitt er während eines Wettkampfs einen Herzinfarkt und musste reanimiert werden. Der Sport ist dennoch Teil seines Lebens geblieben.
Lukas Eisenhut
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:02 Uhr

Keep on running. Der Song der Spencer Davis Group macht gute Laune. Antreibender Rhythmus, gut zum Mitklatschen und gepaart mit dem Titel perfekt zum Laufen. Stefan Platz verbindet den Song mit einem Marathon. Und auch mit dem Moment, als sein Herz am 21. Mai 2017 plötzlich aufhört zu schlagen. Bei Kilometer 36 des Würzburg-Marathons bricht der heute 49-Jährige aus Wertheim zusammen. Direkt vor dem DJ-Pult, wie er erzählt. Er hat Glück, wird reanimiert und überlebt.

Stefan Platz, ein sportlicher Mann mit Brille, sitzt im Januar 2022 an seinem Esszimmertisch und erzählt. Dass er den Sport als Ausgleich zu seinem Beruf als Holztechniker nutzt. Dass er und seine Partnerin wenige Wochen vor dem Marathon in Würzburg schon einen sogenannten Ultra über 45 Kilometer recht locker gelaufen seien. Und dass sie guter Dinge gewesen seien, in Würzburg eine gute Zeit zu laufen. "Deutlich unter den vier Stunden war mein Ziel", sagt Platz. Nur eines kann er nicht erzählen: Was an dem Tag mit ihm passiert ist. Blackout. An die Startaufstellung könne er sich noch erinnern. Ansonsten sei alles weg.

Partnerin wartet eine Stunde lang im Ziel

Bei Evelyn Kaufmann, Platz' Partnerin, ist alles noch da. Sie wartet an jenem 21. Mai im Ziel auf Stefan. Bei Kilometer 30, erzählt sie, hatten sich die beiden getrennt. Platz habe Bauchschmerzen bekommen. Von den Verpflegungsgels, denkt sie. Er kann nicht mehr so wie er will. Doch er will, dass sie weiterläuft; dass sie die vier Stunden knackt.

"Dann haben die zu mir gesagt, er sei mit einem Herzstillstand zusammengebrochen."
Evelyn Kaufmann, Partnerin von Stefan Platz

Ins Ziel kommt Platz auch nach einer Stunde Warten nicht. Als ein Mann aus demselben Dorf – dem baden-württembergischen Külsheim – die Linie überquert und Platz nirgends gesehen hat, wird Kaufmann stutzig. Da muss etwas passiert sein, denkt sie.

Platz liegt im künstlichen Koma

Die Johanniter wollen die Startnummer wissen, erzählt die ebenfalls 49-Jährige. Kaufmann soll hinter ein Auto gehen, denkt, dort würde Platz nun liegen. Mit einem Schwächeanfall. "Dann haben die zu mir gesagt, er sei bei Kilometer 36 mit einem Herzstillstand zusammengebrochen."

Doch schnell kommt die Entwarnung. Platz sei reanimiert und liege in der Uni-Klinik. Kaufmann könne zu ihm. "Ich dachte, er liegt im Bett und ist nur schwach. Aber dass er dann wirklich im künstlichen Koma liegt und an Schläuche angeschlossen ist, ja …" Die Rettungskräfte vor Ort hätten ihr gesagt, dass man Platz nicht angesehen habe, dass gleich etwas passiert. Er habe sogar noch das Victory-Zeichen in die Luft gehalten. Platz weiß, was er für ein Glück gehabt hat, dass er gut sichtbar vor dem DJ-Pult zusammengebrochen ist. Dem DJ verdanke er sein Leben, sagt er.

DJ Daniel Obry wird zum Lebensretter

Daniel Obry heißt der Mann, der an diesem Tag zusammen mit einem Kollegen an den Plattentellern steht. Er  kommt aus Groß-Gerau, ist heute 48 Jahre alt und ausgebildeter Notfallsanitäter. "Den Tag werde ich in meinem Leben nicht mehr vergessen", sagt er. "Wir waren vor dem Hotel Walfisch positioniert und haben unsere Musik gespielt. Er kam angelaufen und es sah so aus, als würde er vor Freude über die Musik die Arme hochreißen", erzählt der DJ.

"Es sah aus wie ein epileptischer Anfall, dann hat man gesehen, dass die Atmung eingestellt ist."
Daniel Obry, DJ und Rettungssanitäter

Im nächsten Augenblick sei Platz allerdings an den Straßenrand gegangen und habe sich hingesetzt. Alles habe noch kontrolliert ausgesehen, er habe an einen Wadenkrampf gedacht, beschreibt Obry. "Dann bildete sich binnen kürzester Zeit eine Menschentraube und mein Kollege sagte mir, ich müsse rüber." Schnell habe der Musiker erkannt, dass es sich um einen Notfall handelte. "Es sah aus wie ein epileptischer Anfall, dann hat man gesehen, dass die Atmung eingestellt ist."

Daniel Obry hat Stefan Platz reanimiert.
Foto: Stephanie Schmall | Daniel Obry hat Stefan Platz reanimiert.

Zu einer Frau habe Obry gesagt, dass er Notfallsanitäter sei. Sie antwortete, sie sei Krankenschwester. Ein glücklicher Zufall. "Dann habe ich zu ihr gesagt: Hier bleiben!" Die Leute ringsherum habe der DJ gebeten, Platz zu machen. Einen Notruf hatte er schon abgesetzt, dann begann er mit der Reanimation. "Nach drei, vier Minuten kam der Krankenwagen, weitere zwei, drei Minuten später der Notarzt", erinnert sich Obry. Nach zehn bis 15 Minuten Arbeit im Rettungswagen sei dieser zum Krankenhaus gefahren.

Wie es ausgegangen ist, habe er dann aber erst ein Jahr später erfahren, als Platz und Kaufmann vor ihm standen. Sie hatten einen Fresskorb und eine Karte dabei. "Dir verdanke ich mein Leben", stehe dort sinngemäß drauf, erzählt der DJ. Noch heute stehe die Karte bei ihm in der Vitrine. 

Zeit ist bei einem Herzstillstand das Wichtigste

Auch dass er heute wieder so fit ist, verdankt Platz den Helfern. Das Herz, so hätten es ihm die Ärzte gesagt, habe durch den Infarkt kaum Schäden erlitten, weil er gleich wiederbelebt wurde. "Wäre ich fünf Minuten ohne Luft gewesen, wer weiß. Einen glücklicheren Platz hätte ich im Endeffekt nicht erwischen können für den Infarkt. Hier auf dem Sofa wäre es wahrscheinlich anders ausgegangen." Auch Obry appelliert. Es sei "essenziell", sofort Erste Hilfe zu leisten. Zeit sei "der wichtigste Faktor" bei einem Herzstillstand.

Mit dieser Karte bedankte sich Stefan Platz später bei seinem Lebensretter Daniel Obry.
Foto: Daniel Obry | Mit dieser Karte bedankte sich Stefan Platz später bei seinem Lebensretter Daniel Obry.

So aber ist Platz, der zwei Tage im künstlichen Koma gelegen hatte, sogar für die Reha "eigentlich zu fit" gewesen, wie er sagt. Die Stationsleitung habe ihm gesagt, wenn er Jogger gewesen sei, kriegten sie ihn in den fünf Wochen da auch wieder hin. Das gelingt. Noch in der Reha joggt er wieder die ersten drei Kilometer –  obwohl er Essen, Trinken und Gehen wieder lernen muss. Bis er auf seinem gewohnten Niveau ist, dauert es aber. "Ich habe in den ersten Monaten gemerkt, dass das Thema nach fünf Kilometern durch ist. Selbst mit Gehpausen", sagt er. 

Herzattacke Nummer zwei folgt ein Jahr später

Irgendwann aber ging es wieder besser. Und dann, so sagen beide, sei der Ehrgeiz zurückgekommen. "Leider", betont Kaufmann: "Dann haben wir wieder auf Tempo trainiert." Im Mai 2018 gehen beide beim Halbmarathon in Heilbronn an den Start. Es ist der erste nach dem Herzinfarkt. Etwa nach drei Vierteln des Laufs merkt Platz, dass er sich übernommen hat. Zu Ende läuft er dennoch.

Gut zwei Wochen später folgt die nächste kleine Herzattacke. Dieses Mal kein Infarkt, aber dennoch denkt Platz um. "Dann war ich doch ein bisschen vernünftiger und habe wirklich im Wohlfühlbereich trainiert", sagt er. 

Stefan Platz läuft nur noch im Wohlfühlbereich

Die Ursache für Platz' Herzprobleme ist genetisch bedingt. Ein bestimmtes Protein in seinem Blut sorgt in Kombination mit zu viel Cholesterin dafür, dass sich zu viele Ablagerungen in seinen Adern bilden. Diese verengen und führen im schlimmsten Fall zum Infarkt. Dementsprechend haben beide die Ernährung umgestellt, erzählt er.

Und auch beim Joggen sorgt Platz dafür, dass die Gefahr minimiert wird. Er läuft nur noch mit Kaufmann zusammen, bleibt im Wohlfühlbereich und trägt beim Laufen eine Pulsuhr. "Da hat man die Kontrolle, nimmt mal einen Schritt raus oder geht ein paar Meter", sagt er.

Regelmäßige Kontrollen bei Ärzten

Außerdem wird der 49-Jährige regelmäßig bei diversen Ärzten vorstellig. Zweimal im Jahr werden in der Stoffwechsel-Ambulanz in der Uni-Klinik ein Blutbild gemacht sowie sein Cholesterin überprüft. Hinzu kommt eine jährliche Kontrolle beim Kardiologen inklusive eines Belastungs-EKGs. "Auch der Hausarzt sieht mich regelmäßig. Von daher bin ich eigentlich jedes Quartal  bei irgendeinem Arzt."

"Auch der Hausarzt sieht mich regelmäßig."
Stefan Platz, Marathonläufer

Dennoch läuft die Erinnerung immer mit. Auch wenn sie bereits wieder Halbmarathons zusammen gelaufen sind – Evelyn Kaufmann wird auch noch heute nervös, wenn ihr Partner ein Zwicken in der Wade spürt. Das habe er damals beim Marathon auch gehabt. Sobald irgendwas ungewöhnlich sei, auch wenn er nur etwas mehr schnaufe als sonst, werde sie nervös.

Derzeit werden die sportlichen Ambitionen des Paares durch Corona etwas ausgebremst. "Aber wenn in den kommenden Jahren wieder Wettkämpfe im normalen Umfeld stattfinden können, dann ist das schon etwas, was wir auch wieder laufen werden", sagt Platz.

2019 tritt Platz erstmals wieder bei Unterfrankens größter Laufveranstaltung in Würzburg an – nun im Halbmarathon. Der 49-Jährige hofft, dass dadurch vielleicht die Erinnerung an den 21. Mai 2017 zurückkehrt. Doch das klappt nicht. Wieder steht Daniel Obry an der Strecke. Als Stefan Platz am DJ-Pult vorbeikommt, winkt er seinem Lebensretter zu. Dieses Mal ist alles normal. Der Athlet läuft weiter. Keep on running.

 
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