Sitzungen von Stadt- und Gemeinderäten müssen öffentlich stattfinden, "soweit nicht Rücksichten auf das Wohl der Allgemeinheit oder auf berechtigte Ansprüche einzelner entgegenstehen" – so steht es in der bayerischen Gemeindeordnung. "Ein Ermessensspielraum bei der Handhabung dieser Regelung besteht für die Kommunen nicht", schreibt die Regierung von Unterfranken dazu. Öffentlichkeit ist für demokratische Entscheidungen wichtig. Warum es gegen das Wohl der Allgemeinheit verstoßen sollte, wenn der Gemündener Stadtrat oder ein Ausschuss desselben öffentlich über einen von der SPD vor einem Jahr vorgeschlagenen Kulturpreis berät, ist unklar. Dennoch wurde das Thema vorigen Montag im Kulturausschuss hinter verschlossenen Türen behandelt.
Die öffentliche Sitzung des Ausschusses hatte außer "Anfragen" nur einen Tagesordnungspunkt (Antrag auf ein neues Tourismuskonzept) und war nach einer Dreiviertelstunde um 19.15 Uhr schon wieder zu Ende. Die anschließende nichtöffentliche Sitzung hingegen ging laut einem Stadtrat bis kurz vor 22 Uhr. Stadtrat Matthias Risser hatte in der öffentlichen Sitzung bei einem Wortbeitrag ausgeplaudert, dass es "später" noch um den Kulturpreis gehen würde, was Bürgermeister Jürgen Lippert sichtlich aufregte. Dies hat die Redaktion zum Anlass genommen, beim Bürgermeister nachzufragen, warum der Kulturpreis nichtöffentlich behandelt wird und was sonst noch nichtöffentlich behandelt und vielleicht sogar beschlossen wurde.
Kunstpreis für Kunstschaffende
Der Hintergrund zum Kulturpreis: Kunstschaffende, die das kulturelle Leben in Gemünden bereichern oder aus Gemünden stammen, sollen künftig einen Kulturpreis erhalten – so der Antrag der SPD bei den vergangenen Haushaltsberatungen. Die Idee kam im Rathaus gut an. So soll neben der jährlichen Ehrung der Sportler und Ehrenamtlichen auch eine Ehrung im Bereich Kultur ausgelobt werden.
Beim nichtöffentlichen Tagesordnungspunkt "Auslobung eines Kunst- und Kulturpreises" handelte es sich laut Lippert "um eine reine Information ohne Beschlussfassung mit der Bitte an die Fraktionen, sich mit der Thematik sowie Ideen und Vorschlägen zu beteiligen". Was an dem Thema so geheim ist, dass es im Widerspruch zur Gemeindeordnung unter Ausschluss der Öffentlichkeit behandelt wurde, erklärt er nicht. "Weitere öffentliche Sitzungen (möglicherweise Ausschüsse und auch Stadtrat mit ggf. Beschlussfassung) werden diesbezüglich folgen", teilt Lippert mit – aber erst, "sobald ein erstes Konzept zunächst unter Beteiligung aller Stadtratsfraktionen vorliegt".
Hätte das Thema Heimatfest öffentlich behandelt werden müssen?
Ein weiterer Punkt, der nichtöffentlich behandelt wurde, war die Frage nach dem Kirchweih- und Heimatfest dieses Jahr beziehungsweise erneut einem Biergarten als Ersatz. "Aufgrund datenschutzrechtlicher Vorgaben, Vertragsangelegenheiten sowie berechtigter Ansprüche Einzelner" möchte Lippert keine weiteren Angaben machen, was dabei herauskam. Es sei aber sogar eine Beschlussempfehlung gefällt worden. Auch hier stellt sich die Frage, ob überhaupt eine Berechtigung bestand, den Punkt nichtöffentlich zu behandeln. Es ging dabei ja um die Anfrage von Festwirt Franz Widmann, ob er wieder ein Heimatfest oder einen Biergarten ausrichten darf. Gemündener Wirte wurden, wie berichtet, angeschrieben, um ihre Meinung dazu kundzutun, deren Antworten kamen nach Informationen der Redaktion nichtöffentlich zur Sprache.
2011 hat die Regierung von Unterfranken in einem viel beachteten Schreiben unterfränkische Kommunen noch einmal darauf hingewiesen, dass es gravierender Gründe bedarf, die Öffentlichkeit von Sitzungen auszuschließen. Darin steht auch: "Grundsätzlich ist beim Ausschluss der Öffentlichkeit auch zu prüfen, ob ggfs. nur ein selbstständiger klar abgrenzbarer Teilaspekt einer Angelegenheit der Geheimhaltung unterliegt und ob es in praktikabler Weise möglich ist, ausschließlich diesen Teilbereich im Rahmen eines von der Gesamtthematik losgelösten Willensbildungsprozesses nichtöffentlich zu behandeln." Bei einer öffentlichen Behandlung des Themas hätten etwa die Antworten der Wirte ohne Nennung der Namen verlesen werden können. Auch etwaige Vertragsangelegenheiten hätte man vom öffentlich zu behandelnden Punkt abtrennen können.
Laut Lippert standen auf der nichtöffentlichen Tagesordnung folgende weitere Punkte: Ehrungen verdienter Persönlichkeiten (insgesamt 19 Vorschläge gemäß der Satzung über Ehrungen der Stadt Gemünden lagen vor, so Lippert) und der Antrag eines Bürgers auf Würdigung einer Person (weswegen jemand gewürdigt werden soll, möchte Lippert nicht sagen).
Beratung hinter verschlossenen Türen
Unter Lipperts Vorgänger gab es in Gemünden eine regelrechte Geheimpolitik. Wichtige und weniger wichtige Dinge wurden im Widerspruch zur Gemeindeordnung unter Ausschluss der Öffentlichkeit beraten und beschlossen. Im Jahr 2009 fiel in Gemünden mehr als die Hälfte aller Stadtratsbeschlüsse nicht öffentlich, ermittelte ein Stadtratsmitglied damals. Von solchen Verhältnissen scheint Gemünden noch weit entfernt, aber Stadträte berichten der Redaktion, dass seit etwa ein, zwei Jahren erneut die Tendenz eingerissen sei, immer wieder Themen hinter verschlossenen Türen zu behandeln, für die es eigentlich keinen Grund gibt.
Andere sagen wiederum, dass sie das nicht erkennen können, manche Dinge müssten aber zunächst "vorberaten" werden – "vorberaten" ist dabei offenbar die Bezeichnung für "hinter verschlossenen Türen beraten". Lippert sieht nichts Unrechtes an dieser Praxis: "Meines Erachtens gibt es keine Rechtsgrundlage, die eine nichtöffentliche Vorberatung ohne Beschlussfassung verbietet." Die Rechtsaufsicht am Landratsamt sieht das anders, wie Frauke Beck von der Pressestelle auf Anfrage mitteilt: "Eine nichtöffentliche Vorberatung von öffentlich zu behandelnden Gegenständen in einer Sitzung des Gemeinderatsplenums ist in der Gemeindeordnung nicht vorgesehen." Sie verweist auf den Öffentlichkeitsgrundsatz.
Gemündens Zweiter Bürgermeister Werner Herrbach sagt auf Anfrage, dass nichtöffentlich behandelte Themen oft solche sind, "wo man sich noch nicht im Klaren ist, wo man Orientierung sucht, in welche Richtung es geht". Lippert ist nach Herrbachs Einschätzung aber "normalerweise darauf bedacht, Dinge öffentlich zu behandeln, die öffentlich zu behandeln sind".
Dabei gibt es gar nicht viele Sachverhalte, die nichtöffentlich behandelt werden dürfen oder sogar müssen, etwa Personalangelegenheiten, Grundstücksgeschäfte, Vergabeangelegenheiten oder einzelfallbezogene Abgabeangelegenheiten. Auf Nachfrage der Presse muss ein Bürgermeister übrigens alle Themen und Beschlüsse aus nichtöffentlichen Sitzungen bekanntgeben. Wurde zu einem Thema, das zu Unrecht hinter verschlossenen Türen behandelt wurde, nichtöffentlich auch noch ein Beschluss gefasst, ist dieser unter Umständen ungültig.