Bernadette Cosanne erinnert sich gut an den Tag vor eineinhalb Jahren, als sie im Büro der Integrationsbeauftragten Karlstadts saß und ihre Hilfe anbot. Vor der Tür saß zufälligerweise die siebenköpfige Familie Asadi aus Afghanistan; Mutter, Vater und Kinder im Alter von 14 bis 22 Jahren. "Da sagte die Integrationsbeauftragte: Bitteschön, da hast du eine Familie, die könntest du gern begleiten", erzählt Cosanne. Die große Familie hatte viele Fragen – und konnte noch wenig Deutsch. Eine Herausforderung für die 66-Jährige, die über sich selbst sagt, dass sie mit Fremdsprachen wenig Erfahrung hat. "Wir haben uns alle mit großen Augen angeguckt", sagt Cosanne. Mittlerweile nutzt sie wie selbstverständlich Übersetzungs-Apps und kennt schon ein paar persische Worte.
Immer wieder betont Cosanne, dass sie erst später zum Helferkreis dazugestoßen ist und es viele weitere Ehrenamtliche gibt, die sehr viel leisten. Trotzdem will sie ihre Geschichte erzählen – um andere für dieses Ehrenamt zu gewinnen. "Mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs kam mir die Idee. Es brodelte ein bisschen in mir und mein Helfersyndrom kam zum Vorschein", sagt sie. Gleichzeitig sei sie wenig vorher in die Rente gegangen. "Das Schöne daran ist, dass es jede Woche etwas anderes gibt und ich in verschiedene Bereiche hineinschnuppere, mit denen ich sonst nicht so viel zu tun hatte", sagt Cosanne.
Die Wohnungssuche ist ein Dauerthema
Der größte Teil ihrer ehrenamtlichen Arbeit sei eher organisatorisch: Sie schreibt Nachrichten und Mails, macht Anrufe. Dafür ließ sie sich von allen Familienmitgliedern eine Vollmacht übertragen. Anfangs sei vieles für sie neu gewesen. Wenn sie mit Unterlagen nicht klarkommt, könne sie das aber auch abgeben oder sich mit anderen Helfenden austauschen. "Was wir als allererstes gemacht haben – das finde ich persönlich auch furchtbar – ich habe Ordner besorgt und wir haben die Papiere alle geordnet." Sie saß im Wohnzimmer der großen Familie und sortierte aus: dieses in den Müll, das unter Jobcenter, jenes unter Landratsamt.
Ein Dauerthema der Familie ist die Wohnungssuche. In der aktuellen Unterkunft dringe der Regen teilweise ein, das Haus sei zu klein für sieben Personen. Sie dürften im ganzen Landkreis wohnen, darüber hinaus aber nicht umziehen, erklärt Cosanne. Auch beim Mietpreis müssen sie sich an eine Obergrenze halten. "Viele Chancen habt ihr nicht", habe sie der Familie in mehr als einem Jahr Suche sagen müssen. "Das kriegt ein Deutscher schon kaum mit sieben Personen, und wenn dann noch jemand mit einem Kopftuch ankommt, das muss ich dann einfach so sagen."
Über das Café international des Helferkreises lernte sie die Geflüchteten und die Ehrenamtlichen des Helferkreises kennen. Sie zeigte den Familien aus der Notunterkunft in der Turnhalle, wo die Spielplätze sind. Mit den Kindern war sie auf der Karlsburg, mit ukrainischen Geflüchteten war sie bis auf der Aussichtsplattform Edelweiß oben.
Mittlerweile unterstützt Cosanne die Integrationsbeauftragte der Stadt Karlstadt täglich, begleitet Arztbesuche, besorgt gebrauchte Haushaltsgegenstände. Und sie hat die vorgezogene Einschulung der Kinder aus der Erwin-Ammann-Halle begleitet – wie auch bei den beiden Jungs Binyamin und Bezaahd Nazari, deren Familie mittlerweile aus der Halle ausziehen durfte. Dieser Umzug bedeutet aber auch: Sie müssen ihren Alltag jetzt ein großes Stück weit selbst bestreiten.
Immer wieder ist spontanes Handeln gefragt
Zuletzt gab Cosanne den Nazaris einen Crashkurs in Sachen Mülltrennung. Von ihren anderen Familien weiß sie: "Einmal ist die Biotonne stehen geblieben. Warum? Es war teilweise Restmüll mit drin." Also erklärt sie seither allen die Mülltrennung und bringt alte Zeitung mit, um die Abfälle einzuwickeln. Cosanne verteilt Batterien, Plastik, Dosen und Papier auf einem Tisch vor dem Haus. Sie erklärt die Besonderheiten der Entsorgung; bei der Übersetzung kann Suleiman Asadi, der 14-jährige Sohn von Cosannes erster Familie, bereits helfen. Denn in der Wohnung von Familie Nazari fehlt bisher das Internet, sodass die Übersetzungs-App nicht gut genug funktioniert.
Natürlich hat Cosanne bereits bei der Telekom nachgefragt. Die ernüchternde Info: Es soll dort keine Leitung liegen. Mutter Samargol bedrückt daran besonders, dass sie mit ihrer Familie, die teils an anderen Orten in Deutschland oder in Afghanistan lebt, kaum telefonieren kann. Wieder ein Problem, bei dem Cosanne so gut es geht unterstützen möchte.
"Ich möchte mich nicht zu festen Zeiten einbinden lassen. Ich möchte mir den Freiraum lassen, meine Zeit selbst zu gestalten und auch einmal 'Nein' zu sagen", sagt sie über die Wahl ihres Ehrenamts. Der Taschenkalender der Rentnerin ist trotzdem eng beschrieben, zeigt die 66-Jährige. "Der war vorher nicht so sehr gefüllt, definitiv nicht." Sie müsse lernen, sich selbst Grenzen zu setzen, wenn die ehrenamtlichen Wochenstunden ungebremst steigen.
Die Flexibilität hat aber auch eine andere Seite: Spontanes Reagieren ist gefragt. "Vor kurzem war die Waschmaschine kaputt – für sieben Leute", erzählt sie wieder von ihrem Einsatz bei Familie Asadi. Im Internet habe Cosanne ein gebrauchtes Gerät aufgetrieben und die Abholung organisiert.
Mal ist das Online-Banking gesperrt, mal kommen die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit unterschriebenen Mitgliedschaften oder unnötigen Versicherungen nach Hause. Auch das Verständnis von Pünktlichkeit musste sie mit der Familie schon einüben: "Fünf oder zehn Minuten später ist für sie noch pünktlich" – gerade bei den Schulkindern gehe das natürlich nicht.
Eine Tochter der Asadis macht mittlerweile die Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten. Für ein Pflichtpraktikum half Cosanne dabei, E-Mails zu schreiben und Bewerbungen zu verschicken. Bei anderen Jugendlichen könnten die Eltern diese Unterstützung eher übernehmen – in ihrem Fall geht das nicht, Mutter und Vater sprechen noch kaum Deutsch, die Kinder lernten seit der Ankunft schneller. Schwierig sei es auch, Ärzte zu finden – wegen der Sprachbarriere brauche es meist Dolmetscher. Hier ist Cosanne wieder mit der Übersetzungs-App zur Stelle.
Die Besuche sind bereichernd für beide Seiten
Bernadette Cosanne steht ihren Familien also wirklich in allen Lebenslagen zur Seite. Was bleibt dabei von ihrer ehrenamtlichen Arbeit für sie selbst? "Ich ziehe sehr viel daraus", sagt sie. Ein bisschen könne sie so erleben, was in anderen Kulturen wichtig ist. Bei ihren Besuchen werde sie immer hereingebeten, zum Tee oder zum Essen. "Wir lachen auch viel miteinander", sagt die 66-Jährige. In der Stadt freue sie sich, wenn die betreuten Familien sie grüßen. Und es sei eine Bereicherung, dass sie sich nun auf anderen Sprachen verständigen kann.
Im Bekanntenkreis seien ihr auch schon kritische Stimmen zu ihrem Engagement begegnet. "Wenn ich im Vorfeld weiß, dass sie grundsätzlich gegen die Aufnahme von Geflüchteten sind, versuche ich das Thema ein bisschen rauszunehmen, weil ich mich da zu sehr aufreiben würde", sagt sie. Cosanne befürchtet eine Kluft in der zukünftigen Gesellschaft, in der auch ihre Kinder und Enkel leben werden.
Deshalb möchte sie den Geflüchteten das Leben in Deutschland näherbringen. "Wenn man sich heute nicht darum kümmert, sehen wir das Ergebnis in zehn Jahren", glaubt sie. Sie wirbt daher stark dafür, dass sich weitere Alltagshelfer und Alltagshelferinnen finden: "Ich würde es jedem empfehlen. Dieser Satz kommt bei mir eigentlich immer."