Es ist kurz nach 20 Uhr. 16 Männer und eine Frau laufen beim Aufwärmspiel in der Sporthalle in Thüngersheim auf und ab. Der 27-jährige Firat lässt zwei Gegenspieler stehen, setzt zum Sprungwurf an und wirft mit dem Handball einen Medizinball vom rechten Pfosten des gegnerischen Tores – Punkt für seine Mannschaft. Ein kurzer Jubel, dann dreht Firat um, rennt quer durch die Halle und bringt sich wieder in Abwehrposition.
Firat ist Kurde und lebt derzeit in der Erwin-Amman-Halle in Karlstadt. An diesem Tag sind außer ihm noch drei andere Männer und eine Frau – allesamt Geflüchtete aus der Notunterkunft – beim Handballtraining der Herren der Spielgemeinschaft Karlstadt-Thüngersheim mit dabei. Firat selbst trainiert schon zum dritten Mal mit. Beworben wurde das Training Ende Januar beim Kennenlerntreffen vom Helferkreis Karlstadt in der Heiligen Familie.
Mannschaftsinterne Kommunikation mit Händen und Füßen
Auch von Beginn an dabei ist Sait, ebenfalls Kurde und 39 Jahre alt. Er und Firat sprechen abwechselnd auf Türkisch in ihr Handy. Der Google Übersetzer verrät, dass sie froh darüber sind, im Handballteam mitspielen zu können und gerne zum Training kommen. "Im Vergleich zu anderen Ballsportarten wie Fußball ist Handball ein Sport, der in der Türkei selten gespielt wird. Wir haben den Sport hier gelernt und finden ihn sehr unterhaltsam", sagt Sait, der auch gerne Billard spielt. Firat erzählt, früher professioneller Tischtennisspieler gewesen zu sein.
Dass beide seit Kindestagen über eine gute Wurftechnik verfügen, liegt offenbar am Stellenwert von Schneeballschlachten in der Türkei. Was bei uns in Deutschland nicht mehr als ein gelegentlicher Zeitvertreib ist, scheint in Teilen der Türkei schon fast als Sport gesehen zu werden. "Im Winter, wenn es schneit, bauen wir immer Schneebälle und bewerfen uns damit", sagt Firat.
Die Kommunikation mit ihren deutschen Mannschaftskollegen funktioniert abgesehen von Übersetzungs-Apps mit Händen und Füßen. "Normalerweise kommunizieren wir visuell mit den anderen. Wir kennen ihre Sprache nicht und die meisten von uns konnten sich bisher zu keinem Deutschkurs anmelden. Also müssen wir die einzelnen Übungen sehen und nachmachen, was aber ganz gut funktioniert", erklärt Sait.
Förderprogramm kann Taxifahrten ermöglichen
In den ersten Wochen waren immer drei Geflüchtete im Training dabei. Dass heute fünf mitspielen können, ist Henrik Jöst zu verdanken. Der Abteilungsleiter spielt und trainiert normalerweise selbst mit, muss aktuell aber verletzungsbedingt aussetzen. Um die Geflüchteten im Training zu integrieren, spielt er jeden Dienstagabend den Fahrservice. Mit seinem Viersitzer holt er drei Personen pro Woche an der Erwin-Ammann-Halle, dem eigentlichen Trainingsort, ab und fährt mit ihnen zur derzeitigen Ausweichhalle nach Thüngersheim.
"Es wollen immer mehr als drei Leute mittrainieren, aber meistens kann ich nur einmal fahren. Heute fahre ich zweimal hin und her, deshalb können fünf Personen mitspielen", erklärt Jöst und guckt auf die Hallenuhr. "Ich bin aber an jemandem von der Regierung dran", meint Jöst. Abhilfe könnte nämlich ein Kooperationsprojekt schaffen, das dem Bundesprogramm "Integration durch Sport" vom Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV) untergeordnet ist.
"Sport schafft Heimat" soll die Integration von Menschen mit Fluchterfahrung in Sportvereinen durch Fördergelder unterstützen. Vereine, die einen Antrag stellen, können bis zu 2000 Euro bekommen. "Wenn wir den Zuschuss kriegen, könnten wir damit nicht nur Sportartikel, sondern auch Dolmetscher oder Taxifahrten zwischen den Hallen finanzieren", so Jöst.
Auf diese Weise könnten mehr Bewohner aus der Karlstadter Unterkunft am Training teilnehmen. "Hätten wir mehr Sitzplätze und Fahrmöglichkeiten, würden deutlich mehr mit zum Training kommen", betont Sait. Auch wenn er, Firat und all die anderen nicht wissen, wie lange sie in Karlstadt bleiben können, können sich die beiden vorstellen, auch in der laufenden Saison zu helfen. "Solange wir hier bleiben, werden wir mit der Mannschaft auch Spiele spielen", sagen sie. Vielleicht sieht man die beiden bald auch im Mannschaftsbus der Bezirksliga-Truppe nach Mellrichstadt oder Königsberg düsen.