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Marktheidenfeld
Früher Rathaus, jetzt Notunterkunft: Warum Norbert Endres Flüchtlingen in Marktheidenfeld Deutsch beibringt
Sie kommen teils ohne Bildungsabschlüsse, aber mit Dankbarkeit: Der ehemalige Bürgermeister von Triefenstein unterrichtet Flüchtlinge in der Notunterkunft Marktheidenfeld. Ein Besuch.
Unterricht in der Notunterkunft: Norbert Endres, ehemaliger Bürgermeister von Triefenstein,  unterstützt hier zwei Mal pro Woche, in dem er Deutsch unterrichtet.
Foto: Lucia Lenzen | Unterricht in der Notunterkunft: Norbert Endres, ehemaliger Bürgermeister von Triefenstein,  unterstützt hier zwei Mal pro Woche, in dem er Deutsch unterrichtet.
Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 22.05.2024 02:48 Uhr

Um kurz vor elf Uhr ist der kleine, quadratische Raum im ersten Stock der Notunterkunft Marktheidenfeld noch leer. Abgesehen von drei zusammengestellten Tischen und acht Stühlen ist er schlicht und funktional eingerichtet. Kein Bild an der Wand, kein Flipchart in der Ecke. Norbert Endres sitzt bereits mittig am Tisch, als nach und nach die Flüchtlinge reinkommen. "Nimm bitte Platz!", begrüßt er jeden einzeln und deutet auf die freien Stühle. Ein Blick auf die Uhr – die Deutschstunde beginnt.

"Ich habe einen Artikel gelesen, dass hier in der Notunterkunft Ehrenamtler gesucht werden", erzählt der ehemalige Bürgermeister von Triefenstein. Also griff er zum Handy und wählte die Nummer der Integrationslotsen am Landratsamt. "Frau Hart ist gleich hellhörig geworden, als ich erzählt habe, dass ich auch schon Deutschkurse im Kloster Triefenstein gehalten habe", erzählt er.

Zwei Mal pro Woche von Rettersheim nach Marktheidenfeld

Mittlerweile ist es Endres achte Deutschstunde in der Notunterkunft in Marktheidenfeld. Immer dienstags und donnerstags kommt der 67-Jährige für eine Stunde von Rettersheim auf den ehemaligen Krankenhausberg nach Marktheidenfeld gefahren, fragt Verbformen ab, erklärt deutsche Grammatik, kontrolliert und gibt Hausaufgaben auf.

Heute hat Endres auch einen Stapel Deutsch-Lern-Bücher dabei. Jeder Teilnehmer bekommt eines. "Kein Geld?", wird er gefragt. "Nein, kein Geld", sagt er und erntet ein vielstimmiges "Danke" seiner Schüler, die alle aus Afghanistan kommen. Bisher hat er mit Kopien gearbeitet. Die Bücher hätten den Vorteil, dass die Flüchtlinge auch eigenständig weiterarbeiten können, je nach Können und Sprachkenntnissen. Die seien sehr unterschiedlich. Vom Analphabeten bis zu Personen, die fließend Englisch sprechen, ist alles dabei. Insofern ist Endres ein wenig stolz auf das, was seine Schüler bereits nach der kurzen Zeit können.

Erste Hilfe-Sätze für die Verständigung: Norbert Endres zeigt seinen Schülern im Buch, welche Sätze am Anfang hilfreich sein können.  
Foto:   Lucia Lenzen | Erste Hilfe-Sätze für die Verständigung: Norbert Endres zeigt seinen Schülern im Buch, welche Sätze am Anfang hilfreich sein können.  

"Schlagt bitte die Seite 14 auf, wir machen den Wortstamm 'wohnen'. Der erste Satz lautet: Hans wohnt in London. Kennt ihr London? Nein?", startet er den heutigen Unterricht. "Für einen Außenstehenden sieht das vielleicht so aus, als könnten die noch nicht viel. Aber wenn man weiß, dass wir hier bei Null angefangen haben, ist das schon toll", beschreibt Endres den Fortschritt seiner Schüler. Damit alle die Arbeitsanweisungen verstehen, lässt er sie von der Übersetzungs-App auf seinem Handy in Farsi übersetzen.

"Wenn man weiß, dass wir hier bei Null angefangen haben, ist das schon toll."
Norbert Endres über den Fortschritt seiner Schüler

Warum sich Endres für das Ehrenamt entschieden hat? „Ich habe etwas zurückgeben wollen“, sagt er. „Und nicht nur Opa-Bereitschaftsdienst machen wollen“, fügt er lachend hinzu. Seit 2020 ist der ehemalige Bürgermeister im Ruhestand. Endres ist gelernter Industriekaufmann und hat vor seinem Amt als Gemeindechef in der Wirtschaft gearbeitet. „Ich bin also kein gelernter Lehrer“, betont er. Das sei aber auch für den Deutschunterricht in der Notunterkunft nicht nötig. Viel wichtiger ist der Spaß am Umgang mit Menschen, Geduld und eine gute Vermittlungsfähigkeit. „Deutsch ist echt schwierig, es gibt so viele Ausnahmen“, erzählt er.

Besonders die Aussprache ist herausfordernd, vor allem alle Wörter mit ö, ü und ä. Deshalb hat Endres seinen Schülern auch gleich zu Beginn den Satz „Kannst du bitte langsam sprechen“ ans Herz gelegt.

Im Vergleich zu einem Integrationskurs, in dem die Flüchtlinge jeden Tag mehrere Stunden lernen, sind die zwei Stunden Deutsch in der Woche nicht viel. Dennoch sind die Teilnehmer froh über das Angebot und darüber, eine Stunde lang etwas anderes erleben zu dürfen. Und sie würden gerne mehr machen. „Ich lerne die Sprache, habe aber keine deutschen Freunde, mit denen ich reden kann“, lässt einer der Kurs-Teilnehmer mit der Handy-App auf Deutsch übersetzen.

Praktische Hilfe: Per Übersetzungs-App  können sich Schüler und Lehrer austauschen, ohne die Sprache bereits zu beherrschen. 
Foto: Lucia Lenzen | Praktische Hilfe: Per Übersetzungs-App  können sich Schüler und Lehrer austauschen, ohne die Sprache bereits zu beherrschen. 

In Lohr gibt es bereits ein Sprach-Café, das von dem dortigen Helferkreis angeboten wird, erläutert Laura Senger vom Landratsamt Main-Spessart, die zuständig für alle ehrenamtlich Engagierten im Landkreis ist. Rund 500 Menschen sind bei ihr als aktive Unterstützer im Flüchtlingsbereich gemeldet. Allerdings sei die Fluktuation und die Dunkelziffer hoch, erläutert sie. „Nicht jeder definiere das, was er tut als Ehrenamt.“

Aktuell am meisten Bedarf an ehrenamtlichen Helfern für die Flüchtlinge bestehe im Sinngrund und in Marktheidenfeld. Warum es derzeit so hakt? „Soforthilfe leisten die Menschen noch gerne, aber langfristig jemanden zu gewinnen, das ist schon schwieriger“, so Senger. Dabei seien Deutschkurse, wie der von Norbert Endres, vor allem für all die, die noch nicht im System seien, eine super Vorbereitung auf die Sprache, aber auch auf Themen wie Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit.

„Bis zur nächsten Stunde konjugiert ihr bitte die Verben ‚warten und treffen‘ durch“, diktiert Endres die Hausaufgaben. Denn es ist mittlerweile kurz vor zwölf Uhr. „Und nicht vergessen: Das Buch wieder mitbringen! Sonst: Fünf Euro an mich“, sagt er lachend und ergänzt vorsichtshalber: „Spässle!“

Wer Interesse an einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Landkreis Main-Spessart hat, kann sich bei den  Integrationslotsen des Landratsamtes unter der Email integrationslotsen@lramsp.de oder telefonisch unter 09353-7931147 melden. 

 
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