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Aura im Sinngrund
Sozialstation Aura im Sinngrund steigt aus der Pflege aus: Die Gründe für das Aus und die kurze Kündigungsfrist
Oliver Wind, Gesellschafter der Sozialstation Aura, erklärt, warum er keine ambulante Pflege mehr anbietet. Hätte er das Aus nicht schon früher ankündigen können?
Fahrzeuge der Sozialstation Aura im Sinngrund: Sie stellt zum 28. Februar die Versorgung von rund 65 Patientinnen und Patienten ein.
Foto: Hans Keßler | Fahrzeuge der Sozialstation Aura im Sinngrund: Sie stellt zum 28. Februar die Versorgung von rund 65 Patientinnen und Patienten ein.
Anna Kirschner
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:27 Uhr

Es war ein Schock für die etwa 65 Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen im Sinngrund: Vergangene Woche kündigte die Sozialstation Aura die Versorgungsverträge zum 28. Februar, also binnen vier Wochen. Vom ersten März an bietet die Sozialstation nur noch hauswirtschaftliche Dienstleistungen an. 

Die Nachricht kam zwar überraschend, aber auch nicht aus dem Nichts, schließlich sind die Probleme in der Pflege bekannt. Seit dem 1. September 2022 gilt die Tarifpflicht auch für ambulante Pflegedienstleister, was die Personalkosten stark steigen ließ. Das und die allgemeinen Kostensteigerungen unter anderem durch die Inflation nennt Oliver Wind, Gesellschafter der Sozialstation Aura, als Hauptgrund für die Aufgabe der Pflegetätigkeit. Denn zugleich seien die Erlöse nicht größer geworden.

"Gute Bezahlung der Pflegekräfte überaus wichtig"

"Ich kritisiere nicht die Tarifpflicht, da eine gute Bezahlung der Pflegekräfte überaus wichtig ist", stellt Wind klar. "Allerdings kann es nicht sein, dass dann die Pflegeanbieter nicht die hierfür erforderliche Vergütung erhalten." Denn die Beträge, die Pflegedienste mit den Pflege- und Krankenkassen abrechnen können, sind nur geringfügig gestiegen. Währenddessen hätten sich seine Personalkosten seit dem 1. September um etwa 20 Prozent gegenüber den Vormonaten erhöht, sagt Wind.

Noch im Mai sei der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), dem die Sozialstation Aura angehört, davon ausgegangen, dass verhandelt und die Gebührenordnung durch kräftige Betragssteigerungen angepasst wird. Mit Geltung ab 1. Januar wurde auch verhandelt. "Zu unserem großen Entsetzen kamen vier Prozent heraus", sagt Wind.

Zum 1. Juli soll es zwar weitere Erhöhungen geben, doch auch das würde nicht reichen: Der Sozialstation, die seit dem 1. September Löhne nach dem TVöD gezahlt habe, stünde eine weitere Erhöhung der Personalkosten ins Haus. Es laufen Tarifverhandlungen. "Wenn ich das hochrechne, bin ich nochmal bei einer Erhöhung um 15 bis 20 Prozent, die voraussichtlich ab April zu zahlen wäre." Selbst wenn es ab Juli ausreichende Beträge geben würde: Entsprechende Erstattungen kämen erst Ende August an.

Viel höhere Personalkosten

So wären für die Sozialstation also bis zu 40 Prozent höhere Personalkosten, aber nur vier Prozent höhere Erlöse zu verbuchen. "Wenn wir weitermachen würden, dann hätte es dazu geführt, dass wir sehr schnell in die Insolvenz kommen. Dann wäre kein geplanter Abbruch möglich gewesen", schließt Wind daraus. So habe man den Patientinnen und Patienten wenigstens noch mit vierwöchiger statt der im Vertrag festgehaltenen 14-tägigen Frist kündigen können.

Als Nebengründe für das Ende des Pflegedienstes in Aura nennt Wind, wie viele andere Pflegedienstleister, die überbordende Bürokratie und gerade im Sinngrund die weiten Fahrtstrecken. Auch würden viele Angehörige bereits bei kleineren Erhöhungen der Gebühren auf Leistungen verzichten, um zu sparen. Die anstehende Digitalisierung der Abrechnungsvorgänge sei ebenfalls ein Problem: "Da hätten wir in die EDV massiv investieren müssen."

Die genannten Gründe sind keine neuen Probleme. Hätte die Sozialstation Aura also nicht früher ankündigen können, dass sie ihren Betrieb einstellt? Wind erklärt, warum das aus seiner Sicht nicht möglich war: Hätte man die Verträge früher gekündigt, "hätten wir noch Verträge gehabt, aber keine Mitarbeiter zur Versorgung".

Massives Abwerben der Mitarbeitenden

Aktuell würden diese "massiv" aus allen Himmelsrichtungen umworben. Rund 15 andere Pflegeanbieter hätten ihn kontaktiert, sogar um Verteilung von Flyern an die Mitarbeitenden gebeten, erzählt Wind. Wie vielen er genau kündigen musste, möchte er nicht sagen. Die Umwerbung der Mitarbeitenden würde aber zeigen, in welcher Situation sich die Pflege befindet. Und sie war der Grund, "warum wir nicht früher etwas gesagt haben. Das funktioniert ja nicht, oder wir wären in die Insolvenz reingerutscht. Dann hat man gar nichts mehr in der Hand."

Erst Mitte Dezember sei klar gewesen, dass es keine kräftige Erhöhung der Erlöse ab Januar geben wird, sagt Wind. "Wir haben eineinhalb Monate danach bereits reagiert." Hauptverantwortlich für die aktuelle Krise der Pflege sei die Politik: "Man kann nicht auf der einen Seite sagen, wir erhöhen per Gesetz die Kosten, und sich auf der anderen Seite rausziehen."

 
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  • Es wurde die ganze Zeit ja eine EDV genutzt u dann heißt es man müsse in die EDV investieren!? Die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erfassung u Abrechnung benötigen etwa keine EDV!? Ja u Anschaffungen wie EDV können abgeschrieben werden.
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  • Warum nicht auch mal v den jahrelangen Gewinnen etwas an die Mitarbeiter weitergeben? Stattdessen wird die Pflege der Sozialstation Aura dort geschlossen, aber dafür wollen Losert u Wind hauswirtschaftliche Tätigkeiten anbieten. Das widerspricht sich für mich. Seine Familie ist ja in der Pflege im Gesundheitszentrum
    abgesichert. Andere Existenzen stehen stattdessen auf dem Spiel, aber das Interesse fehlte Wind schon im Gesundheitszentrum, indem Menschen gekündigt wurden.
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  • jhuller@gmx.de
    Der Fehler liegt im System. Wenn aufgrund der abrechenbaren Kostensätze solche Betriebe nur rentabel zu betreiben sind, wenn die Mitarbeiter einen Sklavenlohn erhalten, ist das wahrlich kein Ruhmesblatt für unser früher mal hochgelobtes Sozialsystem.

    Trotzdem fragt man sich, wo trotz ständig steigender Beiträge und immer höherer Zuzahlungen bei immer weiter sinkenden Leistungen das ganze Geld hinkommt. Bei den Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegewesen kommt es offensichtlich nicht an. Irgendjemand muss sich hier gewaltig die Taschen voll stopfen. Anders ist das nicht zu erklären.

    Hier gibt es offensichtlich einen gewaltigen Sumpf trockenzulegen. Nur traut sich wohl keiner ran. Wer im Mist anfängt zu wühlen, braucht sich nicht wundern, wenn es anfängt zu stinken. Daher will das wohl keiner der Verantwortlichen so genau wissen. Oder man steckt selbst mit drin...
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  • waldwichtel
    es muss endlich wieder die Vermögenssteuer in Kraft treten. Denn auch die üppigen Dividendenzahlungen der Konzerne werden durch den normalen Arbeiter erwirtschaftet. Und solange Menschen, die 45 Jahre Vollzeit gearbeitet haben trotzdem noch Ihre Rente auf Hartz-4 aufgestockt bekommen, müssen Reiche und Superreiche etwas abdrücken.
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  • office@reichelt-schoelch.de
    @Waldwichtel: da steckte aber wohl kein Konzern drin. Die sind m.w. eher bei den stationären Betrieben. Ich denke auch, das ist die Folge von ausgeuferten Prozessen, zuviel Bürokratie, die, wie man oft am Ergebnis von vernachlässigten Menschen sieht, nichts bringt usw. - wahrscheinlich klingt das kontraproduktiv, doch das Thema und die Vorgaben gehört in die Hand von Profis. Ich habe solche Dokumentationen schon gesehen, nur bedingt zielführend (Ziel wäre die optimale Pflege zu einem angemessenen Preis mit gerechter Honorierung für alle, auch für die Eigentümer, die auch das Kapitalrisiko tragen müssen! ! Natürlich muss Dokumentation sein, aber manche Forderung scheint mehr der Daseinsberechtigung der kontrollierenden Organe zu dienen.
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  • minervaodilia
    Relativ einfach warum man als Arbeitnehmer relativ wenig Leistungen hat. Wenn ich sehe das ich und der Arbeitgeber 8000€ im Jahr an die Krankenkasse zahlt und man trotzdem alles selber bezahlen soll und nur in 3 Minuten wie am Fließband beim Arzt abgefertigt wird ist das nur noch ein Witz. Vermutlich muss man die 2-3 Millionen Flüchtlinge finanzieren+Arbeitslose bekommen ja auch die Krankenasse bezahlt. Wir brauchen endliche eine vernünftige Einwanderungspolitik unserere Sozialysteme brechen auseinander und für Arbeiter lohnt es sich kaum noch zu arbeiten.
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  • hartwig.schweinfurt@arcor.de
    Da dürften aber kein Beitragszahler jammern wenn die Beiträge zur Pflegeversicherung massiv steigen wenn die Bezahlung der Pflegekräfte steigen soll
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  • aendres
    Traurig
    Vorallem kann man sich auch vorstellen, was die Pflegekräfte vor September 2023 für ihre sicher gute und menschliche Arbeit gezahlt bekommen haben. Traurig, dass menschliche Pflege bei uns so wenig Wert hat.
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