Noch klingelt die Glocke, die in der Parfümerie Keller-May einen neuen Kunden ankündigt. Es ist ein älterer Herr, der Hilfe mit einem Fotofilm benötigt. Für Michael Keller-May gehört er zu einer "aussterbenden Generation". Nur noch wenige Menschen kämen in den Laden, um einen Film entwickeln zu lassen. Früher, in den Glanzzeiten der analogen Fotografie, habe er die Filme palettenweise bekommen. "Heute überlegen wir bei zehn übriggebliebenen Fotofilmen, ob wir die noch verkaufen, bevor sie verfallen", ergänzt seine Frau Erika Keller-May.
Das Ehepaar führt seit über 35 Jahren die Parfümerie in der alten Bahnhofstraße in Karlstadt. Eine Zeit, in der sie viele Entwicklungen hautnah miterlebt haben – unter anderem auch, wie das Internet den Einzelhandel mehr und mehr verdrängte. Doch das ist nicht der Grund, wieso die Filiale zum Jahresende schließen wird: Wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen haben die Inhaber keinen Nachfolger gefunden. "Wir sind beide im Rentenalter und unsere Söhne haben sich anderes orientiert", erklären die beiden. "Sie stehen alle auf eigenen Füßen, haben gute Jobs – und wir wollen auch noch eine gute Zeit haben."
Ein Zwischenfall mit einer Kaffeebohne
Trotzdem ist es ein Schritt, der ihnen nicht leichtfällt. Die Parfümerie hätte nächstes Jahr immerhin ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert. Es ist auch "das berufliche Lebenswerk, das wir uns aufgebaut haben", sagt Erika Keller-May, die zunächst an der Uniklinik in Würzburg gearbeitet hat, dann die Kosmetikschule besuchte und 1986 mit ins Geschäft eingestiegen ist. Sie blicke dem letzten Tag mit einem "lachenden und einem weinenden Auge" entgegen, denn "wenn man etwas gerne macht, sich dann aber doch zu diesem Schritt entschließt, dann fällt es schon ein bisschen schwer".
Vor allem den täglichen Kundenkontakt werden die Inhaber vermissen. Sie hätten dabei nicht nur Freundschaften geschlossen, sondern auch den ein oder anderen kuriosen Moment erlebt. An einen lustigen Vorfall, der sich erst kürzlich ereignete, kann sich Erika Keller-May noch gut erinnern: "Um den Geruch der Düfte zu neutralisieren, lassen wir die Kunden an Kaffee riechen. Ich habe dem Kunden den Kaffee dann hingehalten und er war nicht gemahlen, sondern nur in Bohnenform – und der hat ihn gegessen." Das sei natürlich nicht schlimm gewesen, hätte aber für einige Lacher im Laden gesorgt.
Daneben habe es öfter Probleme bei der Aussprache von Parfümnamen gegeben. "Da haben wir schon mal gesagt, 'wir haben den Duft nicht', bis wir dann festgestellt haben, wir haben ihn doch." Geholfen hätten dann Handyfotos. Auch die beiden Fachleute gestehen, dass sie mit den Namen manchmal ihre Schwierigkeiten hatten.
Vom Farbengeschäft zur Foto-Parfümerie in Karlstadt
Eröffnet wurde die Parfümerie 1923 von Jakob Keller. Zu dieser Zeit war es noch "ein Farbengeschäft, da wurden Farben gemischt und per Hand hergestellt", erklärt sein Enkelsohn. "Als mein Vater dann das Geschäft übernommen hat, sind Drogerieartikel, Parfüm und Kosmetik hinzugekommen. Die Produkte hat er teilweise noch persönlich in Frankreich abgeholt." Michael Keller-May folgte seinem Vater als Inhaber und erweiterte das Sortiment noch um eine Fotoabteilung.
Fotografie, das sei immer eine persönliche Leidenschaft gewesen, sagt der gelernte Drogist, der gemeinsam mit seiner Frau kurz nach der Geschäftsübernahme 1986 eine Filiale in Gemünden und 2005 eine weitere in Arnstein eröffnete. Geblieben ist jedoch nur die Filiale in Karlstadt. Wie es in den Räumlichkeiten weitergeht, ist noch offen. "Das Haus ist unser Eigentum. Wir haben keinen Druck und lassen es auf uns zukommen", sagt das Ehepaar.
Der Ausverkauf im Geschäft beginnt am 20. November. Die Inhaber bitten darum, Gutscheine und Kundenkarten bis 17. Dezember einzulösen.