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Rieneck
Rieneck wächst über sich hinaus: Mit 500 Jahre Fasenacht ist der Kleinstadt ein bemerkenswertes Spektakel gelungen
Wie viele tausend Besucher den 2000 Maskierten beim großen Umzug gegenüberstanden, ist noch nicht klar. Doch wer da war, war voll des Lobes für eine Feier des Brauchtums und der Kreativität.
'Leithammel' Andreas Czerny führte und 2000 Närrinnen und Narren folgten ihm auf dem großen Jubiläumszug durch den Rienecker Altort.
Foto: Simon Hörnig | "Leithammel" Andreas Czerny führte und 2000 Närrinnen und Narren folgten ihm auf dem großen Jubiläumszug durch den Rienecker Altort.
Simon Hörnig
 |  aktualisiert: 07.03.2025 02:38 Uhr

Stoischen Schrittes marschiert Andreas Czerny pünktlich um 14 Uhr die Rienecker Obertorstraße herab. Auf der Brust seines Überwurfs prangt das Rienecker Stadtwappen. Hinter ihm erschallen die dramatischen Fanfarenklänge der "Fränkischen Herolde" aus Dertingen, während sich rechts und links die kunterbunte Schar der Zugteilnehmer teilt, um dem Mann Platz zu machen, der sie alle erst in die kleine Stadt im Sinngrund geführt hat.

Eine Szene, wie sie sinnbildlicher nicht stehen könnte für die Feierlichkeiten zu 500 Jahre Fasenacht in Rieneck. 2020 hatte Czerny begonnen, die Großveranstaltung vorzubereiten, im vergangenen Jahr war er quasi rund um die Uhr damit beschäftigt. Nun führte der Vordenker und Vorarbeiter des Mammutprojekts den aus 66 Fußgruppen und insgesamt 2000 Menschen bestehenden Jubiläumszug durch den Rienecker Ortskern. Vorbei an feiernden Massen, die sich gar nicht sattsehen konnten an der Vielfalt an traditionsreichen, kunstvollen und kreativen Kostümen.

Motivgruppen glänzten mit kreativen Kostümideen

Das letzte Attribut galt besonders für die 14 Motivgruppen am Kopf des Zuges, die den Narrenzug im Historienroman "Mangold von Eberstein" nachstellten – dem eigentlichen Ursprung der Idee einer 500-jährigen Fasenachtstradition in Rieneck. Auf historische Genauigkeit nahmen die Einzelgruppen bei der Gestaltung ihrer farbenfrohen Kostüme dabei ähnlich wenig Rücksicht wie der Autor der Buchvorlage. Diese künstlerische Freiheit führte dazu, dass kaum eine der aus dem Sinngrund und Gemünden stammenden Gruppen der anderen glich und den Zuschauerinnen und Zuschauern damit maximale Abwechslung geboten wurde.

Die Motivgruppe 'Wassergeister und Wassernixen' leiteten allem Anschein nach Poseidon und Amphitrite an Rienecks historischem Zentrum vorbei.
Foto: Josef Lamber | Die Motivgruppe "Wassergeister und Wassernixen" leiteten allem Anschein nach Poseidon und Amphitrite an Rienecks historischem Zentrum vorbei.

In das Jahr 1521 ließen sich am ehesten noch Anna Stolz als Gräfin Margarete und Bernd Rützel als Graf Philipp III. von Rieneck verorten. Nachdem die Kultusministerin bei der Proklamation des Grafenpaars im Januar aus terminlichen Gründen noch hatte passen müssen, erfreute sich die Freie-Wähler-Politikerin nun sichtlich an ihrer Rolle.

Dass sich die Arnsteinerin bereits auf dem Rückweg des Zuges von der Veranstaltung verabschieden musste und Rützel einmal mehr eine "Ersatzgräfin" zur Seite sprang, sei erstaunlicherweise kaum jemandem aufgefallen, amüsierte sich der SPD-Bundestagsabgeordnete nach dem Zug. Auch der gebürtige Rienecker ging voll in seiner Rolle auf und schob die Frage, ob sein Arbeitsvertrag als Abgeordneter verlängert wird, einen Tag beiseite.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und gebürtige Rienecker Bernd Rützel (Mitte) und Kultusministerin Anna Stolz schlüpften für den Umzug in die Rollen von Graf und Gräfin von Rieneck.
Foto: Josef Lamber | Der SPD-Bundestagsabgeordnete und gebürtige Rienecker Bernd Rützel (Mitte) und Kultusministerin Anna Stolz schlüpften für den Umzug in die Rollen von Graf und Gräfin von Rieneck.

Im Gefolge des Grafenpaares fand sich im Kostüm des Erzbischofs von Mainz auch Rienecks Bürgermeister Sven Nickel mit seiner Familie. Der zeigte sich am Ende der Veranstaltung erleichtert, dass alles ohne große Zwischenfälle vonstattengegangen sei und freute sich, "einen friedlichen, einen schönen und einen hochwertigen Fasenachtszug" erlebt zu haben.

Brauchtumsgruppen fanden besonderen Anklang

Diesen Eindruck bestätigten auch Besucherinnen und Besucher: Etwa die 17-jährige Eibelstädterin, die betonte, wie viel Mühe sich alle Beteiligten offensichtlich gemacht hätten. Eine Gruppe aus Weyersfeld und Weickersgrüben lobte begeistert die Vielfalt der unterschiedlichen Kostüme und die durchweg handgemachte Musik im Rahmen des Umzugs.

Die große Gruppe von 'Rienecker Überzügen' bahnt sich ihren Weg durch die Menschenmassen.
Foto: Josef Lamber | Die große Gruppe von "Rienecker Überzügen" bahnt sich ihren Weg durch die Menschenmassen.

Sie nannten damit zwei Punkte, auf die Andreas Czerny bei der Planung des Spektakels besonderen Wert gelegt hatte. Während Brauchtumsgruppen bei herkömmlichen Faschingszügen oftmals eine untergeordnete Rolle spielen, stellten die traditionellen Maskenträger und -trägerinnen mit 38 mehr als die Hälfte aller Gruppen. Angeführt wurden sie von den blau- und rotweiß karierten Rienecker Überzügen. Ein althergebrachter Brauch, dem anlässlich der Planungen für das Jubiläumsfest zu neuer Blüte verholfen worden war.

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Eindruck machten – gerade bei den jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauern – furchterregende Dämonenfratzen im Stile der Krampus-Figur, wie bei Orbis Nostri aus Greding oder die Wintersteingeister aus Ober-Mörle in Hessen. Staunen erregten die weit übermannshohen "Schebberer" der Mitteleschenbacher Woldschebberer – 35 Kilogramm schwere Holzköpfe mit riesigen Tiermäulern – und die massigen Zellinger Strohbären aus Main-Spessart.

Eine Wiederholung des Events wird nicht ausgeschlossen

Aus dem Landkreis stammte auch der überwiegende Teil der zahlreichen Kapellen, die den Zug ausschließlich mit der besagten "handgemachten" Musik begleiteten. Zu der schwangen Traditionsgruppen wie die Herbsteiner aus Mittelhessen oder die Thaurer Muller aus Tirol auch ausgiebig ihr Tanzbein.

Thomas Feistenauer von den Mullern erklärte im Anschluss, dass der Auftritt außerhalb ihrer Heimat eine Ausnahme darstellte und sie bei einem Zug, der kein wesentliches Augenmerk auf das Brauchtum legt, niemals zugesagt hätten. Die Gastfreundschaft der Rienecker lobte der Österreicher, wie auch sein Brauchtumskollege aus Slowenien, ausdrücklich.

Am Abend erwartete die verbliebenen Gäste auf dem vollen Festplatz noch eine kurze Lichtershow.
Foto: Josef Lamber | Am Abend erwartete die verbliebenen Gäste auf dem vollen Festplatz noch eine kurze Lichtershow.

Wie viele Gäste das Jubiläumsfest am Samstag genau besucht hatten, konnten die Verantwortlichen tags darauf noch nicht sagen. Die Schätzungen variieren zwischen 5000 und 8000 Besucherinnen und Besuchern. Die erlebten einwandfrei funktionierende Abläufe in Sachen Parken, Shuttleservice, Einlass und Versorgung sowie nicht zu kaltes Wetter. Ein Polizist sprach auf Nachfrage von einer ruhigen Lage, nach dem Zug kam es zu einem einzelnen Notarzteinsatz.

Sowohl Bürgermeister Nickel als auch Czerny, der der IG Brauchtum und Kultur vorsteht, sprechen am Sonntag von durchweg positiver Resonanz. Dass sich das große Fasenachts-Fest in fünf bis zehn Jahren wiederholen könnte, wollen beide nicht ausschließen – dann aber ohne Czerny an der Spitze. Der sagt im Hinblick auf seine 70 Jahre, dass nun andere seine Rolle als "Leithammel" übernehmen dürfen.

 
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