Vier Unfälle mit Waschbären innerhalb von nur drei Stunden hat es Anfang November bei Gemünden gegeben. Die Autofahrer kamen bei den Zusammenstößen mit den nachtaktiven Kleinbären mit dem Schrecken und einem Schaden am Fahrzeug im dreistelligen Bereich davon. Für die Waschbären endete die Kollision tödlich.
Waschbären sorgen auch abseits der Straßen für Schlagzeilen, so wie der vermutlich alkoholisierte Waschbär auf dem Erfurter Weihnachtsmarkt. In Marktheidenfeld drangen über eine "Katzenklappe" mehrere Waschbären in den Keller eines Wohnhauses ein, ließen es sich am Napf des Katers schmecken und dabei nicht einmal von den eigentlichen Hausbewohnern stören.
Keiner weiß, wie viele Waschbären es mittlerweile in Deutschland gibt
Keiner kann genau sagen, wie viele Waschbären es inzwischen hierzulande gibt. Seit mehr als 80 Jahren kann sich der ursprünglich in Nordamerika beheimatete Kleinbär ausbreiten, denn natürliche Feinde muss er in den hiesigen Breiten nicht fürchten. Wie sehr Waschbären bereits verbreitet sind, lässt sich über Jagdstrecken und Verkehrsunfälle nur schätzen.
Der Deutsche Jagdverband teilte mit, Jäger hätten 2020 so viele Waschbären geschossen wie noch nie. Mehr als 200 000 seien es zwischen April 2019 und März diesen Jahres bundesweit gewesen, 22 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. In Bayern hat sich in den vergangenen zehn Jahren die Anzahl erlegter Waschbären verzehnfacht, zuletzt waren es laut Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten fast 4000.
Waschbären gibt es in Bayern vor allem in Unterfranken und dort in der Rhön und im Spessart. Im Landkreis Main-Spessart wurden im vergangenen Jahr fast 400 Waschbären geschossen. "Ob sich der Waschbär hier wohler fühlt als anderswo, lässt sich gar nicht sagen", teilt die Untere Jagdbehörde des Landratsamtes mit. Er werde "wohl sämtliche für ihn geeigneten Lebensräume besetzen". Als Kulturfolger fühle er sich in der Nähe menschlicher Siedlungen wohl.
Autounfälle mit Waschbären passieren oft in der Nähe von Gewässern
Mehr Verkehrsunfälle mit den Kleinbären stellt die Polizei fest. Ereigneten sich 2018 in Unterfranken noch 54 Unfälle mit Waschbären bei insgesamt mehr als 8500 Wildunfällen (0,6 Prozent), waren es im vergangenen Jahr schon 85 Unfälle bei rund 9000 Wildunfällen (0,9 Prozent). Im laufenden Jahr zählte die Polizei bis Mitte November 66 Unfälle mit Waschbären auf Unterfrankens Straßen.
Ein Zusammenstoß läuft dabei meist glimpflich ab: "Alle Unfälle wurden als sogenannte Kleinunfälle aufgenommen, es kam somit zu keinem Personenschaden", sagt Enrico Ball, Pressesprecher der Polizei. Geografisch gebe es zwar kein Schwerpunkt, doch befinde sich oft ein Gewässer wie der Main oder die Sinn in der Nähe. Daneben wird eine hohe Dunkelziffer vermutet, da wohl die meisten Unfälle ohne Schaden nicht gemeldet werden.
Die Probleme mit Waschbären sind Johannes Interwies, dem Vorsitzenden der Gemündener Kreisgruppe im Bayerischen Jagdverband, bekannt. "Sie fühlen sich bei uns im Landkreis wohl. Ein Mittel dagegen haben wir nicht", sagt der Jäger aus Obersinn. Waschbären begegne er, wenn sie das Getreide aus den Kirrungen – Futterstellen, um Wild anzulocken – räubern wollen. Die gefräßigen Tiere seien für ihn aber nicht das eigentliche Problem, sondern der Mensch: Er locke den Allesfresser mit seinem Verhalten an.
Waschbären können sich bis zu drei Jahre merken, wo sie gefressen haben
Jagdberater Ernst Kunesch kennt "die Burschen", wie er sagt, gut. Vor 40 Jahren habe er bei Langenprozelten aus Zufall mal einen geschossen. Sonst beobachte er die Waschbären in seinem Revier bei Gambach vor allem auf Wildkameras, die ihre nächtlichen Ausflüge filmen. "Das sind schon possierliche Tierchen. Ich bin nicht scharf darauf, einen zu schießen", sagt Kunesch. "Aber es sind Raubtiere. Wenn er zubeißt, tut das richtig weh."
Hasen, Fasane und Rebhühner gehörten zur Beute des Kleinbären. "Wir versuchen verzweifelt, diese Populationen hoch zu bringen. Aber der Waschbär frisst sie auf", sagt der Sachsenheimer Jäger. Das gleiche gelte für Singvögel und Bodenbrüter wie die im Landkreis seltene Wiesenweihe: "Wenn er die erwischt, ist's aus." Vor einigen Jahren, berichtet Kunesch, sei auf dem Gelände einer Karlstadter Firma, einem holzverarbeitenden Betrieb, ein Waschbär putzmunter aus einem Überseecontainer gesprungen. "Der lebt wahrscheinlich heute noch da draußen."
Es gebe viele Tipps, Waschbären mit für sie unangenehmen Geräuschen oder Gerüchen zu vergrämen. Daran könne er sich allerdings gewöhnen. "Das beste Mittel ist, ihn nicht zu füttern", sagt Kunesch. Wer ihn einmal gefüttert habe, werde ihn nicht mehr so schnell los. Denn ein Waschbär könne sich bis zu drei Jahre merken, wo er gut gefressen habe. Abfallbehälter wie Biotonne oder Kompost, die ihm Nahrung versprechen, sollten daher versperrt sein.
Fenster und Türen schließen, Hunde und Katzen nicht draußen füttern
Das Landratsamt rät zudem, Fenster und Türen, vor allem nachts, zu schließen. Hunde und Katzen draußen zu füttern, locke auch hungrige Waschbären an. Ebenso müsse verhindert werden, dass ein Waschbär auf das Dach klettern könne: "Er ist mit seinen Greifhänden in der Lage, Ziegel anzuheben und den Dachboden als Rückzugsort zu nutzen", so die Jagdbehörde.
"Nicht jeder wird verstehen, dass wir ausgerechnet ihn schießen müssen. Aber er richtet einen ziemlich großen Schaden an", erklärt Kunesch. Er könne sich allerdings nicht vorstellen, dass ein Jäger im Spessart speziell auf die Waschbärenjagd gehe: "Das ist höchstens ein Beifang, mehr nicht." Auch das Landratsamt räumt ein, es kaum verhindern zu können, dass er sich ausbreitet. Man könne lediglich an die Jäger appellieren, ihm nachzustellen.
Viele werden das tagscheue Tier trotzdem nur sehr selten zu sehen bekommen. Außer sie sind Jäger wie Ernst Kunesch: Nachts, wenn er von Jagden im Staatsforst nach Hause gefahren sei, habe er an den Parkplätzen am Sindersbach zwischen Ruppertshütten und Langenprozelten oft bemerkt, wie die Waschbären um die Mülltonnen schlichen.
Es waren Waschbären, die selbst die letzten Löcher im Zaun entdeckten.