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GEMÜNDEN
Bitte nicht füttern! Waschbären breiten sich immer stärker aus
Ein putziges Raubtier: ein Waschbärweibchen am Schlossberg in Gemünden.
Foto: Melanie Schelbert | Ein putziges Raubtier: ein Waschbärweibchen am Schlossberg in Gemünden.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:09 Uhr

Meist bleibt die Aktivität der Waschbären unbemerkt, wenn sie herumstreifen und Obst und Schnecken fressen. Aber in Gemünden gab es massive Probleme mit den nicht sonderlich scheuen Einwanderern. Eine Zeit lang hatten besorgte Gemündener den Jäger Georg Herrbach zwei- bis dreimal in der Woche wegen Waschbären angerufen, erzählt er. Herrbach jagt seit 1992 im Revier, das am Gemündener Schlossberg beginnt und sich bis Reichenbuch erstreckt. Inzwischen schießt er auch das aus Nordamerika stammende Pelztier.

Welcher Art die Probleme mit den possierlichen Tieren sind, veranschaulicht Dieter Stockmann, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt, am Beispiel eines Waschbären, der sich in Gemünden vor den Augen von Kindern aus einer Voliere mehrere Kanarienvögel herausgegriffen hat – „gepflückt quasi“. „Die haben einen Supertastsinn in den vorderen Gliedmaßen, ähnlich wie der Mensch“, sagt Stockmann.

Jäger Herrbach berichtet von einer „Riesensauerei“, die Waschbären mitunter anrichten können. Der ehemalige Gemündener Bund-Naturschutz-Vorsitzende Jürgen Lang erzählt, dass er einmal von einer Gemündenerin gerufen wurde, bei der sich ein Waschbär ein Loch durch die Decke ins Wohnzimmer gegraben hat. Mit einem Besen konnte Lang den Eindringling vertreiben.

Gefahr für Vögel

Doch nicht nur für Ziervögel, Dächer und Inventar ist das zur Familie der Kleinbären gehörige Tier eine Gefahr. „Der Waschbär frisst zu 90 Prozent Schnecken und Kleingetier“, sagt Erich Schrötz aus Rieneck, der in zwei Revieren in Rieneck und Karsbach jagt, „aber die zehn Prozent Vogelnester, die er frisst, sind das, was ihn nicht so beliebt macht.“ Sein Fazit: „Der Waschbär gehört einfach nicht bei uns die Tierwelt.“

Doch der Kleinbär breitet sich in Deutschland immer weiter aus. Zentrum und Ursprung der deutschen Population ist die Region Kassel. Im Jagdjahr 2012/13 wurden in Deutschland erstmals mehr als 100 000 Waschbären erlegt. Keiner weiß genau, wie viele der Tiere es im Raum Gemünden gibt. Georg Herrbach hat 2013 in Gemünden acht, im vergangenen Jahr immerhin vier der ganzjährig bejagbaren Tiere erlegt. Inzwischen schlagen laut einem dpa-Artikel Naturschützer und Jäger Alarm, da der Kletterkünstler in Thüringen bis zu einem Viertel aller potenziellen Uhu-Nistplätze besetze sowie Wiesenvögel und Sumpfschildkröten gefährde. Sogar in einem Seeadlerhorst wurde er schon gesichtet.

Das Problem: In Deutschland hat der Waschbär keine natürlichen Feinde, seine Population wird lediglich durch die Jagd und den Straßenverkehr dezimiert. Der Gemündener Bund-Naturschutz-Vorsitzende Jürgen Krosta erzählt, dass er im Jahr zwei, drei überfahrene Waschbären im Sinngrund findet. Ihm ist bislang von keiner Bedrohung von heimischen Tieren bekannt. Irgendwann, glaubt er, werde sich die heimische Tierwelt ohnehin auf den Waschbären einstellen. Auch sein Amtsvorgänger Jürgen Lang glaubt nicht, dass der Waschbär eine große Gefahr für die Tiere hierzulande darstellt. Der Waschbär greife zwar Vogelnester an, sollte deshalb auch gejagt werden, aber Nesträuber gebe es auch andere und Bodenbrüter seien gut getarnt.

Waschbären fressen alles

Aber Lang rät: „Anfüttern sollte man sie nicht.“ Aggressiv seien die Tiere zwar nicht, aber ein großes Gebiss hätten sie allemal. Jäger Herrbach sagt, dass er manche Gemündener erst einmal aufklären musste, dass es keine gute Idee ist, das Futter für die Katzen auf die Terrasse zu stellen. Ansonsten fresse der Waschbär „alles, komplett alles“, so Herrbach. Für die Tiere, sagt Stadtförster Meinolf Arndt, sind die ehemaligen Streuobstwiesen am Schlossberg, dem Jagdrevier Herrbachs, „ein ideales Waschbärbiotop“. Dort finden sie Unterschlupf und Nahrung, zudem ist der Hang ein Südhang, also zur Aufzucht von Jungen recht behaglich.

Als Jäger habe er noch keine negativen Erfahrungen mit Waschbären gemacht, sagt Georg Herrbach, etwa dass bedrohte Arten gefährdet wären. In seinem Revier gebe es hauptsächlich Reh- und Schwarzwild und keine Rebhühner beispielsweise. Herrbach sieht inzwischen eine gewisse Besserung der Lage in Gemünden. Oft habe er, da die Stadt ein befriedeter Bezirk ist, wo die Jagd gar nicht zulässig sei, ohnehin nur beratend tätig werden können. Zumal er keinen Fallenschein besitze. „Ich bin froh, dass der Druck ein bisschen raus ist“, sagt er.

Beifang Waschbär

Für ihn sind Waschbären eine Art „Beifang“, erklärt der Jäger. Eigentlich streue er an Kirrungen eine Handvoll Mais für Wildschweine aus. Ab und zu kommt eben ein Waschbär an die Kirrung. Die Felle erlegter Tiere verwende er aber nicht. Sein Rienecker Jägerkollege Erich Schrötz schießt sowohl in Rieneck als auch in Karsbach Waschbären. Eigentlich darf der Einwanderer das ganze Jahr gejagt werden, aber Schrötz mache eine Ausnahme, wenn ein Tier Junge habe, er sei schließlich ein Tierfreund.

Stadtförster Arndt glaubt nicht, dass die Jagd der Ausbreitung und Population des Waschbären wirklich etwas entgegensetzen kann. „An den Waschbär müssen wir uns wohl oder übel gewöhnen müssen“, sagt er. Gewöhnen muss man sich hierzulande womöglich bald auch an ein anderes eingewandertes Raubtier: den Marderhund. Das Tier aus Ostasien sieht einem Waschbär recht ähnlich.

Wie der Waschbär Deutschland erobert

Der Waschbär (Porcyon Lotor) ist ein Raubtier, das frei lebend zwischen acht und zehn Jahre alt wird. Ursprünglich stammt der Kleinbär aus Nordamerika und breitete sich in Europa ab 1934 nach der Aussetzung von zwei Pärchen am nordhessischen Edersee aus. Deutschland hat die größte Waschbärpopulation außerhalb Nordamerikas. In sieben Jahren hat der Waschbär sein Verbreitungsgebiet deutschlandweit nahezu verdoppelt, die Zahl der überfahrenen und erlegten Tiere hat sich in nur zehn Jahren verdreißigfacht, hat der Deutsche Jagdverband ermittelt.

Zur Nahrung von Waschbären gehören Regenwürmer, Schnecken, Insekten, junge Vögel, aber auch pflanzliche Kost wie Samen und Früchte. Die Größe des Kleinbären liegt zwischen Katze und Fuchs. Sein ausgezeichnetes Gedächtnis hilft ihm, Futterstellen problemlos wiederzufinden. Weil Waschbären feuchte Gebiete bevorzugen, hat sich im deutschsprachigen Raum der Name „Waschbär“ durchgesetzt.

 
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