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Würzburg/Arnstein
Schießen oder schonen? Streit um Unterfrankens Rehbestand
Es wird trockener, wegen des Klimawandels leidet der Wald. Müssen Unterfrankens Jäger deshalb mehr Rehe schießen, um den Baumbestand zu retten? Die Debatte ist kontrovers.
Ein Jäger steht während einer Treibjagd mit seinem Gewehr schussbereit am Waldrand.
Foto: Felix Kästle, dpa | Ein Jäger steht während einer Treibjagd mit seinem Gewehr schussbereit am Waldrand.
Jürgen Sterzbach
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:23 Uhr

Der Wald ist Lebensraum, Trinkwasserspeicher und Sauerstoffproduzent. Er ist wirtschaftlich gesehen Arbeitsplatz und Holzlieferant, gesellschaftlich ein Raum zur Erholung und  Freizeitgestaltung. Doch der Wald leidet. Sein Zustand hat sich durch den Klimawandel laut aktuellem Waldbericht der Bayerischen Forstverwaltung im Vergleich zum Vorjahr abermals verschlechtert. Mehr als 40 Prozent aller Bäume in bayerischen Wäldern weisen inzwischen deutliche Schäden auf. Die Zahl hat sich in den vergangenen sechs Jahren verdoppelt. Unterfranken ist besonders stark betroffen.

Mit einem umfangreichen Programm sollen in den nächsten Jahren in ganz Bayern die Wälder "umgebaut" werden: Aus empfindlichen Nadelwäldern sollen widerstandsfähige Mischwälder werden. Millionen neuer Bäumchen werden dafür gepflanzt, doch gerade deren Knospen und Triebe schmecken dem heimischen Schalenwild besonders gut. 

Gesetz fordert angepasste Schalenwildbestände für den Waldumbau

Ein Konflikt. "Wald vor Wild" heißt es deshalb im bayerischen Waldgesetz. "Angepasste Schalenwildbestände" seien notwendig, damit sich "standortgemäße Mischwälder" entwickeln können. Angepasst meint: so viel Wild zu schießen, dass weniger Triebe verbissen werden und sich der Wald verjüngen kann. Schließlich kostet das auch Geld.

Hubert Feuchter, der Bezirksvorsitzende im Bund Deutscher Forstleute, fordert: Für einen zukunftsstabilen und klimatoleranten Wald müssen mehr Rehe geschossen werden.
Foto: Thomas Obermeier | Hubert Feuchter, der Bezirksvorsitzende im Bund Deutscher Forstleute, fordert: Für einen zukunftsstabilen und klimatoleranten Wald müssen mehr Rehe geschossen werden.

Hubert Feuchter, der unterfränkische Bezirksvorsitzende im Bund Deutscher Forstleute, sagt: "Das wird richtig teuer, denn die neuen Bäume müssen bezahlt werden und wir brauchen Leute vor Ort, die sie dann auf die Fläche bringen können." Rund ein Drittel der bayerischen Wälder gehören dem Freistaat. Den Bayerischen Staatsforsten kosten die Folgen des Klimawandels nach eigenen Angaben derzeit jährlich rund 80 Millionen Euro.

Ein so hoher Aufwand soll sich lohnen. Für Feuchter und seinen Berufsverband ist ein zukunftsstabiler, klimatoleranter Wald das oberste Ziel. Alle drei Jahre gibt die Bayerische Forstverwaltung deshalb ein Gutachten heraus, zuletzt 2018. Es fasst den Zustand des Waldes sowie den durch Schalenwild verursachten Schaden zusammen und gibt eine Empfehlungen, ob weniger oder mehr Wild geschossen werden soll. 

Gutachten stellt viel Verbiss durch Rehe in Unterfranken fest

Weil in Unterfranken teilweise ein hoher Verbiss festgestellt wurde, sollen hier mehr als zwei Drittel aller Hegegemeinschaften mehr Wild schießen. Das Gutachten zeige eindeutig, dass in der Region "ein großer Nachholbedarf" bestehe, sagt Feuchter.

"Sollen wir unsere Wälder leer schießen?", fragt dagegen Michael Hein, der Vorsitzende der Würzburger Kreisgruppe im Bayerischen Jagdverband. Laut dem Gutachten müssten in seinem Kreis viel mehr Rehe erlegt werden.

Hein, der selbst Jagdpächter in Veitshöchheim ist, sagt, dass nicht jeder Wald mit den gleichen Kriterien betrachtet werden dürfe. In seinem Revier hätten in den vergangenen drei Jahren für die Verjüngungsinventur stets neue Stellen gesucht werden müssen, um den Verbiss stichprobenartig feststellen zu können. Die Leittriebe des Vorjahres seien trotz der Rehe so stark gewachsen, dass sie nicht mehr zum Vermessen taugten.

Schießen oder schonen? Streit um Unterfrankens Rehbestand

Feuchter verteidigt dieses Vorgehen. Der gesetzliche Auftrag sei, dass sich die heimischen Baumarten ohne Schutzmaßnahmen verjüngen können. Jedes Revier werde für sich betrachtet - mit seinen Eigenheiten, wie nah es zum Beispiel an einer Stadt liege oder wie Wald und Felder verteilt seien.

Rehe sind nicht schuld daran, dass es dem Wald schlecht geht

Hein sagt: "Wenn man der Forstpartie glauben will, fressen die Rehe den Wald auf." Die Tiere seien aber nicht das Problem, sondern "waldbauliche Fehler" der Vergangenheit. Die entstandenen Reinkulturen seien anfälliger für Krankheiten und Schädlinge. "Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, dürfen wir es nicht nur wirtschaftlich sehen, sondern müssen auch ökologisch nachhaltig denken: Was lässt die Natur zu? Und zur Natur gehören auch Rehe."

Michael Hein (rechts), Vorsitzender der Kreisgruppe Würzburg im Bayerischen Jagdverband, mit Ralf Kuckertz und einem Rehkitz. Er kritisiert, dass Jäger mehr Rehe schießen sollen.
Foto: Herbert Ehehalt | Michael Hein (rechts), Vorsitzender der Kreisgruppe Würzburg im Bayerischen Jagdverband, mit Ralf Kuckertz und einem Rehkitz. Er kritisiert, dass Jäger mehr Rehe schießen sollen.

Feuchter weiß, nicht das Reh ist schuld daran, dass es dem Wald schlecht geht: "Aber das hilft nicht. Wir müssen schauen, dass wir die Bäume hoch bringen. Dazu müssen wir schädliche Einflüsse von ihnen fernhalten." Viele Jäger würden die Jagd als Hobby betreiben, doch sie seien eine gesetzliche und gesellschaftliche Verpflichtung eingegangen. Für mehr Abschüsse müssten sie ihre Jagdmethoden ändern: "Mit dem vereinzelten Ansitzen am Abend wird es uns nicht gelingen, die Wildbestände anzupassen."

Jeder Wald müsse ein "waldbauliches Ziel" haben, sagt indes Jäger Michael Hein. Ist er noch Einnahmequelle oder eher Erholungsraum? "Soll ein Wald zur Erholung dienen, brauchen wir dort das Gutachten nicht mehr, denn auch ein krummer Baum spendet Schatten und produziert Sauerstoff." 

Jäger und Förster müssen reden und gemeinsame Ziele finden

Werde ein Leittrieb abgebissen, sterbe der Baum nicht ab, sagt der Kreisgruppenvorsitzende. Ein anderer Trieb übernehme das Wachstum, der Baum entwickle sich dann eben nicht mehr schnurgerade in die Höhe. Aber das sei aus wirtschaftlichen Gründen nicht gewollt, vermutet Hein. Er fordert: "Wald mit Wild!"

Waldstücke nach unterschiedlichen Zielen aufzuteilen, sei nicht sinnvoll, findet dagegen Forstmann Hubert Feuchter, der bei den Bayerischen Staatsforsten das Forstrevier Arnstein leitet. Er sagt: "Ein gut bewirtschafteter Wald kann, unterschiedlich gewichtet, alle Funktionen erfüllen." Auch die Bürger würden wohl kein Verständnis dafür haben, wenn Wälder unterschiedlich behandelt würden. Für sie sei immer der Wald vor der eigenen Haustür der wichtigste Wald.

Auch Feuchter sagt: "Wir wollen keinen Wald ohne Wild." Aber derzeit habe der Wald Vorrang. Ist er gesund, sei das für alle von Vorteil. Jägerschaft und Forstpartie dürften nicht gegeneinander arbeiten. Sie müssten miteinander reden - und gemeinsame Ziele finden.

 
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Vielleicht

    müssen wir einfach (wieder) Bären, Wölfe und all die anderen Beutegreifer bei uns einführen, um das Ökosystem zurück ins Gleichgewicht zu bringen... (Sarkasmus: off)

    O weh. Immer wenn ich wieder einen Beitrag aus dieser "Ecke" (Wildschützer vs. Waldschützer) lese, weiß ich nicht, ob ich in die Luft gehen oder mich totlachen soll. Fakt ist, homo "sapiens" hat mit seinen Vorstellungen von der Welt alles durcheinander gebracht und alle sind jetzt am Schimpfen - was aber mMn eine komplett überflüssige "Diskussion" ist, weil sowieso niemand wirklich an die Ursachen gehen mag. OK, bleiben (für alle Beteiligten) hervorragende Möglichkeiten, sich mal wieder selber ins rechte Licht zu setzen, aber dass etwas Greifbares dabei rauskommt, darf man allgemein füglich bezweifeln.
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