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Marktheidenfeld
Lärm, Treppenstufen und schmale Wege: So barrierefrei ist die Marktheidenfelder Laurenzi-Messe
Wie ist das, sich mit dem Rollstuhl über ein Volksfest zu bewegen? Nicht immer einfach, das wissen die Bewohner der Lebenshilfe-Wohngruppe. Wir haben sie auf ihrem Rundgang begleitet.
Die Kabelbrücken auf dem Festplatz stellen für Rollstuhlfahrende und ihre Begleitungen ein nur mit großer Anstrengung zu überwindendes Hindernis dar.
Foto: Lisa Köhler | Die Kabelbrücken auf dem Festplatz stellen für Rollstuhlfahrende und ihre Begleitungen ein nur mit großer Anstrengung zu überwindendes Hindernis dar.
Dorothea Fischer
 |  aktualisiert: 22.08.2024 02:42 Uhr

Sven freut sich auf die Fahrt mit dem schnellen Karussell "Magic", Andre will sich endlich mal wieder ein paar CDs kaufen und Lisa ihr Glück an der Losbude versuchen. Der jährliche Besuch der Laurenzi-Messe zur Mittagszeit gehört für eine Gruppe von Menschen mit Behinderung aus Marktheidenfeld zum Sommer dazu. Doch wie barrierefrei ist die Marktheidenfelder Messe eigentlich?

Bevor es rund geht, zieht es die 13 Bewohnerinnen und Bewohner und ihre drei Betreuerinnen der Wohngruppe der Lebenshilfe Main-Spessart in den Biergarten des Festwirts zum Mittagessen. Bis alle auf ihren Plätzen sitzen, dauert etwas. Bevor Marie ihren Elektro-Rollstuhl in den Biergarten fahren kann, muss sie ihren Sonnenschirm schließen und einklappen, um durchzukommen. Sie platziert sich am Kopfende eines Tisches. Philipps Rolli muss am Rand der Sitzreihe geparkt werden, er selbst kann auf der Bierbank sitzen.

Gelassenheit und Geduld statt Gedrängel

Noch während sich die Gruppe sortiert, quetscht sich ein älteres Ehepaar vorbei. Eine Entschuldigung der beiden bleibt aus. Sie hätten auch einen Bogen um den Stau machen können, etwa durch das Festzelt. Die Gruppe nimmt es gelassen, man ist rücksichtsvoll und geduldig miteinander. Drei Betreuerinnen braucht es mindestens, um die Gruppe beisammen zu halten. Immer wieder muss jemand auf Toilette oder hat Extrawünsche, was das Essen angeht.

In den Gängen zwischen den Sitzreihen im Biergarten der Laurenzi-Messe geht es mitunter eng zu.
Foto: Lisa Köhler | In den Gängen zwischen den Sitzreihen im Biergarten der Laurenzi-Messe geht es mitunter eng zu.

Eng geht es nicht nur in den Gängen des Biergartens, sondern auch auf den Sitzplätzen zu: Die Laurenzi-Besucher sitzen Rücken an Rücken. Viel ist zum Glück nicht los. Bis jeder weiß, was er essen und trinken möchte, und die Bestellung beim Kellner aufgegeben ist, vergeht eine Weile.

Marie: Alleine ist es auf der Laurenzi-Messe langweilig

Nach dem Essen steht der Besuch auf dem Laurenzi-Markt an. Marie besucht gerne die Verkaufsstände – aber nie alleine. "Alleine ist es auf der Messe langweilig", sagt sie. In diesem Jahr war sie dort schon mit ihrem Freund und der besten Freundin. Weil die auch im Rolli sitzt, und es zwischen den Ständen eng zugeht, können die beiden nicht nebeneinander, sondern nur hintereinanderfahren. "Schade, dass wir uns nicht unterhalten können", so Marie. Nichtmal Händchenhalten ist möglich, ergänzt Maries Freund Torben.

Marie ist auf den Elektro-Rollstuhl angewiesen. Sie besucht gerne die Verkaufsstände der Laurenzi-Messe, aber nur in Begleitung, zum Beispiel ihres Freundes Torben.
Foto: Lisa Köhler | Marie ist auf den Elektro-Rollstuhl angewiesen. Sie besucht gerne die Verkaufsstände der Laurenzi-Messe, aber nur in Begleitung, zum Beispiel ihres Freundes Torben.

Sie kennt das schon: Die Menschen schauen an den Ständen nach rechts und nach links, aber selten auf den Weg vor sich. Dann bleiben sie abrupt stehen, um Angebote zu studieren, einen Schluck zu trinken oder sich mit Bekannten zu unterhalten. Die Imbissmeile ist für Marie mit ihrem Elektro-Rolli eine große Herausforderung und erfordert höchste Konzentration. Der Fußweg fällt zum Main hin ab. "Ich fürchte, ich kippe zur Seite weg, wenn ich stehen bleibe", sagt sie.

Ohne Hilfe geht es nicht

Am Flammkuchen-Stand stellt sie fest: Die Theke hat eine passable Höhe, die Tafeln, auf denen die Preise stehen, sind so angebracht, dass auch sie sie lesen kann. Wie kommt sie an ihren Geldbeutel, der an den Griffen hinter ihr hängt? Sie benötigt Hilfe – entweder von ihrer Begleitung, der Frau hinter der Theke oder einem anderen Kunden. Dass sie fremden Menschen vertrauen muss, kennt Marie schon vom Einkaufen im Supermarkt oder beim Metzger.

Zu den Fahrgeschäften auf dem Festplatz zieht es Marie in diesem Jahr nicht. "Ich kann sowieso nichts fahren", sagt sie. Überall gibt es Treppen, da müsste sie jemand hochheben. Als ein Kellner im Festzelt ihr spontan anbietet, dass er mit ihr Kettenkarussell fahren würde, empfindet sie das als übergriffig. "Ich kenne den Mann doch gar nicht." Unangenehm ist ihr auch, dass er sie sofort duzt. Das passiere ihr im Alltag häufig, so die 25-Jährige.

Alleine mit Rollstuhl im Riesenrad

Im vergangenen Jahr hat sie eine Fahrt mit dem Riesenrad unternommen, das hatte eine speziell ausgebaute Kabine für Rollstühle. Einziges Manko: Weil Maries Elektro-Rolli relativ groß ist, passte niemand auf den Sitzplatz, der für eine Begleitung gedacht ist. Sie musste die Fahrt mit weitem Blick über die Stadt alleine unternehmen. "So alleine war mir schon etwas mulmig zumute." Riesenrad würden alle aus der Gruppe gerne fahren. "Schade, dass es das nicht jedes Jahr gibt", sagt Erzieherin Katharina Wollbeck, die die Gruppe begleitet.

Wenn der Schotter auf dem Festplatz zu grob ist, bleiben die Räder des Rollstuhls mitunter stecken. 
Foto: Lisa Köhler | Wenn der Schotter auf dem Festplatz zu grob ist, bleiben die Räder des Rollstuhls mitunter stecken. 

Beim Spaziergang über den Rummelplatz bleiben die Räder der Rollis immer wieder dort stecken, wo der Schotter grob ist. Und es kostet die Betreuerinnen viel Kraft, die Rollis über die auf dem Platz verlegten Kabelbrücken zu schieben. Manches Mal schafft es eine alleine gar nicht.

Wunsch nach einem reizarmen Nachmittag

Der Festplatz zieht Marie nicht an, weil ihr die Musik zu laut sei, sagt sie. Manche ihrer Mitbewohnenden halten sich immer wieder die Ohren zu. Wollbeck wünscht sich auch für die Laurenzi-Messe einen reizarmen Nachmittag, wie es ihn in diesem Jahr zum ersten Mal auf dem Kiliani-Volksfest in Würzburg gab. Attraktionen und Fahrgeschäfte verzichteten auf Nebel, Lichteffekte und laute Musik oder Durchsagen und im Festzelt wurde in dieser Zeit handgemachte Musik ohne Verstärker gespielt.

Sven scheint der Lärm nichts auszumachen. Er freut sich auf die Fahrt im Rundfahrgeschäft "Magic" seit er weiß, dass der Besuch auf Laurenzi ansteht. Doch die Enttäuschung bei ihm ist groß, als die Gruppe gegen 13.45 Uhr an den Fahrgeschäften ankommt. Dort ist noch alles dunkel und leise. Es hat noch geschlossen. Eine gute halbe Stunde später kommt die Gruppe zurück, mittlerweile hat das Fahrgeschäft geöffnet. Sven hat sichtlich Spaß, während er mit Heilerziehungspflegerin Lisa Siebert Runde um Runde dreht.

Trotz aller Barrieren und Reize besucht die Wohngruppe jedes Jahr mindestens einmal die Laurenzi-Messe. "Die Gruppe empfindet diese Barrieren als gar nicht so störend", so Wollbeck. "Sie kennen es nicht anders." Doch ein anderes Problem zeichnet sich ab: Die Lebenshilfe Main-Spessart benötigt mehr ehrenamtliche Helfer, die zum Beispiel die Wohngruppe auf Ausflügen wie den zur Laurenzi-Messe begleiten.

 
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