Vor zwei Jahren gingen Jamie Paul Scanlon und seine jetzige Frau Stefanie (damals noch Höfling) ans Werk: Fotorealistisch sprühte das Paar mit Hilfe von eigens angefertigten Schablonen das Lohrer Schneewittchen an die betongrauen Mauern am Ufer des Kaibachs. Das Schneewittchen mit schwarzem Haar, blauer Weste und gelbem Rock reicht einem ihrer sieben Zwerge an diesem neu gestalteten, beschaulichen Platz einen Apfel aus ihrem Korb. Ein zweiter grillt am offenen Feuer einen Fisch, den die Zwerge drei und vier geangelt haben. Jenseits der Brücke schleppen die restlichen drei Zwerge ein Boot in ihre Richtung. Dazwischen streunt noch eine getigerte Katze am anderen Ufer entlang.
Viel Aufmerksamkeit und großes Lob ernteten die beiden für diese Street-Art-Aktion, die Katja Bundschuh als Vorsitzende des Lohrer Arbeitskreises Schneewittchen initiiert hatte. Als Graffiti-Sprayer hatte sich Jamie Paul Sclanlon - alias JPS - schon einen Ruf erworben, der über die Grenzen seiner britischen Heimatstadt Weston-super-Mare hinausging. Mittlerweile hat er auch im Raum Lohr reichlich Spuren hinterlassen - vor allem in seiner neuen Wahlheimat Steinfeld.
Doch Lohr ist nicht Weston-super-Mare und gleich gar nicht die 35 Kilometer entfernte Großstadt Bristol: Einerseits geht es in der Kleinstadt am Rande des Spessarts zwar vergleichsweise sittsam zu - zumindest aus Sicht des ehemaligen Drogenabhängigen, der von sich sagt, dass ihm die Leidenschaft des Graffiti-Sprühens das Leben gerettet hat. "In Weston werden Dir an jeder dritten Straßenecke Drogen angeboten", beschreibt der 42-Jährige die dortigen Zustände. Doch andrerseits werden Graffiti dort geachtet, sagt Scanlon. Gesprühte Kunst taste in seiner Heimat keiner an, sagt er.
Das liegt wohl vor allem an jenem Sprayer aus Bristol, der sich hinter dem Pseudonym Banksy versteckt. Der vermutlich 45-Jährige gilt mittlerweile als der weltweit bekannteste Graffiti-Künstler - nicht zuletzt durch sein gesprühtes Bild "Girl with Balloon", das im Herbst vergangenen Jahres für umgerechnet rund 1,2 Millionen Euro bei Sutheby's versteigert und unmittelbar danach - per Knopfdruck ausgelöst - zur Hälfte geschreddert wurde.
Dass auch Scanlons Werke respektiert und geschätzt werden, zeigte eine Aktion Anfang dieses Jahres: Als in Bristol ein Krankenhaus abgerissen wurde, wurde das Mauerstück, auf das JPS ein Mädchen mit Tiger-Hund gesprüht hatte, sorgsam gerettet. Auch seine Werke in Steinfeld, Karlstadt, Bad Kissingen und Partenstein blieben unangetastet. Nur beim Schneewittchen am Kaibachplatz kennen unbekannte Schmierfinken offenbar kein Pardon: Als sie Ende Januar vielerorts im Stadtgebiet mit rot gesprühte Parolen hinterließen, titulierten sie auch das JPS-Schneewittchen am Kaibachplatz mit einem krakeligen "Bitch". Zwar versuchten Mitarbeiter des städtischen Bauhofs postwendend, den Schaden in Grenzen zu halten, doch blieben Spuren der Schrift sichtbar.
Knapp vier Monate später waren das Schneewittchen und vier ihrer Zwerge dann plötzlich ganz verschwunden: Der Bauhof hatte die raue Betonwand mit einem feinen Putz überarbeitet. Doch das war mit dem Künstler abgesprochen und ganz in seinem Sinne: Das jetzt glattere Hintergrund ist für seine seine Schablonen-Sprüherei wesentlich besser geeignet als auf der groben Betonstruktur.
Anfang Juli machte sich das Künstler-Ehepaar aus Hausen erneut ans Werk. Mit den aufbewahrten Original-Schablonen war es diesmal ein Leichteres, die Figuren mit deutlich besserer Brillanz an die Wand zu zaubern. Doch auch die Freude darüber währte nicht lange. Denn keine drei Wochen später glaubte wiederum ein Unbekannter, seine Spuren just dort hinterlassen zu müssen. Die weißen Zähne des Schneewittchens beschmierte er mit rotem Lippenstift und einem der Zwerge malte er einen gezwirbelten Bart unter die Nase.
Als die Scanlons dies beim vereinbarten Fototermin nach Vollendung des gesprühten Ensembles bemerkten, waren sie natürlich "not amused", sprich: wenig begeistert. Zum Glück ließen sich die Lippenstift-Spuren mit Hilfe von Make-up-Entferner, den Katja Bundschuh flugs organisiert hatte, relativ leicht und weitgehend ohne Rückstände beseitigen.
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