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Karlstadt
Karlstadter Teampfarrer Simon Mayer: "Kein Pfarrer kann eine Gemeinde lebendig halten"
Die Strukturreform des Bistums Würzburg verändert Kirche tiefgreifend. Der Dekan von Main-Spessart berichtet, was die neuen pastoralen Räume für die Gemeinden bedeuten.
Simon Mayer, Dekan des Dekanats Main-Spessart und Moderator des Pastoralen Raums Karlstadt, in der Karlstadter St.-Andreas-Kirche.
Foto: Tabea Goppelt | Simon Mayer, Dekan des Dekanats Main-Spessart und Moderator des Pastoralen Raums Karlstadt, in der Karlstadter St.-Andreas-Kirche.
Redaktion
 |  aktualisiert: 02.02.2025 02:30 Uhr

Was verändert sich durch die Strukturreform des Bistums Würzburg? Simon Mayer ist seit zehn Jahren Pfarrer in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart). Durch die Strukturreform hat der 45-Jährige seit 2022 einen neuen Titel: Teampfarrer des pastoralen Raums Karlstadt. Weil die neuen pastoralen Räume mehrere Pfarreiengemeinschaften zusammenfassen, ist er nicht für eine, sondern gleich 37 Gemeinden in Main-Spessart zuständig.

Im Interview berichtet Mayer über die Zusammenarbeit im Team - und wie die Reform die Gemeinden vor Ort verändert.

Frage: Immer mehr Menschen wenden sich von der Kirche ab, allein 2023 sind mehr als 11.500 Menschen im Bistum Würzburg ausgetreten. Glaube und das kirchliche Leben vor Ort spielt eine immer geringere Rolle. Was bringt die Strukturierung in pastorale Räume?

Simon Mayer: Bei allen Abwärtsbewegungen ist eins nicht weniger geworden: die Anzahl der Kirchengebäude und der Gemeinden. Alle Gemeinden sind ausgedünnt, manchmal sitzen da in einer Messe nur noch zehn Personen. Dazu finden wir kaum noch Nachwuchs bei den Priestern. Wir versuchen immer noch, die Menschen flächendeckend mit Messfeiern zu versorgen, aber wir müssen wir das stark konzentrieren. Dafür sind die pastoralen Räume da.

Der pastorale Raum Karlstadt umfasst 37 Gemeinden. Sie sind Teampfarrer "in solidum", teilen sich die Leitung also mit anderen. Wie arbeitet es sich im Team?

Mayer: Früher war man Einzelkämpfer: ein Pfarrer, eine Pfarrei. Jetzt bin ich in einem Team mit Pastoralreferenten, Diakonen und anderen Priestern. Da ist immer jemand ansprechbar für die Gemeinden. Das ist ein Vorteil im Vergleich zu früher, wo nur ein Pfarrer in einer Pfarrei war. Wenn der nicht da war, war er halt nicht da. So heute Pfarrer zu sein, kann ich mir nicht mehr vorstellen. Ich arbeite gerne im Team mit anderen zusammen, wo auch jeder und jede die eigenen Stärken einbringen kann.

Das heißt aber auch: vor Ort ist jetzt kein Pfarrer mehr da. Treten deshalb mehr Menschen aus?

Mayer: Diese Abwärtsbewegung in der Kirchenbindung ist schon in einer Zeit gestartet, als es noch an jedem Kirchturm einen Pfarrer gab. Das ist ja nicht erst seit zehn, fünfzehn Jahren so. Eigentlich gibt es heute viel mehr Möglichkeiten vor Ort, sich zu beteiligen. Weil nicht alles der Pfarrer vor Ort übernimmt und entscheidet. Oft sind die Gemeinden, in denen lange kein Pfarrer war, viel lebendiger sind als die, wo der Pfarrer seinen Sitz hatte.

Sind die Menschen in den Gemeinden also auf sich allein gestellt?

Mayer: Wir bauen in der Gemeindearbeit sehr auf die Ehrenamtlichen. Aber sie hängen natürlich nicht völlig in der Luft. Es gibt ein System an ortszuständigen Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Jede Gemeinde hat also eine klare Ansprechperson aus dem hauptamtlichen Team.

Ihr Büro liegt in Karlstadt. Wo sind Sie denn ansprechbar für die Menschen aus dem ganzen pastoralen Raum?

Mayer: Wenn ich ein festes Zeitfenster für Seelsorge hätte, also eine Art Sprechstunde, würde ich da meist allein sitzen. Deshalb geht es oft besser, wenn sich Gespräche auf der Straße ergeben, beim Einkaufen zum Beispiel. Aber ich habe auch viele Verwaltungsaufgaben, sitze in Gremien und bin deshalb nicht so oft im öffentlichen Raum unterwegs. Dafür sind mir dann die Werktags-Messen wichtig, um mit den Ehrenamtlichen unkompliziert in Kontakt zu kommen. Da nehme ich mir dann die Zeit oder auch im Umfeld von Sitzungen mit den Gremien.

"Es geht oft besser, wenn sich Gespräche auf der Straße ergeben, beim Einkaufen zum Beispiel."
Pfarrer Simon Mayer über Seelsorge vor Ort
Fahren sie viel durch die Gegend?

Mayer: Das hält sich im Normalfall in Grenzen, aber es ist auch eine Organisationsfrage. Man muss seine Termine gut planen, aber wenn ich am Sonntagvormittag zwei Gottesdienste und am Nachmittag eine Taufe habe, kommen dann schon mal 30 Kilometer zustande.

Sie können nicht immer überall sein. Viele Menschen vermissen den Pfarrer vor Ort. Können Sie das verstehen?

Mayer: Es ist wichtig, dass die Gemeinde aus sich heraus lebt. Letzten Endes kann kein Pfarrer – auch kein anderer hauptamtlicher Seelsorger – eine Gemeinde lebendig halten. Den Leuten vor Ort muss wichtig sein, dass sie etwas für ihre Gemeinde tun. Die pastoralen Räume sollen das verstärkt fördern.

Funktioniert das?

Mayer: Ich habe den Eindruck, dass die Diözesanleitung die Gemeinden zu wenig im Blick hat. Damit bin ich nicht zufrieden, denn kirchliches Leben ohne Gemeinde vor Ort funktioniert nicht. Wir können nicht reiner Dienstleister in Sachen Taufe, Trauung und Beerdigung werden. Für all das ist immer ein gemeindlicher Hintergrund nötig. Eine Kirche, die geöffnet und sauber ist, Küster, Ministranten, Organisten… Die kommen ja aus den Gemeinden.

"Wir können nicht reiner Dienstleister in Sachen Taufe, Trauung und Beerdigung werden."
Dekan Simon Mayer über kirchliches Leben
Wie sehen die Gemeinden in Ihrer Idealvorstellung aus – klein, aber fein?

Mayer: Mir wäre lieber klein, aber mit Feuer. Wo man merkt, da ist was da. Letzten Endes ist daraus Kirche entstanden: aus Menschen, die für etwas brennen. Da geht es nicht darum, wann jemand das letzte Mal in der Messe war, sondern wofür er oder sie brennt und bereit ist, sich zu engagieren.

Feiert jede der 37 Gemeinden in Ihrem pastoralen Raum noch Gottesdienste?

Mayer: In den größten Gemeinden gibt es ein verlässliches Gottesdienst-Angebot, immer zur gleichen Zeit – dann können die Menschen damit planen. Ansonsten gibt es ein rotierendes System für die Messe, da orientiert man sich an der Gemeindegröße. Wir versuchen, die Wege möglichst kurz zu halten, damit keiner weiter als zehn Kilometer zur nächsten Messe fahren muss. Darüber hinaus gibt es inzwischen ein breites Angebot anderer Gottesdienste, wie "Wort-Gottes-Feiern", die von Ehrenamtlichen in und aus den Gemeinden geleitet werden.

In manchen Gemeinden gibt es also keine Sonntagsmesse mehr. 

Mayer: Da geht es um die kleinen Filialgemeinden, die eigentlich immer zum Gottesdienst in die größere Pfarrkirche mussten. In den 70ern, 80ern hatten wir fast zu viel Personal und plötzlich gab es auch in den Filialgemeinden Sonntagsmessen. Dabei hatte es die dort über Jahrhunderte meist nicht gegeben. Das hat sich aber kaum 30 Jahre gehalten.

Der pastorale Raum Karlstadt ist weitläufig, hier gibt es auch viele kleine Dörfer. Wie sieht die Zukunft der ganz kleinen Gemeinden aus?

Mayer: Wir werden irgendwann auch Gemeinden auflösen müssen, wenn niemand mehr vor Ort ist, der sich um die Kirche kümmert. Dann können wir diese Kirche auch nicht mehr bedienen.

"Es geht nicht darum, wann jemand das letzte Mal in der Messe war, sondern wofür er oder sie brennt."
Pfarrer Simon Mayer über die Zukunft der Gemeinden
Und die Zukunft der Kirche insgesamt?

Mayer: Kirche wird nicht dadurch überleben, dass wir viele Hauptamtliche haben. Wir brauchen Menschen, die mit dem Glauben etwas anfangen können. Denen auch gemeindliches Leben vor Ort wichtig ist und sich dafür einsetzen. Eigentlich müsste das in den Familien weitergegeben werden und überleben, aber da mache ich mir aktuell große Sorgen: Wo ist Glaube in unseren Häusern, in unseren Familien und damit im alltäglichen Leben noch relevant?

 
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  • Lothar Unsleber
    Die Statements sind schon sehr bemerkenswert. Die Verantwortungsträger sind seit Jahren nur am „Reagieren“ und nicht am „Agieren“ auf die Veränderungen der Gesellschaft und der Abwärtsbewegung in der Kirche. Wenn ein Moderator mit Arroganz auftritt und diese auch in seinem Wirken lebt, wenn er nur zur Zelebration seiner Macht in die (kleinen) Dörfer kommt, wenn ein Pfarrer nur zum Abhalten eines Gottesdienstes erscheint und dann durch die Hintertüre der Sakristei wieder verschwindet, kann man nicht mit gut besuchten Gottesdiensten rechnen. Auch braucht man sich nicht über das „Wegbleiben“ von Ehrenamtlichen wundern, wenn man sie mit einer „Pseudo Correctness“ gängelt und schikaniert. Im Statement zum Angebot für „verlässliche Gottesdienste“, ist erkennbar, dass Menschen welche „noch nicht“ oder „nicht mehr“ mobil sind auch nicht existent sind. Es zählen nur die relevanten Kirchensteuerzahler. Ein Zeichen dafür, dass es nur noch um das „Streben nach Macht“ und der „Gier nach Geld“ geht.
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  • Wolfgang Keller
    Selbst ernannte Moralapostel bringen unsere Kirche nicht weiter. Die Auslegung des Wort Gottes ist genauso einseitig. Das Problem ist so tiefschichtig, dass es hier nicht diskutiert werden kann.
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  • Ulrich Metzger-Obermeier
    Kirche vor Ort ist immer so lebendig, wie die Menschen, die dort wohnen und arbeiten. Mit dem mantrartigen Wiederholen von Gemeinplätzen lässt sich in der Tat nix verändern.
    Darum sind eben die kleinen Schritte nötig und auch erfolgreich, die befreiende Botschaft Jesu weiter zu geben: die KOMBINATION aus Familie, Gemeinde und Schule macht's aus!
    @Simon Mayer: bleib' dran an den Karschtern! :-)
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  • Klaus B. Fiederling
    in 10-15 Jahren sieht es ziemlich dunkel aus nicht nur an Hl. Abend!
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  • Werner Fuchs
    "Menschen, die mit dem Glauben etwas anfangen können"! Ja, Aber mit der Kirche als Organisation kann man nichts anfangen. Reichtum, Steuern, Grundbesitz, Geld ist das Wichtigste das für diese Organisation zählt.
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  • Martin Dobat
    Insbesondere die großen Kirchen müssen sich von ihren falschen Wegen verabschieden und auch Buße darüber tun, falsche dazugemachte Lehre über Bord schmeißen, zurück zu Gottes Wort. Ohne diese Umkehr wird sich diese abwärts Entwicklung weiter verstärken, weil auch die Kraft Gottes fehlt. Kirche muss wieder apostolisch werden - wie am Anfang (Apostelgeschichte).
    Lieber Gruß
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