Die Karriere eines politischen Urgesteins nähert sich dem Ende. Hans Michelbach (CSU) war Bürgermeister von Gemünden und wechselte 1994 in den Bundestag. Später zog er nach Coburg und vertritt seither die Oberfranken in Berlin. Im Herbst kandidiert der 72-jährige Parlamentarier nicht mehr für ein Mandat. Im Interview erzählt er, wie er zur Politik gekommen ist, welchen Rat ihm Edmund Stoiber einst gegeben hat und wie er zu Lobbyismus-Vorwürfen der Satiresendung "Heute Show" steht.
Michelbach: Es war nicht mein Lebensziel, Politiker zu werden. Weil die Politik schon einmal eine schwere Belastung für meine Familie war, galt diese als Tabu. Mein Großvater hatte als Bürgermeister in Hammelburg schwierige Erfahrungen gemacht. Er wurde noch vor der Machtergreifung ein Opfer der Nazis, die massiven Druck auf ihn ausübten, so dass er schließlich von seinem Amt zurücktreten musste. Dies und die öffentliche Herabwürdigung seiner Person durch die Nazis hat er nicht verkraftet. Mein Vater, der damals in einem jüdischen Bankhaus beschäftigt war, erlebte die Judenverfolgung unmittelbar. Als junger Mann war ich vor allem mit der Existenzgründung meiner Unternehmungen beschäftigt. Ich meiner Heimatstadt engagierte ich mich aber auch im Verkehrsverein, in der Werbegemeinschaft, im Fußball- und Feuerwehrverein. Dadurch geriet ich in den Fokus der örtlichen Kommunalpolitik. Ich wurde immer wieder gefragt, ob ich nicht für den Stadtrat kandidieren wolle. Mein Vater war aus besagten Gründen strikt dagegen. Aber irgendwann hat mich die Verantwortung für die Gestaltung meiner Heimatstadt so sehr angezogen, dass ich schließlich dem Werben der CSU nachgab und auf Anhieb bei der Stadtratswahl die meisten Stimmen bekam.
Michelbach: Ich war sehr gerne Bürgermeister und schätze die Arbeit der Kommunalpolitik. In der Stadt und im Landkreis wurden gute Entscheidungen getroffen und positive Entwicklungen vorangebracht. Ich würde mir wünschen, dass die wirtschaftliche Belebung weiter voranschreitet. Denn dadurch werden auch Arbeitsplätze geschaffen. Dafür braucht Main-Spessart allerdings auch weiter eine gezielte Förderung von Land und Bund. Ich habe mich deshalb in der Vergangenheit, wo immer es möglich war, weiter für die Unterstützung meiner Heimatstadt eingesetzt. Natürlich liegen mir aber auch nach wie vor die Scherenburgfestspiele am Herzen. Ich denke, die Corona bedingte Absage der Festspiele im vergangenen Jahr hat uns allen deutlich gemacht, wie wichtig Kultur ist.
Michelbach: Die Union kam im Wahlkampf 1998 schwer unter die Räder. Gerhard Schröder und die SPD haben uns nahezu weggebeamt. Dass wir trotz intensiver Arbeit die Regierung abgeben mussten, war für mich eine große Enttäuschung. Ich hatte damals das Glück, über die Landesliste wieder in den Bundestag einzuziehen. Da wurde mir aber auch klar: Wenn ich weiter in der Bundespolitik reüssieren wollte, brauchte ich einen eigenen Wahlkreis. In den Finanzausschuss, in den ich wieder wollte, strebten viele. Und mit einem Direktmandat können Abgeordnete auch fraktionsintern ganz anders auftreten, weil sie das direkte Votum der Menschen in ihrem Wahlkreis haben. Für den Wahlkreis Main-Spessart/Miltenberg wollte ich nicht antreten, weil der damalige Wahlkreisabgeordnete gute Arbeit leistete. Eine Kampfkandidatur aus letztlich egoistischen Gründen kam für mich nicht in Frage. Edmund Stoiber hat mir damals empfohlen: Probiere es doch mal in Coburg und Kronach, da haben wir den Wahlkreis verloren. Er sagte, ich würde wohl nicht auf Anhieb gewinnen, aber vielleicht beim zweiten Mal.
Michelbach: 2001 bin ich auf volles Risiko nach Coburg gezogen und habe dann 16 Monate Dauerwahlkampf gemacht. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Einige gutmeinende Freunde haben mich für völlig verrückt erklärt und meinten, in Coburg hast du keine Chance. Da gibt es sehr viel Industrie und dadurch auch sehr viele engagierte Gewerkschaftler. Der dortige SPD-Abgeordnete galt als haushoher Favorit. Es gab auch in der CSU interne Widerstände gegen einen Kandidaten von außen. Ich musste zu Beginn viele Klinken putzen. Letztlich haben mich die Oberfranken aber unwahrscheinlich freundlich aufgenommen und den Unterfranken akzeptiert. Anfangs wusste ich überhaupt nicht, wo welcher Ort liegt. Ich habe mich stundenlang vor die Frankenwald-Karte gesetzt, denn ich musste da ja überall hin und Wahlkampf machen. Zum Schluss hatte ich mit 48 Prozent die Mehrheit der Stimmen. Ich habe noch nie so einen enttäuschten Menschen gesehen wie meinen Gegenkandidaten. Da dachte ich mir: Mensch, was hast du hier angestellt?
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Michelbach: Ich hatte nie Nebentätigkeiten, sondern Einkünfte aus dem Unternehmen. Man muss unterscheiden zwischen Einkommen aus Nebentätigkeiten und Einkünften aus gewachsenem Eigentum. Für den operativen Teil war ich nicht zuständig, das konnte ich nebenher ja gar nicht machen. Hinzukommt noch, dass nicht die Einkünfte, sondern eigentlich die Umsätze des Unternehmens angegeben werden müssen. Das aber sind zwei verschiedene Paar Schuhe, wie leicht zu erkennen ist. Ich halte es aber in der Demokratie für unbedingt nötig, dass transparent ist, welche Einkünfte ein Abgeordneter hat. Nach der Veröffentlichung der Zahlen bin ich auch immer wieder angefeindet worden. Aber ich bin der Auffassung, dass wir auch mittelständische Handwerker und Familienunternehmer in den Parlamenten brauchen, damit alle Teile der Gesellschaft in den Parlamenten demokratisch mitwirken können. Heute gibt es leider nicht mal mehr zwei Prozent Unternehmer im Bundestag; 1994 waren es noch zehn Prozent. Das liegt auch an der undifferenzierten Betrachtung von Nebeneinkünften. Die erwähnten Maskendeals gehen natürlich gar nicht und sind unsäglich. Dass Abgeordnete mit der Pandemie ein Geschäft machen, ist für mich unvorstellbar. Damit haben sie einen Ansehensschaden für alle Abgeordneten verursacht. Wenn Parlamentarier eigens Firmen gründen, um Lobbyisten-Tätigkeiten nachzugehen, ist das verwerflich.
Michelbach: Dass eine Satiresendung so etwas aufgreift, damit muss ich leben. Wer die Hitze nicht verträgt, der darf nicht in die Küche gehen. Ich bin schon seit meiner Unternehmensgründung Mitglied in diesem Berufsverband und seit 25 Jahren ehrenamtliches Präsidiumsmitglied. Wir brauchen ein Lieferkettengesetz, um Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit zu verhindern. Aber darüber geht dieses Gesetz weit hinaus. Mir ging es nur darum, das Gesetz zu verbessern, um nicht die Unternehmen und vor allem den Mittelstand am Ende mit einem neuen Wust von Bürokratie und Berichtspflichten zu überschütten. Der Mittelständler darf am Ende nicht bis ins letzte Glied für alle möglichen Vorgänge in die Haftung genommen werden, die er realistisch gar nicht nachvollziehen kann. Es führt ja auch am Ende nicht weiter, wenn hier Firmen zerstört werden und die Produktion dann im Ausland stattfindet. Mir ging es nur darum, dass das Gesetz verbessert wird. In Teilen konnte ich das erreichen.
Michelbach: Hundertfach haben mir Leute geschrieben, die durch diese Wirecard-Pleite ihre Altersversorgung verloren haben. Da geht es um einen Schaden von mindestens 22 Milliarden Euro. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen bandenmäßigen Betrugs. Es ist die größte Finanzpleite der deutschen Nachkriegsgeschichte. Wir haben im Finanzausschuss trotz mancher Widerstände in den vergangenen Jahren viele Regulierungen gegen die Finanzmarktteilnehmer, gegen Banken und Versicherungen durchgesetzt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Finanzaufsicht BaFin, die wir inzwischen mit 3000 Beamten ausgestattet haben, unfähig war, das Wirecard-Desaster frühzeitig zu erkennen. Mit dem Instrumentenkasten, den sie zur Verfügung hat, wäre der Betrug schon 2017 zu erkennen gewesen. Wir haben praktisch ein komplettes Aufsichtsversagen, angefangen vom Wirecard-Aufsichtsrat über die Wirtschaftsprüfer bis hin zur BaFin und zum Bundesfinanzministerium. Ein derartiger unglaublicher Vorgang, darf sich auf gar keinen Fall wiederholen.
Michelbach: Zunächst werbe ich natürlich für eine starke Union. Ich habe ja schon mal federführend an einer Jamaika-Koalition mitverhandelt und musste eine Bauchlandung erleben. Ich bin da sehr ernüchtert. Meine Devise ist: Man muss selbst möglichst stark werden, um seine Überzeugungen bestmöglich einbringen zu können. Ich habe die Grünen bei den Verhandlungen 2017 erlebt. Die wollen an die Fleischtöpfe und sind bereit, ziemlich viel mitzumachen. Die FDP würde einen Verhandlungsausstieg wie 2017 nicht wiederholen. Welche Koalition möglich ist, kann man erst nach der Wahl entscheiden. Alles andere ist Kaffeesatzleserei. Nur eines ist für die Union klar, eine Koalition mit den radikalen Kräften von rechts und links wird es nicht geben. Daran sollten sich auch andere Parteien orientieren. Meine politische Agenda war es immer, eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.