Hans Michelbach aus Gemünden gehört dem Deutschen Bundestag seit 25 Jahren an. Was hat sich im Politikbetrieb verändert, welche Aufgaben sind heute zu bewältigen?
Frage: Herr Michelbach, können Sie sich noch an Ihren ersten Tag im Parlament erinnern?
Hans Michelbach: Sehr gut sogar. Ich hatte das große Glück, dass Theo Waigel damals Finanzminister werden sollte und er sich eine neue Mannschaft gesucht hat, die ihn im Parlament unterstützt. Ich durfte dabei sein. Für mich war das ein Start von Null auf Hundert. Ich kam sofort in einen der Königsausschüsse, den Finanzausschuss des Bundestags. Damit war für mich ein sehr guter Weg vorgezeichnet, da ich von Beginn an in die wichtigen Themen Steuerpolitik, Kapitalmarkt, Banken- und Versicherungswesen sowie Finanzmarkt eingebunden war. Das war ein großer Vertrauensvorschuss und eine Auszeichnung.
Hat Ihnen dabei die Erfahrung genutzt, die Sie vorher als langjähriger Bürgermeister von Gemünden gesammelt haben?
Eher weniger. Ich musste mich in die für mich neuen bundespolitischen Themenfelder einarbeiten, zum Beispiel in die Einführung des Euro. Dazu habe ich mit Minister Waigel viele Auslandsreisen unternommen. Das war eine sehr interessante Anfangsphase, die mich als Bundestagsabgeordneter geprägt hat.
2002 sind Sie im Bundestagswahlkreis Coburg/Kronach angetreten. Sie galten als Außenseiter und haben als CSU-Kandidat das Direktmandat gewonnen. Hätten Sie den Erfolg erwartet?
Man muss von seiner Kandidatur und seiner politischen Botschaft überzeugt sein und braucht auch Risikobereitschaft und Mut. Ich wollte das Direktmandat unbedingt.
Warum?
Weil die Durchsetzungskraft eines direkt gewählten Abgeordneten im Bundestag um ein Vielfaches höher ist als die eines Listenabgeordneten. Es ist etwas anderes, wenn man die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in einer Region mit rund 200 000 Einwohnern hinter sich hat, als wenn man über die Liste seiner Partei in den Bundestag kommt. Dieses Vertrauen ist ein riesiges Pfund, um Interessen der Region durchsetzen zu können, es verschafft politisches Gewicht.
Seit 2002 haben sie immer wieder das Direktmandat im Bundestagswahlkreis Coburg/Kronach gewonnen. Worauf führen Sie diesen Erfolg zurück?
Für mich war es ein Glücksfall, dass ich mich als Unterfranke in meinem oberfränkischen Wahlkreis sehr schnell wohl gefühlt habe. Das hat mir geholfen, rasch mit allen gesellschaftlichen Gruppen in der Region in Kontakt zu kommen. Ich glaube, dass meine Wiederwahlen das Ergebnis meines Einsatzes für Coburg und Kronach sind.
Was hat sich im Bundestag in den vergangenen 25 Jahren verändert?
Der Politikbetrieb ist sehr viel schnelllebiger geworden, aber leider auch populistischer und extremer. Die kollegiale Stimmung, die man in der Demokratie braucht, um politische Kompromisse zu erzielen, ist vielfach verloren gegangen. Das bedauere ich. Das hängt an den Menschen, die im Parlament sitzen, es kommt aber auch viel von außen.
Was genau meinen Sie damit?
In einer globalisierten Welt verändern sich die Ansprüche an ein nationales Parlament. Denken Sie nur an die Finanzkrise oder den Handelskonflikt zwischen China und den USA. Wir müssen uns heute im Bundestag internationaler aufstellen, als das am Beginn meiner Tätigkeit als Abgeordneter der Fall war. Wir müssen stärker als früher internationale Kontakte pflegen. Das können Sie an Reisen nach Irland, Italien, Finnland und China festmachen, die ich jüngst mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag unternommen habe.
Die SPD sinkt in der Wählergunst, die AfD steigt. Ist das eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland?
Demokratie muss alles aushalten, es gibt kein besseres System. Aber es stimmt: Die AfD ist eine Herausforderung für alle Parteien. Wir müssen mehr mit den Menschen reden, dürfen nicht nur Schlagwörter verwenden, müssen Aufklärung betreiben. Wir müssen uns intensiv mit dem Populismus auseinandersetzen, den die AfD betreibt. Das ist dringend geboten. Wir müssen die parlamentarische Demokratie und soziale Marktwirtschaft stark und engagiert verteidigen.
Haben sich die etablierten Parteien – auch die CSU – nicht doch ein Stück weit von den Wählerinnen und Wählern entfernt?
Nein, wir sind eher transparenter geworden. Allerdings lässt sich die Politik zunehmend zur Geisel der Sozialen Medien machen. Man darf hier nicht über jedes Stöckchen springen, das einem hingehalten wird. Es braucht klare Botschaften.
Wie lassen sich diese vermitteln?
Sich möglichst viel unter Menschen aufhalten, mit ihnen sprechen, ihnen Informationen geben und argumentieren. Dazu nutze ich jede Gelegenheit, die sich mir bietet. Nur so wachsen Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Ohne sie wäre die Demokratie verloren.
Wie sieht Ihre persönliche Bilanz Ihrer 25 Jahre im Bundestag aus?
Ich bin glücklich, dass ich meine Leidenschaft, die Politik, zu meinem Beruf machen durfte. Leider habe ich dabei meiner Familie viel zugemutet. Für ihr Verständnis und ihre Geduld bin ich sehr dankbar.