Der Bundestag hat Ende vergangener Woche das Lieferkettengesetz verabschiedet, das große Unternehmen für Zustände bei ihren weltweiten Zulieferern stärker als bisher in die Pflicht nimmt. Das betrifft unter anderem die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards. Eine stichprobenartige Umfrage dieser Redaktion zeigt: Mainfrankens Wirtschaft begrüßt das neue Gesetz grundsätzlich, übt aber auch Kritik.
Gleichzeitig ist in vielen Betrieben in der Region offenbar noch nicht klar, welche Folgen das neue Lieferkettengesetz im Alltag haben wird. So sei etwa beim Autozulieferer ZF in Schweinfurt mit seinen rund 9000 Beschäftigten "noch keine detaillierte Aussage zum Wirkungsbereich im Unternehmen" möglich, so Sprecherin Jessica Seufert. Man habe aber ein Team gebildet, das sich um Nachhaltigkeit kümmere und sich der Auswirkungen des Lieferkettengesetzes annehmen werde.
Besonders betroffen von den neuen Regeln ist der Modekonzern s.Oliver aus Rottendorf bei Würzburg schon deshalb, weil er nach eigenen Angaben 100 Prozent seiner Waren aus dem Ausland bezieht. Seit Jahren gebe es einen internen "Verhaltenskodex für die Warenbeschaffung", der für die Zulieferer von s.Oliver bindend sei und unter anderem das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit beinhalte.
Der Kodex orientiere sich an den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen. "Die Einhaltung kontrollieren wir regelmäßig vor Ort", lässt Geschäftsführer Oliver Hein mitteilen. Ähnliche Richtlinien für den Wareneinkauf hat nach eigenen Angaben auch der Sonnenschutzanbieter Warema in Marktheidenfeld.
Der Ende vergangener Woche vorgelegte Gesetzentwurf werde "zunächst noch keinen Einfluss" auf die Preise von s.Oliver haben, teilte der Modekonzern mit. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass strengere Vorgaben beim Umweltschutz und bei den Sozialkriterien sowie steigende Löhne oder Rohstoffpreise mittelfristig die Verkaufspreise doch nach oben treiben. Für s.Oliver ist das neue Gesetz "im vollen Interesse unseres Unternehmens", heißt es auf Anfrage weiter. Es werde die Modebranche bei Transparenz, Umweltschutz und Fairness weiterbringen.
Ganz so euphorisch sieht man das bei Warema nicht. Zwar könne man die direkten Lieferanten überprüfen. Die Lieferanten der Lieferanten und damit die gesamte Lieferkette zu kontrollieren, sei aber für ein mittelständisches Unternehmen "nicht möglich und wird von uns als äußerst kritisch bewertet", teilt Kommunikationschefin Lilli Heyer mit. Warema bezieht nach eigenen Angaben nur maximal ein Prozent der Waren aus dem nicht-europäischen Ausland. Derzeit werde intern geprüft, "welche Schritte wir unternehmen werden, um dem Gesetz gerecht zu werden", so Heyer.
Nahezu alle befragten Unternehmen betonen, dass sie schon seit Jahren auf Standards achten, die das Lieferkettengesetz nun herbeiführen soll. Die Zulieferer müssten "entsprechende Nachweise erbringen, die von uns auch überprüft werden", so die Antwort des Möbelhändlers XXXLutz mit Deutschland-Zentrale in Würzburg. Dabei gehe es zum Beispiel um die Arbeitsbedingungen, die Beschaffenheit des Materials und die Gewinnung der Rohstoffe.
Beispiel Edeka: Wie es sich bei Lebensmitteln verhält
Heikel ist das Thema Lieferketten auch bei Lebensmitteln. Der größte Versorger in der Region, die Edeka-Gruppe Nordbayern-Sachsen-Thüringen mit Sitz in Rottendorf bei Würzburg, weist auf die Komplexität der Lieferungen hin. Gerade bei Lebensmitteln mit vielen Rohstoffen aus diversen Ländern sei eine lückenlose Kontrolle "faktisch unmöglich". Mangelnde Transparenz bei dominanten Lieferanten, ständige wechselnde Bezugsquellen im Ausland und schwache Rechtssysteme in manchen Anbauländern erschwerten die Situation.
Ähnlich sieht das der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt, Sascha Genders: "Das Lieferkettengesetz wird kaum zum Ziel einer global nachhaltigeren Welt beitragen." Dazu brauche es internationale Lösungen, nicht nationale Sonderwege.
Genders befürchtet, dass gerade für mittelgroße Betriebe die Einführung von Berichtspflichten zu einer weiteren bürokratischen Last wird. In Mainfranken könnte das für mindestens 30 Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern zutreffen. Unter Umständen führe das neue Gesetz auch dazu, dass Firmen ihre internationale Aktivität herunterfahren, um Unbill zu vermeiden.
Diese Sicht der Dinge haben auch die Verantwortlichen bei Edeka. Wenn sich Unternehmen wegen des Lieferkettengesetzes von ausländischen Partnern zurückziehen, dann könnte das "möglicherweise die Situation in den Ursprungsländern verschärfen".
Was in den Edeka-Supermärkten wegen der neuen Gesetzeslage zu spüren sein wird, dazu machte das genossenschaftlich organisierte Unternehmen keine Angaben. Das sei dem Umstand geschuldet, dass die angeschlossenen Betreiber der Supermärkte eigenverantwortlich handeln. In Mainfranken hat Edeka 148 solcher Geschäfte, in denen 6300 Menschen arbeiten. Angegliederte Ladenketten sind Kupsch, Diska sowie Nah & Gut.
In vorderer Reihe hat sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Bernd Rützel aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) für das Lieferkettengesetz starkgemacht. Der Politiker war Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für das Gesetz. "Viele Menschen wollen mittlerweile wissen, woher ihre Kleidung und die Produkte des täglichen Lebens kommen", sagt Rützel heute. "Unser Leben ist globalisiert, und deutsche Unternehmen produzieren und verdienen überall auf dem Globus. Es reicht nicht, wenn Unternehmen Arbeitnehmerrechte in Würzburg oder Schweinfurt achten. Sie haben auch Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferkette. Mit dem Lieferkettengesetz regeln wir genau das jetzt erstmals verbindlich."
Freilich kämpfen viele Unternehmen derzeit eher mit den Folgen der Corona-Pandemie. Ist der Zeitpunkt für das Gesetz dennoch passend? Die Reaktion der Firmen sei gemischt, will Rützel erfahren haben. "Ich habe mit weit über 100 Firmen gesprochen – die meisten sind einsichtig."
Was viele ärgere, ist, "dass Konzerne aus den USA und dem Ausland sich nicht an das Gesetz halten müssen. Hier ist es der SPD in den langen Verhandlungen gelungen, das Gesetz noch zu schärfen und gleichzeitig mehr Fairness im Wettbewerb der Unternehmen untereinander zu schaffen". Wenn ausländische Unternehmen Zweigniederlassungen oder Tochterunternehmen in Deutschland haben, fallen sie jetzt auch unter das Gesetz, wenn sie die erforderliche Mindestanzahl von Beschäftigten haben.