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Lohr
Die Lohrer Unternehmerin Ingrid Hunger wird 70, ist aber kein bisschen müde
Die Jubilarin erzählt aus ihrem Leben und gibt Einblicke, wie es bei der Unternehmensgruppe mit weltweit über 300 Mitarbeitenden derzeit läuft.
Ingrid Hunger 2017 beim Besuch der damaligen bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner mit ihrem Bruder Dr. Jan Hunger (links) und Thorsten Schwab.
Foto: Björn Kohlhepp | Ingrid Hunger 2017 beim Besuch der damaligen bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner mit ihrem Bruder Dr. Jan Hunger (links) und Thorsten Schwab.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 08.02.2024 16:10 Uhr

Eigentlich hätte Ingrid Hunger gern auf eine Vier-Tage-Woche reduziert, aber im Moment hat sie mehr zu tun denn je. Dabei wird die Lohrer Unternehmerin diesen Freitag 70 Jahre alt. "Ich bin fit, ganz, ganz fit", sagt sie im Gespräch mit der Redaktion. Sie ist bekannt als leidenschaftliche Pferdefreundin, sie fährt Ski und macht Yoga – "alles, was Sie sich vorstellen können". Wie sie bei zum Teil 14-Stunden-Tagen ("vielleicht auch mehr") dafür Zeit findet, ist ihr Geheimnis.

Sie ist weiterhin Geschäftsführerin der Hunger-Gruppe mit aktuell über 300 Mitarbeitern weltweit, außerdem von sechs Unterfirmen, darunter die drei Würzburger Hunger-Firmen Hunger Maschinen, Hunger Dichtungen und Hunger Schleifmittel, und überwacht die Auslandstöchter.

Spektakuläre Flucht der Familie Hunger aus der DDR

Die Unternehmerin erzählt noch einmal ein wenig von der spektakulären Flucht der Familie 1958 aus der DDR, die damals die Schlagzeilen der Bild-Zeitung beherrschte. Ihr Vater Walter Hunger, der Gründer der Hunger-Gruppe, hatte damals das größte Privatunternehmen im Arbeiter- und Bauernstaat, agierte auf dem Weltmarkt, allerdings wollten die Kommunisten seinen Betrieb verstaatlichen.

Ingrid Hunger war damals fünf. Zunächst wohnten sie als Flüchlinge in Partenstein, wo sie noch eingeschult wurde, bevor die Familie 1960 in das neu gebaute, jetzige Hunger-Verwaltungsgebäude umzog. Sie hätten anfangs nicht viel gehabt, sie seien praktisch nur mit den Kleidern am Leib geflohen. Die Familie sei aber "sehr gut aufgenommen worden" und hätte "sehr viel Hilfsbereitschaft" erfahren, die Kinder hätten etwa Spielsachen und Kleidung bekommen.

"Ich musste viel leisten als Kind."
Ingrid Hunger

"Ich musste viel leisten als Kind", blickt sie zurück. Sie habe neben dem Abitur eine "strenge Ausbildung" bei ihrem Vater zur Maschinenschlosserin und zur Industriekauffrau absolvieren müssen. So sei es allen Geschwistern gegangen. Ihre ältere Schwester sei ein Jahr vor ihr die erste Frau gewesen, die in Bayern eine Gesellenprüfung als Maschinenschlosserin gemacht hat. Später studierte Ingrid Hunger in der Schweiz an der Handelshochschule St. Gallen Betriebswirtschaft.

Hunger wollte in den USA Pferde züchten

Danach wäre fast alles ganz anders gekommen, als es schließlich kam. Eigentlich, so hatte sie der Redaktion einmal erzählt, hatte sie 1979 geplant, in den USA eine Pferdezucht mit Hannoveranern aufzubauen. Die Pferdeliebe hat sie von ihrem Vater geerbt. Sie war drüben schon für ein Studium der Tiermedizin eingeschrieben, allerdings fanden die Pläne ein jähes Ende: Es gab keine Einfuhrgenehmigung für die Zuchthengste.

Also wurde die Pferdezucht eben ihr größtes Hobby, und sie gab beruflich alles für die Firma, hatte lange gemeinsam mit ihrem 2008 gestorbenen Vater die Strippen in der Hand. "Die Pferde und die Firma, das ist mein Leben", sagt Ingrid Hunger. Sie züchtet weiterhin Hannoveraner, darunter Turnierpferde und Dressurpferde. Ein Teil steht am von ihr renovierten "Schlösschen" in Rodenbach, andere am Lohrer Sitz der Firma.

Im Unternehmen herrscht auch weiterhin familiäre Arbeitsteilung: Ihr fünf Jahre älterer Bruder Armin führt heute die Hunger-Tochter in Amerika, der 22 Jahre jüngere Bruder Jan ist Geschäftsführer der Walter Hunger GmbH & Co. KG in Lohr mit rund 125 Mitarbeitern.

"Es sind am Markt keine Schiffe zu bekommen, es sind am Markt keine Container zu bekommen."
Ingrid Hunger

Inzwischen ist die frischgebackene 70-Jährige 90 Prozent ihrer Arbeitszeit in Würzburg bei der von ihr geführten Dichtungsfirma Hunger DFE und pendelt täglich mit dem Auto. Bei der allabendlichen Heimfahrt außerhalb des Berufsverkehrs komme sie richtig runter, vor allem im Sommer sei es schön. Als sie zweimal wegen Geschwindigkeitsübertretungen ihren Führerschein habe abgeben müssen, habe sie eben Geschäftsreisen zu den Tochterfirmen in den USA oder Indien gemacht.

Der Hunger-Gruppe gehe es trotz der Sanktionen gegen Russland derzeit gut. Es gebe genügend Aufträge. Allerdings würden Materialien fehlen, die Firma Hunger ist etwa auf Stahl mit großen Durchmessern aus China angewiesen. Zudem sagt Hunger: "Es sind am Markt keine Schiffe und keine Container zu bekommen." Das Management dieser Schwierigkeiten fresse viel Zeit. Dabei ist die Gruppe zu etwa 85 Prozent vom Export abhängig, erzählt sie. Große Infrastrukturprojekte wie Brücken oder Staudämme fänden eben vor allem im Ausland statt, wichtige Kunden seien in der Kunststoff-, Stahl- und Aluminiumindustrie tätig und säßen in der Regel auch in fernen Ländern.

Arbeitskräftemangel bereitet Ingrid Hunger große Sorgen

Was Hunger noch zu schaffen macht, ist der Arbeitskräftemangel – "eine Riesenkatastrophe". Ingenieure, aber auch Facharbeiter und kaufmännische Angestellte würden heute von Headhuntern abgeworben. Es sei heute einfacher, jemanden fürs Büro als für die Maschinenbedienung zu finden, was inzwischen nicht mehr an der Bezahlung liegen könne. Zudem sei jungen Leuten heutzutage die Work-Life-Balance wichtiger, weswegen sie nicht mehr so gerne Überstunden machen würden. Und das Ganze vor dem Hintergrund der in Rente gehenden Babyboomer. Vor Weihnachten habe obendrein der Krankenstand bei 16 Prozent gelegen, ein Teil davon musste wegen kranker Kinder zu Hause bleiben, erzählt die Firmenchefin.

Ein in der Firma Hunger Hydraulik in Lohr hergestellter Großzylinder verließ 2016 das Werk Richtung China. Hier macht Ingrid Hunger ein Erinnerungsfoto.
Foto: Wolfgang Dehm | Ein in der Firma Hunger Hydraulik in Lohr hergestellter Großzylinder verließ 2016 das Werk Richtung China. Hier macht Ingrid Hunger ein Erinnerungsfoto.

Ingrid Hunger ist Präsidiumsmitglied im Verband der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (vbm), engagiert sich bei der Industrie- und Handelskammer, im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), ist im Universitätsrat der Uni Würzburg und im Hochschulrat der Fachhochschule (jetzt Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt).

Keine Konkurrenz mehr zu Bosch Rexroth

Ihr Vater Walter konnte 1958 das Unternehmen für Großzylinder mit einem Darlehen der Stadt von 50.000 DM und 50.000 DM von Ludwig Rexroth, dem Inhaber der damaligen Gießerei, gründen. Bis 2009 war Rexroth zu 50 Prozent an der Lohrer Walter Hunger KG beteiligt, was bedeutete, dass die Hälfte des Gewinns an Rexroth flossen. Erst nach dem Tod von Walter Hunger konnten seine Kinder 50 Prozent der Firmenanteile zurückkaufen.

Der Gewinn sei stets in das Unternehmen geflossen, so Hunger. Seit dem Rückkauf der Anteile habe die Firma gute Zeiten, aber auch schlechtere erlebt. "Unser Geschäft ist ein Projektgeschäft, da geht es immer auf und ab." Mal gehe es dem einen Unternehmen der Gruppe gut, mal einem anderen. Mit Rexroth stehe man seit dessen Verkauf des Großzylindergeschäfts in Holland nicht mehr in Konkurrenz. Der Würzburger Aggregatebau von Hunger verwende auch viele Komponenten von Bosch Rexroth.

Ingrid Hunger ist zwar nicht wegzudenken aus der Hunger-Gruppe, aber sie hat sich dennoch einen Endpunkt in der Firma gesetzt: mit 75 soll Schluss sein – sie möchte es zumindest versuchen. "Im Moment bin ich noch zu fit."

 
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Kommentare
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  • minervaodilia
    Naja der Fachkräftemangel wird daran liegen das Hunger deutlich weniger bezahlt als Rexroth. Selbst Rexroth hat schon immer mehr Probleme Schichtjobs qualitiativ zu besetzen weil jeder nur noch Studiert.
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  • Albatros
    Faszinierender Werdegang einer Unternehmerfamilie. Es sind genau diese mittelständischen Unternehmen, welche schon immer das Rückrat der Wirtschaft dargestellt haben. Herzlichen Glückwunsch Frau Hunger, es sind Leute wie Sie, welche in den Schaltzentralen der Politik sitzen sollten, weil Sie wüssten, worüber Sie reden.
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  • steffen.cyran@freenet.de
    Sie hingegen scheinen nicht zu wissen, wovon Sie reden.

    Wer diese Firma, den verstorbenen Seniorchef und die jetzige Chefin kennt, lacht sich kaputt.
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