Gutshofweg 3-4 steht unter der Leiste von acht Klingeln am Tor. Die Klingenschilder verraten: „Gästewohnung links, Gästewohnung rechts, Pferdepflegerwohnung, Dr. W. Hunger, Ingrid Hunger“. Reitplätze vor den Mauern, auch mit Sprunghindernissen, Pferdestatuetten, Pferdeköpfe und Hufeisen an den Laternen, am Brunnen, auf dem Dachfirst, an den Toren – ohne Pferde wäre der Gutshof Rodenbach womöglich noch immer das, was er war, als ihn Walter Hunger 1986 gekauft hat: ein heruntergekommenes Anwesen.
500 Jahre älter als die Kirche
Dabei ist ein Teil des Gutshofs womöglich so alt wie kein anderes Gebäude in diesem Lohrer Stadtteil. Er stammt laut Ingrid Hunger aus dem 13. Jahrhundert. Die ersten Steine dürften demnach knapp 500 Jahre vor jenen der alten Pfarrkirche gesetzt worden sein, die 1738 eingeweiht wurde. Indes machen die einstigen Nebengebäude, seit 2006 hergerichtet, einen ausgesprochen soliden, properen Eindruck. Sie werden bewohnt – von Menschen und von Pferden.
Die Liebe zu Pferden teilt die ehemalige Dressurreiterin Ingrid Hunger mit ihrem Vater Walter, der 2008 im Alter von 83 Jahren gestorben ist. Naheliegend, dass sie – zusammen mit ihrem Bruder Jan Hunger – nicht nur das Erbe der Hydraulik-Firma übernahm, die ihr Vater gegründet hatte. Bereits im Jahr 2000 machte sie den Gutshof zu ihrem Hauptwohnsitz.
Galoppsprünge und Tagesritte
Zur Firma im Lohrer Industriegebiet ist es von hier aus nur ein paar Galoppsprünge; zu ihren 40 Beschäftigten am Standort Würzburg, wo sie als alleinige Gesellschafterin der 1983 gegründeten Hunger Maschinen GmbH fungiert, wäre es schon ein Tagesritt. Ingrid Hunger pendelt im Wechsel: Einen Tag ist sie hier, einen Tag dort.
Parallel dazu versucht sie noch, das Millionen-Projekt Generalsanierung des Haupthauses voranzutreiben. Begonnen 2016, sollte diese ursprünglich nämlich in einem halben Jahr abgeschlossen sein. Doch es wird wohl noch länger dauern. „Wenn ich in zwei Jahren einziehe, ist es wohl schnell“, sagt die 64-jährige Unternehmerin.
Bislang ist nur das Dach fertig, unter dem einmal die Haustechnik Platz finden soll. Das Fallrohr von der Dachrinne hebt sich kupfergolden vom roten Buntsandstein des Mauerwerks ab.
Bodenplatten durchnummeriert
In kleinen Schritten nur geht es voran. An Trab oder gar Galopp ist nicht zu denken. Dafür sorgen zum einen die Auflagen der Denkmalpflege. Ob Gesimse oder Stuckdecken – alles muss originalgetreu restauriert werden. Bei den Fenstern werden teilweise sogar die alten Scheiben und Beschläge verwendet. Die Fußbodenplatten wurden beim Ausbau nummeriert, um sie wieder in der gleichen Ordnung zu verlegen.
Dazu kommen kleine Überraschungen: So ist die neue Dachkonstruktion schwerer als die alte, weshalb ein zusätzlicher Eisenträger eingezogen wird. Auch von ihrem Plan einer neuen Raumordnung im Erdgeschoss musste sich Hunger verabschieden: Unter dem Putz verbarg sich mächtiges Fachwerk aus Eichenholz. Das wird nun nicht abgerissen: Die vier Räume im Erdgeschoss, die künftig repräsentativen Zwecken dienen sollen, behalten ihren Zuschnitt.
Zur Sicherheit eine weiße Wanne
Um Hochwasser abzufangen, wird das Haus von einer so genannten weißen Wanne umfangen. Die Bodenplatte liegt bereits, die Seitenwände werden demnächst eingezogen. Um das Erdreich aus den weitgehend verfüllten Gewölbekeller zu räumen, wurde für den Radlader eigens eine Öffnung in die rückwärtige Kellerwand gebrochen.
Das alles sind technische Anforderungen und Probleme, mit denen man bei einem so alten Gemäuer wohl rechnen muss. Ausgebremst wird Hunger aber vor allem auch durch die gute Konjunktur: Handwerker scheinen bestens ausgelastet zu sein. „Ich kriege keine Angebote für die Fenster“, klagt sie. Drei Fensterbauer hat sie angeschrieben. Auf Antworten wartet sie bislang vergebens.
Lieber als über die schleppenden Fortschritte bei der Sanierung scheint Hunger über ihre Pferde zu sprechen, die auf mehrere Ställe rings um das Hauptgebäude verteilt sind, umsorgt von vier Pflegern. Wieviele Tiere es sind, mag sie nicht verraten. Nur so viel: „Die Pferde,“ sagt sie mit einem gewissen Stolz in der Stimme, „sind alle hier auf dem Hof geboren.“
Die wechselhafte Geschichte des Rienecker Schlösschens
Mehrere Adelshäuser haben dem repräsentativsten Gebäude Rodenbachs den Stempel aufgedrückt. Seit 1986 gehört er der Unternehmerfamilie Hunger, die es saniert.
Die Rienecker, die Erthals, die Dalbergs – mit dem denkmalgeschützten Rodenbacher Gutshof sind Namen von Adelshäusern verbunden, die die Region prägten. Der Vorgängerbau, das Rienecker Schlösschen, datiert laut der heutigen Eigentümerin, Ingrid Hunger, zurück bis ins 13. Jahrhundert.
Den Gutshof vergaben die Grafen von Rieneck wohl als Lehen an Adelige, die in deren Dienst standen. 1525, im Bauernkrieg, an dem sich die Rodenbacher ziemlich heftig beteiligt haben sollen, wurde er wohl zerstört. Wie stark, ist nicht bekannt. Anschließend wurden die Rodenbacher dazu verdonnert, ihn wieder aufzubauen. Aus dieser Zeit stammen vier Wappen an der Mainseite des Gebäudes (Nordostecke).
In Mainzischer Zeit, also ab Mitte des 16. Jahrhunderts wurde das Hofgut wohl weiter als Lehen an adelige Familien vergeben. 1612 wurde in Rodenbach, sehr wahrscheinlich im Gutshof, Philipp Valentin Voit von Rieneck geboren, später Fürstbischof von Bamberg. Im 18. Jahrhundert wurde das Hofgut Eigentum von Philipp Christoph von Erthal, kurmainzer Oberamtmann in Lohr und nebenbei Bauberater, Chef der Lohrer Spiegelmanufaktur und der Orber Saline und obendrein Diplomat. Er ließ das Haus gründlich umbauen. Bis auf das Dach (ursprünglich ein sog. Mansarddach) erhielt es sein heutiges Aussehen.
Die beiden Wappen über dem repräsentativen Eingang sind seines und das seiner ersten Ehefrau Maria Eva, der Mutter des Kurfürsten Friedrich Karl von Erthal, des Fürstbischofs Franz Ludwig von Erthal, der 1725 geborenen Maria Sophia Margaretha Catharina von Erthal, dem die Lohrer Fabulologen das „Schneewittchen“ andichteten, sowie einer Reihe weiterer Kinder.
Nach dem Aussterben derer von Erthal 1805 waren die Herren von Dalberg die neuen Eigentümer. 1929 kaufte die Gemeinde Rodenbach den Gutshof, 1986 erwarb ihn Walter Hunger. Die Sanierung des Nebengebäudes wurde 2006 abgeschlossen. Hinter dem Haupthaus plant Ingrid Hunger eine Reithalle zu errichten, 18 mal 36 Meter groß. Baubeginn soll Anfang 2018 sein. rp