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Gemünden/Würzburg
Die letzte Patientin in einer insolventen Reha-Klinik: Frau Zimmermanns Pflege-Odyssee
Haupttor zugesperrt, Personal gekündigt: Wie kann es passieren, dass eine Patientin nach ihrer OP in einer leeren Klinik landet? Der Fall einer Seniorin aus Main-Spessart.
'Mein innigster Wunsch ist es, an Gehstöcken aus der Klinik hinauszulaufen', sagt Marianne Zimmermann. Die 70-jährige Patientin aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) hat eine wahre Pflege-Odyssee hinter sich.
Foto: Johannes Kiefer | "Mein innigster Wunsch ist es, an Gehstöcken aus der Klinik hinauszulaufen", sagt Marianne Zimmermann. Die 70-jährige Patientin aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) hat eine wahre Pflege-Odyssee hinter sich.
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 09.02.2023 02:37 Uhr

Nach einem Sturz muss Marianne Zimmermann viele Monate in Kliniken verbringen. Im November 2022 bekommt sie ein Hüftimplantat. Um danach wieder auf die Beine zu kommen, braucht die 70-jährige Patientin aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) eine mehrwöchige Therapie in einer geriatrischen Rehaklinik. Doch sie landet in einem insolventen Haus: in der Klinik Lohrey im hessischen Bad Soden-Salmünster, einem Haus mit leeren Gängen und gekündigtem Personal.

Wie kann so etwas passieren?

Eine persönliche Leidensgeschichte mit einer bizarren Entwicklung

Auf Kissen gestützt, liegt sie Marianne Zimmermann in ihrem Bett in der Rehaklinik Bad Bocklet (Lkr. Bad Kissingen), als sie jetzt von ihrer Pflege-Odyssee berichtet. Den Haltegriff über dem Bett kann sie zur Not erreichen, das Hochziehen geht nicht gut. Nach monatelangem Liegen fällt der Patientin sogar das Sitzen schwer – vom Gehen nicht zu reden. Aber die 70-Jährige hat noch Kraft, noch Hoffnung: "Mein innigster Wunsch ist es, an Gehstöcken aus der Klinik hier herauszulaufen. Dafür bete ich." Zimmermanns Stimme ist fest, als sie ihre Leidensgeschichte erzählt, die eine bizarre Entwicklung nahm. Eine Geschichte, die den dramatischen Zustand des Gesundheitssystems und speziell der geriatrischen Reha widerspiegelt.

Die Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus in Würzburg vermittelte Patientin Marianne Zimmermann eine Reha in einer Klinik in Hessen mit 'freien Kapazitäten' - offenbar ohne von der Insolvenz der Einrichtung zu wissen.
Foto: Silvia Gralla | Die Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus in Würzburg vermittelte Patientin Marianne Zimmermann eine Reha in einer Klinik in Hessen mit "freien Kapazitäten" - offenbar ohne von der Insolvenz der Einrichtung zu wissen.

Marianne Zimmermanns Geschichte beginnt im Mai 2022, als sie daheim stürzt. Bei der Untersuchung stellt sich heraus: Ihre Hüfte schmerzt nicht nur, sie ist zudem extrem vereitert - möglicherweise eine Folge einer früheren OP. Weil die vereiterte Hüfte heilen muss, bevor ein Implantat eingesetzt werden kann, verbringt die Gemündenerin viele Wochen in einer Pflegeklinik. Erst im November wird Zimmermann in der Orthopädischen Klinik König-Ludwig-Haus in Würzburg operiert. Nach der OP braucht sie dringend eine geriatrische Reha - mit Therapie und intensiver Betreuung.

Wenn der Physiotherapeut nach der Behandlung ankündigt, dass sein Job jetzt endet

Das König-Ludwig-Haus organisiert die Reha und vermittelt Zimmermann in die von der "Klinik Lohrey GmbH" getragene Klinik Lohrey in Bad Soden-Salmünster, spezialisiert auf Orthopädie und Geriatrie. Klingt perfekt, ist es nicht.

"Wissen Sie nicht, dass die Klinik insolvent ist?", sei sie kurz nach ihrer Ankunft am 30. November von einer Schwester gefragt worden, berichtet Zimmermann. Das etwas nicht stimmt, merkt sie selbst etwa am Essen: "Die Frühstücksbrötchen waren unaufgetaute Teiglinge." Unzureichend auch die Therapie: "Der Physiotherapeut hat einmal mit mir Übungen gemacht. Dabei hat er mir gesagt, dass er gekündigt ist und die Klinik jetzt verlässt."

Als Norbert Zimmermann aus Gemünden seine Frau in der Klinik Lohrey im hessischen Bad Soden-Salmünster besuchen will, kommt er kaum hinein. Der Haupteingang sei zugesperrt gewesen.
Foto: Barbara Kruse | Als Norbert Zimmermann aus Gemünden seine Frau in der Klinik Lohrey im hessischen Bad Soden-Salmünster besuchen will, kommt er kaum hinein. Der Haupteingang sei zugesperrt gewesen.

Als Norbert Zimmermann seine Frau in der Klinik besuchen will, kommt er kaum hinein: Der Haupteingang ist versperrt. Er sei herumgeirrt, berichtet der 71-Jährige. Irgendwann habe ihn jemand durch den Personaleingang hineingelassen. Auf den Gängen: Leere. Kaum Personal. Nach langer Suche findet der Rentner seine Frau im Obergeschoss: Wie sich herausstellt, notdürftig versorgt vom Personal der Nachbarklinik. Wenige Tage nach ihrer Ankunft sagt ein Pfleger zu Marianne Zimmermann: "Morgen schicken wir Sie nach Hause. Und wenn Sie dann weg sind, dann sperren wir die Klinik hinter Ihnen zu."

Sie sei wohl die letzte Patientin des insolventen Hauses gewesen, vermutet Marianne Zimmermann.

Warum überstellt das König-Ludwig-Haus seine Patientin in eine insolvente Klinik?

Wie kann das passieren? Warum überstellt das König-Ludwig-Haus seine Patientin in eine insolvente Klinik, die eine mehrwöchige Reha gar nicht mehr leisten kann? Auf Nachfrage sagt der zuständige Mitarbeiter des Klinik-Sozialdienstes, er habe von der Insolvenz nichts gewusst und sei von dem hessischen Haus darüber nicht informiert worden: "Die Lohrey-Klinik hat uns bei der Anmeldung von Frau Zimmermann mitgeteilt, dass sie 'Kapazitäten' habe."

Hätte er die Klinik gegoogelt, er hätte viele Berichte der Fuldaer Zeitung zur Insolvenz der Lohrey-Klinik gefunden. Seit 2021 galt sie demnach als zahlungsunfähig, das Personal erhielt offenbar im Oktober 2022 die Kündigung.

In der insolventen Klinik Lohrey im hessischen Bad Soden-Salmünster verbrachte die Gemündener Patientin Marianne Zimmermann Ende 2022 knapp eine Woche. 
Foto: Barbara Kruse | In der insolventen Klinik Lohrey im hessischen Bad Soden-Salmünster verbrachte die Gemündener Patientin Marianne Zimmermann Ende 2022 knapp eine Woche. 

Es gehöre nicht zu den Aufgaben des Klinik-Sozialdienstes, die "wirtschaftlichen Verhältnisse einer Reha-Klinik" zu "recherchieren", erklärt die Sprecherin des König-Ludwig-Hauses, Melanie Keck. Wenn eine Reha in die Wege geleitet werde, "erfolgt eine Klärung mit dem jeweils zuständigen Kostenträger, ob und wo die Reha durchgeführt werden kann", so Keck. "Anschließend wird die vom Kostenträger genannte Reha-Klinik kontaktiert, ob die Aufnahme des Patienten möglich ist."

Insolvenzverwalter:  Rechtlich okay, wenn insolvente Kliniken Patienten aufnehmen

Damit gibt das König-Ludwig-Haus den Schwarzen Peter weiter an das aufnehmende Haus: Warum hat die Lohrey-Klinik der Würzburger Klinik nicht mitgeteilt, dass wegen Insolvenz Neuaufnahmen nicht möglich sind? In der Klinik selbst nimmt niemand mehr das Telefon ab. "Dauerhaft geschlossen", heißt es auf der Webseite. Für Anfragen zuständig ist jetzt die Anwaltskanzlei "Flöther & Wissing" aus Halle, die sich auf "Insolvenzverwaltung und Sanierungskultur" spezialisiert hat.

Deren Sprecher Christoph Möller teilt mit, dass rein rechtlich "die Tatsache, dass noch Patienten im Insolvenzverfahren angenommen werden, nicht zu beanstanden" sei: "Insolvente Krankenhäuser werden häufig im Insolvenzverfahren fortgeführt und saniert. Die Fortführung von Geschäftsbetrieben sieht das deutsche Insolvenzrecht ausdrücklich vor." Im November 2022 sei man noch davon ausgegangen, dass sich für die Klinik kurzfristig eine Investorenlösung fände, so Möller: "Eine benachbarte Klinik hatte angekündigt, den Betrieb zu übernehmen und fortzuführen." Diese Lösung sei dann aber nicht zustande gekommen.

Vergebliche Suche nach einem Reha-Platz: Vier Wochen zuhause statt in der Klinik

Die Folge für Marianne Zimmermann: Am Sonntag, 4. Dezember, sagt man ihr in der Klinik, dass sie am nächsten Tag nach Hause müsse. Am Montag, 5. Dezember, wird sie per Liegendtransport nach Hause gefahren. "Von der Klinik aus haben die mir noch einen Toilettenstuhl mitgegeben, das war's."

Ihre Angehörigen telefonieren sich in den nächsten Tagen die Finger wund, um eine Ersatzklinik zu finden. Doch angesichts des aktuellen Mangels an geriatrischen Rehaplätzen in Unterfranken findet sich für die gehunfähige Patientin kurzfristig keine Alternative, keine Klinik hat einen Platz frei. Die Orthopädische Klinik in Würzburg wiederum sieht sich nicht in der Verantwortung: "Wir können nur eine einzige Reha beantragen", erklärt der Sozialdienst-Mitarbeiter auf Anfrage. Dies habe man getan.

Ein Pflegedienst erbarmt sich und macht die Grundpflege

"Meine Frau lag dann gut fünf Wochen daheim im Ehebett, obwohl wir ja ein richtiges Krankenbett gebraucht hätten – mit Haltegriffen zum Hochziehen", sagt Norbert Zimmermann. Er habe sich um seine gehunfähige Frau gekümmert und sie gepflegt, so gut es eben ging. Die Zeit habe ihn so sehr mitgenommen, dass er selbst krank geworden sei.

 Geholfen habe in dieser Zeit nur der ambulante Pflegedienst "Bergmann & Ritschel" aus Gemünden. "Angesichts dieser Notlage haben wir täglich die Grundpflege gemacht. Obwohl wir eigentlich auch ausgebucht waren", sagt auf Anfrage Leiterin Christiane Ritschel. Es gebe aktuell "mehr solche Fälle", die Lage für Pflegebedürftige sei "gerade auf dem Land ganz schlimm".

Marianne Zimmermann geht es in der Reha in Bad Bocklet besser

Marianne Zimmermann geht es mittlerweile etwas besser. Seit Mitte Januar ist die 70-Jährige in einer stationären Therapie in Bad Bocklet - es war die früheste Möglichkeit, einen Reha-Platz zu finden. Vier Wochen wird ihr Aufenthalt in der geriatrischen Reha-Klinik dauern. Dann, hofft Zimmermann, kann sie wieder gehen. Aber sie sagt: "Werden Sie bloß nicht krank! Sonst gnade Ihnen Gott."

 
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Kommentare
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  • Kinderlein
    Warum werden die "Alten"hilfsbedürftigen Menschen immer mehr "ausragiert"? Wir werden alle alt und brauchen auch ohne Op irgendwann Hilfe!

    Warum werden in der Pflege (was schon längstens überfällig ist ) nicht entsprechende Gehälter gezahlt???

    Keiner will diesen Job noch machen, ja warum denn?

    Und wie kann das "König Ludwig Haus" sich nicht mehr verantwortlich fühlen wenn es schon die Patientin in eine Insolvente Reha-Klinik schickt??

    Aber unsere "Oberen Herrschaften" sorgen sich doch nur dafür dass unsere Steuergelder immer an die notwendigen ganz wichtigen "STELLEN" ankommen.

    Erst die andern, was dann noch übrig bleibt wird vielleicht aufgeteilt.

    Die müssen weder diese Jops machen, geschweige denn sie haben Ahnung davon!

    Ich wünsche Familie Zimmermann alles Gute
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  • Funkenstern
    Hauptsache, die Krankenkassen zahlen immense unberechtigte Gehälter in den oberen Etagen. Dann bleibt halt für den Sumpf der Gesellschaft weniger übrig.
    Ironie aus…
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  • ub-ejournals@uni-wuerzburg.de
    Leider steht Ihnen die Kommentarfunktion auf mainpost.de nicht zur Verfügung. Deshalb werden wir Ihren Kommentar nicht veröffentlichen.
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  • m.schmitt.stadtlauringen@gmail.com
    Ich bitte die Mainpost weiterhin auf solche immer mehr vorkommenden Missstände im Gesundheitssystem aufmerksam zu machen. Vielen Mitbürgern müssen erst noch die Augen geöffnet werden.

    Ich würde jedenfalls behaupten, dass es so etwas vor zehn Jahren noch nicht gegeben hätte und das es zukünftig immer mehr solche Sauereien gibt!

    Zitat: "Die Orthopädische Klinik in Würzburg wiederum sieht sich nicht in der Verantwortung: "Wir können nur eine einzige Reha beantragen", erklärt der Sozialdienst-Mitarbeiter auf Anfrage. Dies habe man getan."
    Zumindest eine "moralische" Verantwortung hätte man erkennen können! Aber auch für Moral und Anstand ist mittlerweile kaum noch Platz vorhanden!
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  • chjoachim@web.de
    Auf eigenen Wunsch hin entfernt.
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  • e.max.s@t-online.de
    Lieber ...fisch,
    ist doch wohl sch....egal wie die MP informiert bzw. aufmerksam wurde.
    Über solche Missstände muss einfach berichtet werden.
    Und der unnötigste Kommentar von allen ist wohl der Ihre!
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  • dohpt
    solange Lobbyisten bei uns Politik machen, wird sich nichts grundlegegend ändern. Jeder Gesundheitsminister scheitern.
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  • MP-Log
    Traurig, dass sich das König-Ludwig-Haus dermaßen aus der Affäre zieht.
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  • Lagerkoller
    Das zeigt doch nur wieder einmal mehr, wie runtergewirtschaftet in der Pflege alles ist....SCHLIMM!!

    Und im Zweifelsfall ist NIEMAND dafür zuständig oder verantwortlich!

    Weiter so ihr lieben Gesundheitsminister....
    Wenn ich die Pläne nur ansatzweise höre, da wird NICHTS besser!
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  • stahl01@t-online.de
    Hätte man mit dieser Geschichte einen Film gedreht - würde man vielleicht denken was haben die übertrieben. Aber leider ist dass Realität.
    Auch dieses ich bin nicht verantwortlich von Organisationen - finde ich schlimm. Wo ist da dass Mitgefühl?
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  • gabcht20581207
    Das ist Unfähigkeit von einigen Stellen und verdammtes Pech für die Patientin.
    Gute Besserung, wünsche Ihnen, daß Sie auf beiden Beinen die Reha verlassen werden. Glück auf.
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  • waldemarthurn@freenet.de
    Das ist die Zukunft
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  • tegutti59@web.de
    Das ist nicht die Zukunft, das ist die Realität. Egal ob der Gesundheitsminister aus dem Schwarzen Roten oder sonst welchen Lagern kommt, sie sind einfach nicht in der Lage das Gesundheitssystem auf tragfähige Beine zu stellen.Mir wird langsam Angst und Bange, ich werde (bin) auch alt. Dann kann ich mich ja auf einiges freuen. (Oder auch nicht). Du bist halt nur noch Bittsteller im Alter, und das bekommst du immer wieder zu spüren.
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