
Früher Morgen in der Caritas Sozialstation St. Franziskus in Gemünden: Draußen herrscht noch tiefe Dunkelheit, aus Richtung Hauptstraße sieht man manchmal die Lichter der ersten Vorboten des Berufsverkehrs. In den Räumen der Sozialstation hat der Arbeitstag dagegen schon längst begonnen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ambulanten Pflegedienstes starten gleich ihre Frühschicht-Touren.
Eine dieser Frauen ist die Pflegefachkraft Katharina Kühn, die auf ihrer heutigen Tour von der Pflegeschülerin Soraya Spring begleitet wird. Mit dem Auto fahren sie ab sechs Uhr zu den Patientinnen und Patienten. Zu ihren Routine-Aufgaben gehören Verbände wechseln, Kompressionsstrümpfe anziehen oder die Körperpflege der auf Hilfe angewiesenen Menschen. "Heute geht es für uns in den Sinngrund", sagt Katharina Kühn.
Selbst im eher ländlich geprägten Landkreis Main-Spessart sticht der Sinngrund heraus. Die Ortschaften im Gebiet kurz vor der hessischen Grenze sind klein und liegen weit auseinander. Und das ist ein Problem für den ambulanten Pflegedienst.

"Die langen Fahrtwege machen unsere Arbeit hier wirtschaftlich schwierig. In Städten wie Würzburg kann man die gleiche Zahl von Menschen in viel kürzerer Zeit versorgen. Hier im Sinngrund fahre ich gelegentlich 15 bis 20 Minuten von einem Pflegeempfänger zum nächsten", erzählt Katharina Kühn. Schmunzelnd fügt sie hinzu: "Die Parkplatzsituation ist bei uns aber wahrscheinlich deutlich besser."
Die Betreuten freuen sich auf den Besuch der Caritas
Im Dunkeln tastet Kühn in Rieneck bei einer der ersten Patientinnen dieses Tages nach dem Lichtschalter am Haus. Trotz der frühen Stunde begrüßt eine ältere Frau die Pflegefachkraft in der kleinen, ausgeleuchteten Küche. Während Kühn die Medikamente vorbereitet, beginnen die Frauen direkt mit Smalltalk: Wie wird das Wetter? Wie war der Schlaf? Der Austausch wirkt herzlich, die Rentnerin nimmt ihn gerne an.
Herzlichkeit bestimmt auch die weiteren Besuche. Bei einer anderen Rieneckerin fragt Kühn nach dem Überziehen der Strümpfe, ob alles passen würde. "Ja freilich, gut hast du's gemacht", sagt die Rentnerin mit einem warmen Lächeln und ergänzt: "Ich freue mich immer, wenn ihr da seid."
Der Zeitplan ist eng getaktet. Es bleibt nur wenig Zeit in den Häusern und Wohnungen. "Man wünscht sich manchmal, dass einfach weniger Hektik herrscht und mehr Zeit für den persönlichen Austausch bleibt", erzählt zum Beispiel Sven Heil, als die Magensonde seiner Mutter Rosa versorgt wird.

Dass den Pflegekräften oft nicht viel Zeit bei ihren Patientinnen und Patienten bleibt, hängt für Alexander Martin, dem Geschäftsführer der Gemündener Sozialstation, mit wirtschaftlichen Faktoren zusammen. Der Caritas gehe es als gemeinnützige Organisation nicht um die großen Gewinne, aber die Personalkosten müsse er schließlich irgendwie decken. "Die Krankenkassen haben wenig finanziellen Spielraum. Und wenn man uns die Zeit nicht bezahlt, können wir nicht mehr machen", bedauert Martin.
Er bevorzugt in der Praxis ein pauschales Zeitsystem. Die Angehörigen buchen dabei einen festen Zeitraum, in dem die Pflegekräfte – je nach Bedarf – verschiedene Aufgaben erledigen. Dem gegenüber steht die Möglichkeit, jede einzelne Tätigkeit abzurechnen. Für Verbände wechseln oder Waschen wird dann eine feste Minutenzahl vorgegeben, an die sich gehalten werden muss.
Für Katharina Kühn zählt das Zwischenmenschliche
Obwohl sie zu den Pflegebedürftigen auf dem Papier in einer Geschäftsbeziehung steht, ist Katharina Kühn die persönliche Ebene wichtiger. "Die geschäftlichen Themen gebe ich an die Leitung weiter." Zu den Menschen aus ihrem Arbeitsalltag baut sie eine Bindung auf. Dies ließe sich kaum vermeiden, erzählt sie.
Erst kürzlich ist einer ihrer Patienten aus Burgsinn verstorben und Kühn wurde von Witwe Gertrud Preißendörfer zur Beerdigung eingeladen. Am Tag nach der Beisetzung besuchen die beiden Pflegekräfte die Witwe erneut, um Dokumente des Verstorbenen abzuholen. Der Zeitplan erlaubt ihnen hier bei einem Glas Wasser noch einmal intensiver ins Gespräch zu kommen. "Das war mir persönlich wichtig", sagt Katharina Kühn im Anschluss.

"Ihr habt euch immer so gut um ihn gekümmert", zeigt sich Gertrud Preißendörfer im Laufe des emotionalen Gesprächs dankbar. "Ihr habt es uns auch echt leicht gemacht", erwidert Katharina Kühn. "Am Anfang wollen sich die älteren Menschen oft nicht helfen lassen und sie bauen eine Barriere auf. Es ist ein schwieriger Schritt, einen kleinen Teil der Selbstständigkeit aufzugeben. Aber es ist gut, wenn man sich dann doch darauf einlässt."
Versorgung aktuell gesichert, aber Fragezeichen für die Zukunft
Alexander Martin von der Gemündener Sozialstation sieht die Pflege im ländlichen Raum an einem Scheideweg: "Der Bedarf für unsere Dienste ist da, aber wer wird es sich leisten können und wo kommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter her?" Aktuell habe er noch genügend Bewerbungen auf dem Tisch, es zeichne sich jedoch bereits ein Trend zu mehr Halbtagskräften ab. Aber: "Die Menschen, die hier arbeiten, sind weiterhin unsere größte Stärke!"

Wie die Zukunft der ambulanten Pflege auf dem Land aussieht, kann er nur grob abschätzen. Kooperationen zwischen den Pflegediensten könnten die Arbeit zeiteffizienter machen, müssten aber von den Empfängern auch angenommen werden. Trotz vieler negativer Stimmen zur Pflegesituation auf dem Land sieht Martin die aktuelle Versorgung im Übrigen als gesichert. Selbst im Sinngrund – für ihn zu Unrecht schon zum "Death Valley" ausgerufen - müsse man sich darüber noch keine Sorgen machen.