Gleich zur Begrüßung heißt es zusammenrücken: Und so sitzen Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Ludwig Spaenle, der Antisemitismus-Beauftragte der bayerischen Staatsregierung, mitten unter den knapp 100 Abiturientinnen und Abiturienten am Johann-Schöner-Gymnasium in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart). Auf Augenhöhe diskutieren die prominenten Besucher mit den Schülerinnen und Schülern über die Bedrohungen jüdischen Lebens, die Gefahren, die von der AfD für die Demokratie ausgehen - und über Wege, etwas dagegen zu tun.
Eine aufmerksame Runde, die da auf Initiative von Georg Schirmer, dem rührigen Vorsitzenden des Förderkreises Synagoge Laudenbach, zusammengekommen ist. Der Besuch des verfallenen ehemaligen jüdischen Gotteshauses ist danach die passende Ergänzung: Die geplante Sanierung soll die Synagoge Laudenbach genau zu dem von Spaenle angesprochenen "Lernort" machen, an dem nicht nur, aber vor allem junge Menschen mehr erfahren über jüdische Traditionen in Unterfranken. Und über das, was Menschenhass und Antisemitismus anrichten, wenn Demokratinnen und Demokraten nicht wachsam sind.
Gleich die erste Schülerfrage bezieht sich auf das aktuelle Umfragehoch der AfD. Spaenle nennt die Partei die "gefährlichste politische Kraft seit Jahrzehnten". Extreme Rassisten und Antisemiten versuchten, mit Mitteln der parlamentarischen Demokratie diese abzuschaffen. Hier gelte es gegenzuhalten. Den Vorwurf einer Schülerin, die Union selbst habe sich in Thüringen von der AfD unterstützen lassen, um ein Gesetz zur Senkung der Grunderwerbsteuer durchzubringen, weist der CSU-Politiker zurück. Die CDU könne doch nichts dafür, wenn sich die AfD ihrer Forderung anschließe.
Aus Sicht Schusters macht Spaenle es sich da zu einfach: Er hätte erwartet, sagt der Zentralratspräsident, dass die Thüringer CDU den Konsens mit anderen demokratischen Parteien sucht, um genau dies "nicht notwendig zu machen".
Warum Jüdinnen und Juden am Dachboden nach Koffern suchen
Josef Schuster unterstreicht, dass die starke Zustimmung für die AfD vielen jüdischen Familien Sorgen bereitet. In den 50er Jahren seien sie im Land der Shoah noch auf gepackten Koffern gesessen, dann aber seien die Koffer ausgepackt worden und auf den Dachböden verstaubt. Angesichts der aktuellen Entwicklung schauten nun aber viele nach, "wo die Koffer stehen". Für viele Jüdinnen und Juden sei eine Regierungsbeteiligung der Rechtsextremisten der Kipppunkt, um zu sagen: "It's time to go". Die Stille in der Aula ist in diesem Augenblick mit Händen zu greifen.
Auch nach der Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger fragen die Schüler. Der bayerische Wirtschaftsminister und die Abgeordneten der Freien Wähler seien keine Antisemiten, versichert Ludwig Spaenle. Der Umgang des Vize-Ministerpräsidenten mit den Vorwürfen, sein Satz, die Shoah werde gegen ihn politisch instrumentalisiert, würde aber für ein "Verschieben von Tabuzonen" sorgen, meint Spaenle. "Diese Täter-Opfer-Umkehr ist Geschichtsrevisionismus üblen Ausmaßes", habe er zu Aiwanger sehr deutlich gesagt. "Das ist gefährlich und schäbig."
Widersprechen, wenn judenfeindliche Witze oder dumme Sprüche fallen, das könnten die Jugendlichen selbst in ihrem Umfeld tun, um antisemitischen Stereotypen schon im Kleinen zu begegnen, sagt Schuster. Auch nachfragen, wie sich die eigenen Vorfahren verhalten haben, sei ein Weg. In vielen Familien halte sich die Legende, die Großeltern oder Urgroßeltern hätten in der Nazi-Zeit Jüdinnen und Juden versteckt. Da frage er sich schon, so der Zentralratspräsident sarkastisch: "Ja, warum habt ihr die denn bis heute nicht wieder rausgelassen?"
"Bildung ist der Schlüssel gegen Antisemitismus", betont Schulleiter Gerald Mackenrodt. Die Schulen könnten noch mehr tun, meint der Zentralratspräsident. Er finde es sinnvoller, die jüdische deutsche Geschichte zu vermitteln statt Wissen zu "333 - bei Issos Keilerei". In den Integrationskursen für Flüchtlinge werde da gute Arbeit geleistet.
Warum Josef Schuster rechter Judenhass mehr Sorgen bereitet als muslimischer
Der traditionelle, rechte Judenhass bereite ihm mehr Sorgen als der von Migranten aus arabischen Länder, sagt der 69-Jährige. Dies zeigten die Morde von Halle, Hanau und der Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke: "Die Täter waren Rechtsextremisten." Eine Schülerin mit muslimischem Hintergrund bekennt offen, es sei nicht so einfach, den Vorurteilen in der Familie und im Freundeskreis zu widersprechen.
Eine knappe Stunde nahmen sich Spaenle und Schuster Zeit für das Gespräch. Bilanz der Schüler: "Cool, dass die beiden so nahbar sind." Der Politikunterricht an der Schule sei schon gut, aber so ein Gespräch sensibilisiere ganz anders für das Thema Antisemitismus.
Die beiden prominenten Besucher sind derweil schon auf dem Weg zur Synagoge nach Laudenbach. 1657 erstmals urkundlich erwähnt, führt seit vielen Jahren baufällig geworden ein Schattendasein. Die Zerstörungen der Pogromnacht 1938 und die Zeit danach überlebte sie als landwirtschaftliche Lagerhalle. Diese (Bau-)Geschichte wollen Georg Schirmer und seine Mitstreiter auch künftigen Generationen erlebbar machen. Laudenbach, das kleine Dorf am Main, war jahrhundertelang ein Hotspot des fränkischen Landjudentums.
Sanierung der ehemaligen Synagoge Laudenbach startet
Im Oktober startet die Stadt Karlstadt die Sanierung, oberstes Ziel ist die Sicherung der Statik. Es gehe nicht darum, die Synagoge hinterher wieder erstrahlen zu lassen wie in Zeiten blühenden jüdischen Lebens, sagt Architekt Karl Gruber. Das Gebäude soll seine Geschichte erzählen. Die Kosten von 770.000 Euro übernimmt zu einem Drittel die Stadt, der Großteil kommt aus diversen Fördertöpfen. Spaenle und Schuster zeigen sich überzeugt, dass hier ein Treffpunkt mit Strahlkraft über Laudenbach hinaus entsteht. Zur feierlichen Eröffnung in einem Jahr wollen sie wiederkommen.